Architekturdenkmal Görlitz: Auferstanden aus Ruinen

Hotherstraße 11 Grenzgebiet zur VR Polen, zum Abbruch vorgesehen, das Portal wurde ausgebaut und gerettet, 1982 © Jörg Schöner
Hotherstraße 11 Grenzgebiet zur VR Polen, zum Abbruch vorgesehen, das Portal wurde ausgebaut und gerettet, 1982 © Jörg Schöner

Die architektonisch bedeutsame Stadt Görlitz erlebte in der DDR einen rapiden Verfall, konnte jedoch Dank des Engagements ihrer Bewohner als Architekturdenkmal gerettet werden. Der Fotograf Jörg Schöner dokumentiert seit 40 Jahren den Wandel der Stadt, nun werden seine Arbeiten in der Kunstbibliothek gezeigt. Im Gespräch spricht er über seine Motivation und seine Erfahrungen.

Interview: Ingolf Kern

Mit einem Sächsischen Abend startet am 27. Juni auch ganz offiziell die Ausstellung „Görlitz – Auferstehung eines Denkmals“ in der Kunstbibliothek am Kulturforum. Der Dresdner Fotograf Jörg Schöner hat die Stadt im Osten Sachsens, die heute zu den schönsten in ganz Deutschland gehört, über Jahrzehnte mit der Kamera verfolgt und legt eine beeindruckende Arbeit über den bitteren Verfall zu DDR-Zeiten und die Rettung des Flächendenkmals im Zuge der deutschen Einheit vor. Bis zum 5. August sind seine großformatigen Fotos bei freiem Eintritt zu sehen.

Herr Schöner, sind Sie so etwas wie der Chronist von Görlitz. Sie haben die Stadt fotografiert, als sie ihren Bewohnern fast auf den Kopf fiel und dann wieder, als sie wirklich wieder auferstand. Warum haben Sie sich so intensiv gerade mit dieser Stadt beschäftigt?
Jörg Schöner: Zunächst mal: Ich bin kein Görlitzer und habe auch keine Verwandtschaft dort. Auch würde ich mich nicht als Chronisten bezeichnen, sondern als Fotograf. Wenn Sie so wollen, bin ich seit der intensiven Beschäftigung mit Görlitz Architekturfotograf. Zu Ihrer Frage: Ich suchte ein Thema für meine externe Diplomarbeit an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Der damalige sächsische Landeskonservator Hans Nadler – wir sind mit der Familie befreundet – sagte mir sinngemäß: ‚Geh nach Görlitz und fotografiere die Altstadt bevor sie zusammenfällt‘. Das habe ich getan. Es wurde meine Diplomarbeit und schließlich wurden die Aufnahmen 1984 bei einer Ausstellung anlässlich der Generaltagung der ICOMOS in Dresden, in die auch eine Exkursion nach Görlitz eingeschlossen war, sogar gezeigt. Ich habe mich also fast ausschließlich mit der Altstadt beschäftigt, laut Hans Nadler die bedeutendste Renaissancestadt nördlich der Alpen. Und an diesem Thema bin ich bis heute geblieben.

Peterstraße 7 während Rekonstruktionsarbeiten, 1983 © Jörg Schöner
Peterstraße 7
während Rekonstruktionsarbeiten, 1983
© Jörg Schöner

Es überrascht, dass die DDR eine solche Ausstellung zugelassen hat. In welcher Verfassung befanden sich Stadt und Bürger in Görlitz vor 1989? Was haben Sie erlebt?
Den Zustand der Stadt sehen Sie auf meinen Bildern, mit Worten ist das nur schwer zu beschreiben. Die kürzeste Bezeichnung wäre: trostlos! Von den DDR-Bürgern hatte sich ein Teil mit dem Staat arrangiert, ein großer Teil sich abgefunden und ein kleiner Teil noch versucht, neue Wege zu gehen. Mit letzteren Vertretern hatte ich in der Görlitzer Altstadt oft zu tun. 1980/82 ging in der Sowjetunion die Breschnew-Ära dem Ende entgegen und es lag noch kein Fünkchen Hoffnung auf Veränderung in der Luft. Die Görlitzer sind schon ein „besonderes Völkchen“, persönlich oft noch geprägt von alten Tugenden, die anderswo inzwischen belächelt werden.

Sie beschreiben eine bleierne Zeit. Heute wissen wir, dass die Rettung von Görlitz deutschlandweit ohne Beispiel ist. Wie erleben Sie die Stadt jetzt? Ist denn diese schöne Stadt auch eine lebendige?
Ich erlebe die Stadt eigentlich immer durch die Linse der Kamera und bin als Architekturfotograf überwältigt von den Restaurierungsleistungen der letzten 25 Jahre. Über die Lebendigkeit der Stadt kann ich mich nicht groß äußern, ich erlebe sie nur tagsüber. Und ob Touristenströme eine Stadt lebendig machen, das wage ich ein wenig in Frage zu stellen.
Denkmalschutz ist nicht nur was für den Staat oder für Ämter, sondern sollte auch Sache der Bürger sein. Wie steht es damit in Görlitz?
Da muss ich wieder auf den „dritten Teil“ der Bevölkerung zurückkommen, also auf die, die auch schon zu DDR-Zeiten etwas taten. Dieses Engagement traf auf sehr kluge politische Entscheidungen und die Unterstützung durch nichtstaatliche Institutionen wie beispielsweise der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Vergessen Sie auch nicht die vielen privaten Investoren und Spender. Die Altstadtmillion ist ja bundesweit bekannt geworden. Seit 1995 hatte ein anonymer Spender 21 Jahre lang jährlich eine Million Euro für die Görlitzer Altstadt überwiesen. Außerdem haben die Eigentümer einen erheblichen Anteil am Wiederentstehen einer liebenswürdigen Stadt. Ich denke hier an Beispiele wie den Karpfengrund oder den Steinweg, wo das persönliche Engagement nicht hoch genug einzuschätzen ist.

Peterstraße 7 nach erneuter Rekonstruktion 2015 © Jörg Schöner
Peterstraße 7
nach erneuter Rekonstruktion 2015
© Jörg Schöner

Was wünschen Sie Görlitz für die Zukunft?
Ein Traum wäre, dass die deutsch-polnische Region Görlitz/Zgorzelec eine ähnliche Entwicklung nimmt wie die deutsch-französische Gegend zwischen Kehl und Strasburg. Ich wünsche mir, dass in diesem Europa eine sächsisch-schlesisch-böhmische Region entsteht. Mein Wunsch ist auch, dass diese Region wirtschaftlich in Schwung kommt, dass Arbeitsplätze geschaffen und nicht abgebaut werden, damit junge Menschen in der Region eine Zukunft sehen. Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass laut dem Görlitzer Oberbürgermeister der Altersdurchschnitt in der Altstadt erheblich unter dem Durchschnitt liegt. Es gibt also noch Hoffnung!

Die Ausstellung „Görlitz – Auferstehung eines Denkmals“ in der Kunstbibliothek läuft noch bis zum 5. August 2018 anlässlich des European Cultural Heritage Summit „Sharing Heritage – Sharing Values“ als Teil des Europäischen Kulturerbejahres 2018.

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