Beuys im Hamburger Bahnhof: Grenz-Überschreitungen

Ob als Kurator im Kupferstichkabinett oder als Leiter des Hamburger Bahnhofs: immer war Eugen Blume von Joseph Beuys fasziniert. In seiner letzten großen Ausstellung in dem Haus, das er mit aufgebaut hat, begegnet er dem Meister noch einmal. Ein Gespräch über Anfänge und Übergänge.

Herr Blume, Sie verabschieden sich dieses Jahr mit einer großen Ausstellung in den Ruhestand. Wie begann Ihre Laufbahn bei den Staatlichen Museen zu Berlin?
Eugen Blume: Ich begann 1981 beim Kupferstichkabinett in Ost-Berlin. Kurz bevor die DDR sich wirklich aufgelöst hat, kam ich dann in die Sammlung der Zeichnungen. Dort wollte ich immer hin, weil mich die Zeichnung als unmittelbarer künstlerischer Ausdruck sehr interessiert.

Was ist die Sammlung der Zeichnung?
Ursprünglich war das eine Sammlung der Nationalgalerie: Bereits im 19. Jahrhundert entschied man sich, Zeichnungen aus dem Umfeld der angekauften Werke der Malerei und Skulptur zu erwerben, und so ist im Laufe der Zeit eine substantielle Sammlung zur Zeichnung des 19. Und 20. Jahrhunderts entstanden. Bei der Vereinigung der Staatlichen Museen zu Berlin war ich dort beschäftigt. 1993 bin ich in das neue Kupferstichkabinett am Kulturforum gekommen, in dem die Sammlungsteile aus Dahlem und von der Museumsinsel sowie die ehemalige Sammlung der Zeichnungen der Nationalgalerie vereint wurden. Ein grandioser Prozess.

Eugen Blume im Gespräch (c) Staatliche Museen zu Berlin / Juliane Eirich
Eugen Blume im Gespräch (c) Staatliche Museen zu Berlin / Juliane Eirich

Wie kamen Sie dann zum Hamburger Bahnhof?
Ich habe meine Diplomarbeit 1981 an der Humboldt Universität über Joseph Beuys geschrieben. Mein Interesse an Beuys wurde im Westen durch die Wahrnehmung der Originale selbstverständlich intensiver und 1993 habe ich auf Anregung von Wulf Herzogenrath begonnen, ein audiovisuelles Medienarchiv zu Beuys aufzubauen. Dieses Interesse an Beuys und seinem Umfeld hat mich für den damaligen Generaldirektor Wolf-Dieter Dube prädestiniert, zukünftig im Hamburger Bahnhof, dem Museum für Gegenwart, zu arbeiten. Ich wollte lieber im Kupferstichkabinett bleiben, aber er hat mich überzeugt. Ab 1995 habe ich die Konzeption dieses neuen Museums wesentlich mit entwickelt und schließlich 2001 auch die Leitung über- nommen. Seit der Eröffnung im November 1996 haben viele Ausstellungen stattgefunden, die im Rückblick sehr interessant für die Kunstlandschaft in Deutschland waren, und das Haus hat stetig an Zuspruch gewonnen. Für ein Museum für Zeitgenössische Kunst, das keine beliebten Klassiker wie Picasso ausstellt, haben wir beachtenswerte jährliche Besuchszahlen und es freut mich natürlich, dass sich das Konzept bewährt hat.

Funktioniert das Konzept immer noch wie am Anfang oder hat es sich in der Praxis verändert?
Das Grundkonzept des Hauses war es, die grenzüberschreitenden Künste seit den frühen 1960er Jahren zu betrachten und das Ineinanderfließen von Bildender Kunst, Film, Musik, Sprache und Theater zu untersuchen und in Ausstellungen zu zeigen. Dazu gehörte natürlich, die Pioniergestalten dieser Grenzüberschreitungen intensiver zu betrachten, etwa Joseph Beuys, der das gesamte Denken über Kunst radikal geöffnet hat, und eine Vielzahl von weiteren Künstlern.

Eugen Blume im Gespräch (c) Staatliche Museen zu Berlin / Juliane Eirich
Beuys begegnet überall (c) Staatliche Museen zu Berlin / Juliane Eirich

Können Sie Beispiele nennen?
1998 kuratierte ich die Ausstellung „Cinéma“, die das gesamte filmische Werk des belgischen Künstlers Marcel Broodthaers umfasste. Das ist bis heute eine meiner Lieblingsausstellungen, wenn sie auch technisch sehr kompliziert war: Es gab über 14 Filmprojektoren und wir haben täglich ein Programm mit 35mm-Filmen gezeigt. Dafür mussten wir eigens einen Filmvorführer einstellen, es war eine überaus lebendige Produktion. In der großen „Jahrhundertausstellung“ von 1999 haben wir eigehend das Prinzip Collage/Montage untersucht. Auch die große Beuys-Retrospektive „Beuys. Die Revolution sind wir“ von 2008 muss hier genannt werden. Eine Konklusion dieser Untersuchung grenzüberschreitender Strategien war im vergangenen Jahr die Ausstellung zum Black Mountain College. Hier ging es um ein Kollektivereignis an der Peripherie, das ungeheure Folgen hatte. Solche außergewöhnlichen Grenzüberschreitungen zu untersuchen, ist bis heute das Hauptthema dieses Hauses und ich hoffe, dass es so bleibt.

Ihre letzte große Ausstellung ist nun wieder eine Begegnung mit Beuys.
Es ist eigentlich keine reine Beuys-Ausstellung, sie lässt sich vielmehr von seinem Werk „Das Kapital. Raum 1970-1977“ anregen. Diese monumentale Arbeit hatte Beuys 1984 in den Hallen für Moderne Kunst in Schaffhausen eingerichtet. Nach deren Auflösung stand der Raum zum Verkauf und ich konnte den Sammler Erich Marx überzeugen, ihn in die Reihe seiner großen, bei uns befindlichen Beuys-Skulpturen einzufügen. Für dieses Engagement sind wir ihm sehr zu Dank verpflichtet. Es ist auch ein glücklicher Umstand für das neue Museum, das am Kulturforum gebaut wird, Beuys mit dieser beeindruckenden Arbeit in den Verlauf der Kunstgeschichte des 20.Jahrhunderts einzureihen.

Was wird in der Ausstellung gezeigt werden?
Meine Kollegin Catherine Nichols und ich lassen uns von der Themenvielfalt dieser komplexen Arbeit anregen: Der erste Begriff im Titel ist das „Kapital“, der zweite Begriff ist „Raum“ und der dritte, „1970-1977“, ist eine zeitliche Formulierung. Davon gehen wir aus und versuchen, aus allen Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin Werke und Artefakte dialogisch einzubeziehen, vom Alten Ägypten bis in die Gegenwart. Über allem steht das Kapital als zentraler Begriff unserer Gegenwart: Jede Bewegung, der westliche Wohlstand, aber auch jede Art von Umweltzerstörung, Krieg, oder sozialer Verwerfung hat mit dem Kapitaltransfer zu tun. Uns interessiert aber noch mehr die Umdeutung des Kapitalbegriffs durch Joseph Beuys, der das geistige und kreative Vermögen des Menschen als das wahre Kapital gesehen hat. Beuys setzte die Kunst dem Kapital gleich. Also formulieren wir eine Ausstellung, die sich nicht nur in der Kapitalismuskritik bewegt, sondern die positive Ausdeutung des Kapitalbegriffs in den Blick nimmt und besonders das Vermögen der Kunst in das Zentrum stellt.

Eugen Blume im Gespräch (c) Staatliche Museen zu Berlin / Juliane Eirich
Eugen Blume im Gespräch (c) Staatliche Museen zu Berlin / Juliane Eirich

Wird dabei ein Bezug zur aktuellen politischen Lage hergestellt?
In einzelnen Werken und Werkgruppen wird auf besondere Weise die aktuelle Situation lesbar werden. Abgeleitet von dem Beuys-Titel heißen die Kapitel „Schuld“, „Territorium“ und „Utopie“. Darin spiegelt sich das Kapital als kreatives Vermögen ebenso wie als destruktive Bewegung, die den Menschen der Natur und der eigenen Gemeinschaft gegenüber permanent in eine Schuldbeziehung bringt. Seit der Vertreibung aus dem Paradies, aus der Natur, bestellt der Mensch seine Territorien und macht sich skrupellos die Erde untertan. Die Frage, wohin es gehen soll, um überhaupt noch über Zukunft sprechen zu können, werden wir am Ende der Ausstellung in einem gut besetzten Symposium stellen.

Ist es eine Aufgabe des Hauses, gesellschaftliche Entwicklungen durch Ausstellungen zu kommentieren?
Museen, gerade im Bereich der Zeitgenössischen Kunst, müssen politisch agieren. Nicht im Sinne einer platten Narration, die eins-zu-eins politische und soziale Probleme abbildet, sondern weit darüber hinaus. Kunst hat eine offenere Beziehung zu historischen Prozessen und sie hat auch ein größeres Vermögen, Zukünftiges abzubilden. Das ist für mich der interessante Beitrag der Kunst: das „Ahnen“ zu erlernen. Wir haben zwar eine riesige Flut von Informationen, aber unsere Umgebung und unsere Umstände zu verstehen, das gelingt oft besser mit Hilfe der Kunst als allein durch Zeitungen oder wissenschaftlich analytische Literatur.

Schließt sich mit der Ausstellung für Sie persönlich ein Kreis?
Die Beschäftigung mit Beuys wird mich wahrscheinlich nie loslassen, weil er eine unglaublich interessante Figur ist. Insofern ist es natürlich ein besonderer Glücksumstand, dass die Arbeit „Das Kapital. Raum 1970-1977“ Teil der letzten Ausstellung ist, die ich hier im Haus machen werde. Es freut mich sehr und ich danke allen, die mir dabei helfen.

Die Ausstellung „Das Kapital. Raum 1970-1977“ findet vom 2. Juli bis 6. November im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin statt.
Im Herbst 2016 findet außerdem das vom Kuratorium Preußischer Kulturbesitz geförderte Symposium „Das Kapital – Ein Resümee“ statt.
Alle Termine und weitere Infos unter smb.museum/hbf

Interview: Sven Stienen
Fotos: Juliane Eirich
Dieser Beitrag erschien in der Museumszeitung der Staatlichen Museen zu Berlin, Ausgabe 2/2016.

(c) Staatliche Museen zu Berlin / Juliane Eirich
Hier wird gearbeitet: Das Büro von Eugen Blume im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin (c) Staatliche Museen zu Berlin / Juliane Eirich
Büro von Eugen Blume (c) Staatliche Museen zu Berlin / Juliane Eirich
Büro von Eugen Blume (c) Staatliche Museen zu Berlin / Juliane Eirich
Kunst an der Wand (c) Staatliche Museen zu Berlin / Juliane Eirich
Kunst an der Wand (c) Staatliche Museen zu Berlin / Juliane Eirich
Eugen Blume im Gespräch (c) Staatliche Museen zu Berlin / Juliane Eirich
Eugen Blume im Gespräch (c) Staatliche Museen zu Berlin / Juliane Eirich
Im Büro von Eugen Blume, Hamburger Bahnhof - Museum für Gegenwart - Berlin (c) Staatliche Museen zu Berlin / Juliane Eirich
Im Büro von Eugen Blume, Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin (c) Staatliche Museen zu Berlin / Juliane Eirich
Eugen Blume (c) Staatliche Museen zu Berlin / Juliane Eirich
Eugen Blume (c) Staatliche Museen zu Berlin / Juliane Eirich

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