Berlin und die große Architektur. Zum 130. Geburtstag von Ludwig Mies van der Rohe

Die architektonische Heimatstadt von Mies van der Rohe ist Berlin. Hier trat er 1905 eine Assistentenstelle im städtischen Bauamt Rixdorf an. Rund 60 Jahre später betrat er als internationaler Star mit einem Architekturbüro in Chicago wieder Berliner Boden und brachte die Entwürfe für den Bau der Neuen Nationalgalerie mit.

Der 1886 in Aachen geborene Ludwig Mies stammte aus einer Steinmetz-Familie. Erst 1922 fügte er seinem Namen das erfundene „van der“ und den Nachnamen seiner Mutter hinzu und wurde so zu Ludwig Mies van der Rohe. Die Ausbildung in seiner Geburtsstadt beschränkte sich auf einen Abschluss an der Gewerbeschule, eine einjährige Maurerlehre und Tätigkeiten als Zeichner. Zeit seines Lebens nahm die Praxis für ihn einen hohen Stellenwert ein. Die Tatsache, dass er niemals ein Architekturdiplom abgelegt hatte, schadete seiner Karriere nicht. Nur einmal, als er bereits in Chicago ein bekanntes Architekturbüro leitete, verweigerte ihm die New Yorker Baubehörde die Zulassung ohne Diplom, weswegen er das berühmte Seagram Building (1957) in Zusammenarbeit mit Philip Johnson realisierte.

Ludwig Mies van der Rohe, porträtiert 1931 von Willy Römer (c) bpk / Kunstbibliothek, SMB, Photothek Willy Römer / Willy Römer
Ludwig Mies van der Rohe, porträtiert 1931 von Willy Römer (c) bpk / Kunstbibliothek, SMB, Photothek Willy Römer / Willy Römer

„Jeder konnte ja bauen“
Doch zurück zu den Anfängen: In Aachen zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Büro seines damaligen Arbeitgebers, Albert Schneider, trug sich eine Begegnung mit einem Berliner Architekt zu, die Mies in einem Gespräch mit seinem Enkel Dirk Lohan erinnerte: „Er sagte: Hören Sie mal, was wollen Sie eigentlich in diesem Kaff. Gehen Sie doch nach Berlin, wo was los ist. Ich sagte: Das ist so leicht gesagt, ich kann doch nicht einfach ein Billett kaufen und da hingehen, und dann steh ich auf dem Potsdamer Bahnhof und weiß nicht, wohin ich laufen soll. Ach, sagte er, das ist alles halb so schlimm.“ Daraufhin bewarb sich Mies auf zwei Stellengesuche: für die Mitarbeit am Rathausneubau Rixdorf und bei Reinhardt und Süßenguth, eine damals große Firma. Zur Bewerbungsprozedur erläuterte er: „Die waren ja noch nicht so genau in der Architektur, jeder konnte ja bauen, wenn die Baupolizei es erlaubte, du brauchtest keine Prüfungen vorher gemacht zu haben, sondern der Bau sollte ja die Prüfung sein. … Ich machte also Skizzen und schickte beiden einen Haufen Skizzen. Freihandzeichnungen hauptsächlich. Ich bekam beide Angebote. Da sagte der Dülow, der mich in solchen Dingen unterstützte: Sie gehen nach Rixdorf…“ – und für den 19-jährigen Mies war das Kapitel Aachen damit abgeschlossen.

Die Zeit von 1905 bis 1921 in Berlin war geprägt durch seine Mitarbeit bei Bruno Paul und Peter Behrens. Schnell erwarb er sich große Wertschätzung, sodass er 1906 für den Bau eines Wohnhauses für den Philosophieprofessor Alois Riehl und seine Frau in Potsdam vorgeschlagen wurde. Den Tag schilderte Mies so: „Ich vergesse das nie, mittags sagte mir der Assistent vom [Emil] Orlik, ich müsse einen Gehrock anziehen. Ich wusste gar nicht, was ein Gehrock war. Er sagte: ‚Sehen Sie zu, dass Sie sich schnell einen kaufen, den bekommt man ja überall, kann man vielleicht auch leihen‘. Jedenfalls habe ich das Bruno Paulsche Büro von A bis Z angepumpt, bis ich genügend Geld hatte, einen Gehrock zu kaufen. Dann wusste ich natürlich nicht, welche Krawatte man trägt, und trug eine knallgelbe oder so etwas ganz Verrücktes.“ Nach einigen Bedenken wegen seiner fehlenden Bauerfahrung konnte er die Bauherren doch mit Charme und Courage für sich gewinnen. Er überlieferte, dass Bruno Paul über das Projekt sagte: „Sehen Sie, das Haus [Riehl] hat einen einzigen Fehler, dass ich es nicht gebaut habe“.

Eine Häuserzeilen in der Afrikanischen Straße in den Rehbergen zu Berlin von Mies van der Rohe, fotografiert 1927 von Walter Stiehr (c) bpk / Kunstbibliothek, SMB, Photothek Willy Römer / Walter Stiehr
Eine Häuserzeilen in der Afrikanischen Straße in den Rehbergen zu Berlin von Mies van der Rohe, fotografiert 1927 von Walter Stiehr (c) bpk / Kunstbibliothek, SMB, Photothek Willy Römer / Walter Stiehr

Der architektonische Einfluss von Bruno Paul ist an dem verputzen, rechteckigen Backsteinbau mit Satteldach deutlich erkennbar und entspricht dem in der Gegend verbreiteten Typus eines kleinen Landhauses des 18. Jahrhunderts. Über die Zusammenarbeit wurde Mies in den Freundeskreis des Ehepaars Riehl aufgenommen und fand so schnell Zugang zu wohlhabenden, kunstinteressierten Kreisen in Berlin.

„Der Anfang bleibt einem besonders im Gedächtnis“
Weil er für eine selbstständige Karriere noch zu jung und unerfahren war, wechselt Mies 1908 in das Büro des angesehenen Architekten und Chef-Designers der AEG, Peter Behrens. Wie prägend diese Zeit für Mies war, schildert Dirk Lohan: „Bei einer Besichtigungstour durch Berlin in den 1960er Jahren kamen wir in Wedding an der von Peter Behrens entworfenen Kleinmotorenfabrik der AEG aus dem Jahr 1910/11 vorbei. Mies konnte sich auf den Zentimeter genau an die Abstände zwischen den Stützen erinnern, die Maße der Neuen Nationalgalerie waren ihm hingegen nicht gegenwärtig. Das kann ich gut nachvollziehen, auch ich erinnere mich an die Maße der Neuen Nationalgalerie, die ich als Projektleiter betreut habe, aber nicht an spätere Bauwerke, die ich als selbständiger Architekt realisiert habe. Der Anfang bleibt einem besonders im Gedächtnis.“

Mies entwarf 1910/11 sein zweites Wohnhaus, eine bürgerlich-ländliche Villa in Berlin. Auftraggeber war Hugo Perls, ein wohlhabender Rechtsanwalt und Kunsthändler, der eine bedeutende zeitgenössische Kunstsammlung besaß, darunter Werke von Picasso, Matisse und Munch. Der schlichte, zweigeschossige Bau aus verputztem Backstein mit einem flachen Walmdach beherbergte auf Wunsch des Bauherrn Kunstwerke seiner Sammlung in drei Gesellschaftsräumen des Erdgeschosses. Lohan erinnert sich daran, dass Mies Zeit seines Lebens auch privat sehr an Kunst interessiert war. Während seiner Berliner Jahre besaß er zwei Kunstwerke von Max Beckmann und Wassily Kandisky. In Amerika wuchs seine Sammlung dann auf 40 bis 50 Werke, darunter Klee, Schwitters, Picasso und Braque. Über den Auftrag für die Museums-Villa Kröller-Müller in der Nähe von Den Haag war die Zusammenarbeit mit Peter Behrens beendet worden und er führte 1912 zur Gründung eines eigenen Büros. Mies‘ erster unabhängiger Auftrag war das Haus Werner auf dem Nachbargrundstück von Haus Perls.

In Amerika fand Mies Bauherren für seine „Haut und Knochen“-Architektur
In den kommenden Jahren änderte Mies seine zunächst neoklassizistische architektonische Haltung radikal. Das Ergebnis waren fünf unkonventionelle Entwürfe, die zwischen 1921 und 1924 entstanden, darunter das legendäre Bürogebäude an der Friedrichstraße. In beispielloser Monumentalität erhebt sich das ganz aus Stahl und Glas konzipierte Gebäude auf einem dreieckigen Grundriss und avancierte auch aufgrund der optischen Dynamik der spitzen Winkel schnell zur Ikone des Neuen Bauens. Bis zu seiner Emigration in die Vereinigten Staaten im Jahr 1938 auf zunehmenden Druck der Nationalsozialisten, entstanden zwar noch weitere acht Wohnhäuser in Berlin, doch seine visionären Entwürfe für die europäische Metropole blieben ungebaut. Erst in Amerika fand er Bauherren für seine „Haut und Knochen“-Architektur, wie den bronzefarbenen, ikonischen Wolkenkratzer Seagram Building in New York.

Plakat mit einem Entwurf für ein Glashochhaus an der Friedrichstraße in Berlin von Mies van der Rohe aus dem Jahre 1921 (c)  bpk / Kunstbibliothek, SMB / Dietmar Katz
Plakat mit einem Entwurf für ein Glashochhaus an der Friedrichstraße in Berlin von Mies van der Rohe aus dem Jahre 1921 (c) bpk / Kunstbibliothek, SMB / Dietmar Katz

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Mies mehrfach gebeten, in Deutschland zu bauen. 1952 kam er erstmals wieder ins Land, doch es dauerte noch gute zehn Jahre, bis er mit der Planung eines neuen Bauprojekts in Berlin begann. Am 27. März 1961 erhielt Mies van der Rohe neben zahlreichen Glückwünschen und Grußadressen zu seinem 75. Geburtstag einen besonderen Brief. Darin trug Bausenator Rolf Schwedler dem inzwischen in Chicago ansässigen, weltberühmten Architekten an, ein Bauwerk in Berlin zu errichten. Aus drei alternativen Bauaufgaben und Grundstücken entschied sich Mies für den Bau eines Museums des 20. Jahrhunderts in unmittelbarer Nachbarschaft zu seiner letzten Adresse in Deutschland. In einer großräumigen Wohnung Am Karlsbad 24 hatte Mies bis zur Emigration nach Amerika von 1915 bis 1938 gewohnt und gearbeitet.

Mies van der Rohe kam 81-jährig zum Richtfest der Neuen Nationalgalerie letztmalig nach Berlin. In seiner Rede beschrieb er den Museumsbau als würdigen Rahmen für den hohen Inhalt zur Freude der Menschen, im Dienste der Kunst und des Geistes. Dirk Lohans Einschätzung nach war Mies sehr zufrieden, dass der Bau der Neuen Nationalgalerie in der Stadt, in der er als Architekt angefangen hatte und von deren Kulturleben seine Gedanken stark beeinflusst waren, noch zu seinen Lebzeiten fertig wurde. Zur Eröffnung 1968 konnte er aus Krankheitsgründen schon nicht mehr anreisen und verstarb im folgenden Jahr. Walter Gropius, dem er erstmals im Büro von Peter Behrens begegnete, schickte direkt nach der Eröffnung ein Telegramm mit den Worten: „Im Kopf und Herz beeindruckt von der Schönheit der Nationalgalerie gruesst Sie mit herzlichen Wuenschen Ihr Walter und Ise Gropius“.

Text: schmedding.vonmarlin.

Ludwig Mies van der Rohe bei der Grundsteinlegung der Neuen Nationalgalerie am 22.09.1965 (c) bpk / Nationalgalerie, SMB / Reinhard Friedrich
Ludwig Mies van der Rohe bei der Grundsteinlegung der Neuen Nationalgalerie am 22.09.1965 (c) bpk / Nationalgalerie, SMB / Reinhard Friedrich
Ludwig Mies van der Rohe und Bausenator Rolf Schwedler bei der Grundsteinlegung der Neuen Nationalgalerie am 22.09.1965 (c) bpk / Nationalgalerie, SMB / Reinhard Friedrich
Ludwig Mies van der Rohe und Bausenator Rolf Schwedler bei der Grundsteinlegung der Neuen Nationalgalerie am 22.09.1965 (c) bpk / Nationalgalerie, SMB / Reinhard Friedrich
Ein Telegramm unter Architektur-Weltstars: Walter Gropius gratuliert Ludwig Mies van der Rohe zur Neuen Nationalgalerie
Ein Telegramm unter Architektur-Weltstars: Walter Gropius gratuliert Ludwig Mies van der Rohe zur Neuen Nationalgalerie

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