Ein mystisch realer Blick in die Welt der Friesen – Die Ausstellung „Inselwesen. Inselalltag“ im MEK

Die Künstlerin Mila Teshaieva ist in das Land der Friesen eingetaucht – und präsentiert in einer Ausstellung spannende Perspektiven auf eine Welt zwischen Tradition und Alltag.

Text: Lea Möhlenpage

Es ist dunkel, nur die Silhouette einer Person und Fragmente der Umgebung sind zu erkennen. Ein junger Mann mit kurzen Haaren und blauer Arbeitskleidung steht zwischen mehreren herabhängenden Fischernetzen und schaut nach oben. Das Licht einer Taschenlampe glüht auf, eine Frau läuft umher und beleuchtet die Szene an verschiedenen Stellen, dann hört man ein leises Klick.

Dies ist die Arbeit der Fotografin Mila Teshaieva, die mithilfe der Lichtmalerei-Technik Aufnahmen bei völliger Dunkelheit macht. Mit einer künstlichen Lichtquelle werden dabei ausgewählte Teile der Umgebung gezielt beleuchtet, um sie mit langen Belichtungszeiten auf dem Bild sichtbar zu machen. Der Mann auf dem Foto ist ein friesischer Fischer und ist nun zusammen mit anderen Motiven aus Friesland in der Ausstellung „InselWesen – InselAlltag. Einblicke in friesische Lebenswelten“ im Museum Europäischer Kulturen (MEK) zu sehen. Die Ausstellung ist Teil der „Friesischen Kulturtage“, die noch bis 24. September 2017 im MEK stattfinden.

Mila Teshaieva: The hat is off, 2015, © Mila Teshaieva
Mila Teshaieva: The hat is off, 2015, © Mila Teshaieva

Einblick in das friesische Inselleben
Die Friesländer sind heute als „nationale Minderheit“ anerkannt, ihre Kultur und Lebensweisen sind daher nicht nur für die Wissenschaft von Bedeutung, sondern auch für Künstlerinnen und Künstler interessant. Mila Teshaieva widmet eines ihrer Projekte den Bewohnern der friesischen Insel Föhr. Aus der Verbindung von zeitgenössischer Fotografie und ethnographischen Interviews erschafft sie einen intimen Einblick in die Lebenswelten dieser Menschen.

Dabei geht es um Alltagssituationen, aber vor allem auch um die verbliebenen Traditionen der Insel. Teshaieva fotografierte die Porträtierten bei ihrer Arbeit und die Föhrer Frauen konnten ihre Trachten zur Schau stellen. Aber auch Tiere und die Natur der Insel, mit der die Föhrer seit jeher eng verbunden sind, sind Teil der Reihe – dies deutet schon der Titel „Inselwesen“ an, der neben Menschen eben auch andere Lebewesen einschließt.

Mila Teshaieva hat sich bei ihrer Arbeit einen kulturanthropologischen Ansatz zu Eigen gemacht. So lebte sie immer wieder als artist in residence über insgesamt eineinhalb Jahre verteilt auf der Insel, um ein Gefühl für die Traditionen und Bewohner zu bekommen. „Ich habe zunächst lange und ausführlich Gespräche mit den Protagonisten geführt, um sie kennen zu lernen“, verrät die Künstlerin während einer Führung durch die Ausstellung. „So konnte ichherausfinden, was für jeden von ihnen von Bedeutung ist, welchen Beruf die Leute ausüben oder welche friesischen Traditionen sie noch leben.“

Mila Teshaieva: Frisian Grace, 2014, © Mila Teshaieva
Mila Teshaieva: Frisian Grace, 2014, © Mila Teshaieva

Mit „Fotografiesprache“ Geschichten erzählen
Nachdem Teshaieva und ihre ProtagonistInnen ein Gefühl füreinander entwickelt hatten, gingen sie gemeinsam auf die Suche nach einem geeigneten Ort für die Porträts. „Es war wichtig sich kennen zu lernen“, erzählt die Künstlerin, „nicht nur um eine Authentizität der Fotos zu erlangen, sondern auch weil ich eine Fototechnik nutze, die totale Dunkelheit erfordert.“ Durch die Langzeitbelichtung und das Ausleuchten mit der Taschenlampe kann die Künstlerin gezielt bestimmte Bildbereiche in den Vordergrund stellen.

Mila Teshaieva wählt für jedes neue Projekt immer individuelle Fotografietechniken aus, um den Arbeiten einen passenden Ausdruck zu verleihen. Sie nennt dies verschiedene „Fotografiesprachen“, die sie nutzt, um die unterschiedlichen Geschichten in den Kunstwerken bestmöglich hervorzuheben. Als sie das erste Mal auf der Insel Föhr war, wusste Teshaieva sofort, dass die Sprache für dieses Projekt die Lichtmalerei sein würde, mit der sie zuvor kaum gearbeitet hatte. „Für die Umsetzung der Arbeiten bedeutete das viel Experimentieren“, erinnert sich die Fotografin, „bis die Fotos schließlich Fragment für Fragment entstanden.“ Das Resultat sind eindrückliche Fotografien, die beinahe wie Gemälde wirken.

Mila Teshaieva: Elisabeth at home, 2014, © Mila Teshaieva
Mila Teshaieva: Elisabeth at home, 2014, © Mila Teshaieva

Ein detailliertes Bild durch Vielfalt
Um den Bewohnern von Föhr in der Ausstellung Raum zu geben, um ihr Alltagsleben und ihre Traditionen detaillierter darstellen zu können, begaben sich auch Mitarbeiterinnen des MEK auf die Insel. Sie führten dort qualitative, filmische Interviews mit den zuvor von Mila Teshaieva porträtierten Bewohnern durch, um ausschnitthaft das Leben der Menschen in der Region zu dokumentieren. Zusätzlich wurden Informationen zum traditionellen Sprachgebrauch, zu regionalen Spezialitäten, sozialem Engagement auf der Insel und vielem mehr in Fragebögen ermittelt.

So bekommt die Ausstellung im MEK einen sehr persönlichen Ausdruck, der durch private Leihgaben der Protagonistinnen und Protagonisten noch verstärkt wird: altes, von den Vorfahren geerbtes Werkzeug oder Gegenstände, die früher für den Fischfang genutzt wurden, sind nur ein Teil dieser Sammlung von Alltagsgegenständen. Ein Highlight sind die unterschiedlichen Trachten, die heute noch zu besonderen Anlässen getragen werden, aber auch historische Alltags- und Arbeitstrachten, die an vergangene Tage erinnern.

Neben diesen persönlichen Leihgaben und den Arbeiten von Mila Teshaieva zeigt die Ausstellung alltägliche Objekte und historische Fotografien aus der eigenen Sammlung sowie Leihgaben aus dem Museum Kunst der Westküste und dem Friesen-Museum. Diese Kombination von verschiedenen Ansätzen, Gegenüberstellungen und einer Vielfalt an Ausstellungsobjekten zeichnet ein detailliertes Bild – von der mystischen Ausstrahlung der Insel im Norden, aber auch von der alltäglichen Realität ihrer Bewohner.

Nationaltracht auf der Insel Föhr, kolorierte Lithografie, um 1850, © Museum Europäischer Kulturen – Staatliche Museen zu Berlin / Dietmar Katz
Nationaltracht auf der Insel Föhr, kolorierte Lithografie, um 1850, © Museum Europäischer Kulturen – Staatliche Museen zu Berlin / Dietmar Katz

Am Ende der Ausstellung kann man als Besucher nachempfinden, wie fragil alte Traditionen geworden sind; man erfährt aber auch, wie stolz die Föhrer auf ihre Insel sind und dass es durchaus möglich ist, alte Bräuche mit modernen Lebensweisen zu vereinen.

Die Ausstellung „InselWesen – InselAlltag. Einblicke in friesische Lebenswelten“ läuft noch bis zum 2. April 2018 im Museum Europäischer Kulturen in Dahlem. Im Dezember ist die Künstlerin Mila Teshaieva selbst im Museum anwesend, um über ihre Fotografien zu sprechen.
Die Ausstellung ist Teil der 14. Europäischen Kulturtage, die bis zum 24. September 2017 unter dem Schwerpunkt Friesland stattfinden. Neben der Ausstellung bieten die Kulturtage ein umfangreiches Veranstaltungsprogramm aus Vorträgen, Performances, Lesungen, Musik und kulinarischen Angeboten. Weitere Infos auf der Webseite zur Veranstaltung.

Titelbild: Mila Teshaieva: Magnus at Vogelkoje, 2014, © Mila Teshaieva

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