Modelgalerie im Kunstgewerbemuseum:

„Kiek ma hier!“

Tanz- und Abendkleider 1920er- und 1930-Jahre in der Modegalerie des Kunstgewerbemuseums. Foto: Achim Kleuker
Tanz- und Abendkleider 1920er- und 1930-Jahre in der Modegalerie des Kunstgewerbemuseums. Foto: Achim Kleuker © Photographer: Achim Kleuker

Eine skurrile Begegnung erlebte unsere Redaktionspraktikantin Eva Kelley im wieder eröffneten Kunstgewerbemuseum am Kulturforum. Als sie sich dort die Modegalerie anschauen wollte, traf sie auf zwei echte Berlinerinnen mit einem sehr speziellen Modeverständnis.

An einem Dienstagmittag stehe ich im Kunstgewerbemuseum am Kulturforum. Ich will mir die neue Modegalerie anschauen, in der rund 150 Jahre Modegeschichte gezeigt werden. Um in die Galerie zu gelangen, muss der Besucher einen schwarzen Tunnelgang durchqueren, der eine irgendwie mysteriös erhabene Stimmung verbreitet. Während ich mich schon darauf freue, still und alleine durch die Räume schlendern zu können, quetschen sich zwei ältere Berliner Damen an mir vorbei. „Huch!“ sagen beide überrascht. „Is ja janz dunkel!“ War klar, denke ich mir, dass ich jetzt gleichzeitig mit zwei quasselnden Rentnerinnen durch die Ausstellung gehen muss. Hätte ich die Zigarette vorher nicht geraucht, wäre ich ein paar Minuten früher dagewesen und wäre jetzt alleine. Ich muss wirklich mal mit dem Rauchen aufhören.

Tanz- und Abendkleider 1920er- und 1930-Jahre in der Modegalerie des Kunstgewerbemuseums. Foto: Achim Kleuker
Tanz- und Abendkleider 1920er- und 1930-Jahre in der Modegalerie des Kunstgewerbemuseums. Foto: Achim Kleuker

Was mich erwartet weiß ich: Mode von 1840 bis heute. Die Ausstellung beginnt mit Ballkleidern und Tageskleidern aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Eine extreme Silhouette war damals angesagt: Enge Korsetts und riesige Reifröcke oder Krinolinen wurden getragen, um den Frauen eine elegantere Figur zu verleihen. Eine Tafel an der Wand erklärt: „Das Idealbild war das der zarten Frau, die im Haus wirkte und den gesellschaftlichen Status ihres Gatten repräsentierte.“ Die forschen Berlinerinnen hätten sich gegen diese Kleidung wahrscheinlich bis zum letzten Atemzug gewehrt. „Keen Wunder, dass die immer ohnmächtig jeworden sind. So zujeschnürt wie die waren,“ sagt eine der beiden. Ihre Freundin nickt zustimmend und fügt hinzu: „Die Mode wär für uns Breithüftijen aber elejant.“ Ich versuche mein Lachen zu unterdrücken und taufe die Damen „ Helga“ und „Angela“. Erscheint mir passend.

Ab 1869 kam die „Tournure“ ins Spiel und bestimmte gut zwanzig Jahre lang das Aussehen der Frauen. Eine Tournure ist ein formgebender Unterrock – quasi das Äquivalent zu den heutigen Po-Implantaten. „Diese Jesäßpolsterung und dit Korsett drückt dann die Brüste hoch“, erklärt Angela. „Die hatten ja nüscht. Die war´n ja alle sowat von plattbusig.“

Ich habe mich mittlerweile dafür entschieden, mich in der Nähe der beiden aufzuhalten und versuche unauffällig ihren Gesprächen zu folgen. Wir stehen vor einem luftigen, weißen Sommerensemble von 1866. Mich erinnert es an frisches Zitronenwasser, Rosen und ausgedehnte Nachmittagsspaziergänge. Ich werde durch den folgenden Kommentar aus meiner hübschen Fantasie gerissen: „Dit erinnert mich jetze aber an ´nen Küchentuch.“ Die Zweite erwidert: „Aber Baumwolle…Dit is doch nich´ schlecht.“ Diese Damen sollten Führungen geben. Der Laden wäre immer rappelvoll.

Sommerkostüme und ein Promenadenkleid in der Modegalerie des Kunstgewerbemuseums. Foto: Achim Kleuker
Sommerkostüme und ein Promenadenkleid in der Modegalerie des Kunstgewerbemuseums. Foto: Achim Kleuker

Ich schleiche weiter hinter meinen unwissentlichen Guides her. Die Kleider wirken wie in einem Aquarium aufgestellt, als wäre alles unter Wasser. Die schwarzen Wände und Böden erwecken bei mir den Eindruck, als sei ich mit einem Unterwasser-Flutlicht im tiefen Ozean auf Entdeckungstour, nur dass ich statt Riesenkraken und gigantischen Haifischen diese Kleiderschätze dort vorfinde. Helga und Angela reißen mich erneut aus meinen Gedanken.

„Dit soll informell sein, kieck ma´ hier!“ kreischt Helga. Wir stehen vor einem „informellen“ Ensemble: Enge Korsette und elegant fallende Kleider. „Nee, dit kann doch nich´ wahr sein. Aber diese Burlesque Tänzer tragen dit ooch…“ – “Keene Ahnung.“ – „Doch du, aber die sagen ooch, die sind froh wennse da wieder raus sind.“

Die Schnitte der Kleider werden nun lockerer und die Korsette breiter.
„Die kommen der heutijen Fijur schon näher“, sind sich die beiden Mode-Expertinnen einig. Wo sie Recht haben…
Im zweiten Teil der Ausstellung sehen wir Mode von 1900 bis 1945. Paul Poiret dominiert in dieser Zeit mit seinen Entwürfen. Der Pariser Designer verzichtete auf einschnürende Korsette und ließ sich von der Antike inspirieren: Hohe Taillen und lockere Röcke. Helga und Angela stehen vor einem Entwurf von 1925: „Dit hat schon was in Richtung Asiatisches.“
Wir gehen weiter.

Geheimnisvolle Klänge strömen aus einem versteckten Raum. Angela wird neugierig und folgt den Tönen. „Wass´n hier, Kino?“ fragt Helga. Angela brüllt zurück: „Da erklärt eene wat über Mode!“ Das scheint Interesse zu wecken. Beide sitzen nun auf Ledersesseln in dem Filmraum. Textilrestauratoren erzählen in dem Film über ihre Arbeit und erklären den Prozess der Kleiderherstellung. Helga und Angela scheinen sich eher über die Sitzmöglichkeiten zu freuen, als über den Film.

Kleider der 1960er-Jahre in der Modegalerie des Kunstgewerbemuseums. Foto: Achim Kleuker
Kleider der 1960er-Jahre in der Modegalerie des Kunstgewerbemuseums. Foto: Achim Kleuker

Langsam kriege ich das Gefühl, dass die Damen mir gegenüber argwöhnisch werden. Wir sitzen zu dritt im Filmraum und es scheint auffällig zu werden, dass ich jedes Mal in meinen Notizblock kritzele, wenn die beiden etwas sagen. Ich bin mir relativ sicher, dass ich in einem Streitgespräch mit diesen Urberlinerinnen maßlos unterliegen würde, also verziehe ich mich lieber und schaue mir den letzten Teil der Ausstellung alleine an. Ich laufe vorbei an kunstvoller Mode, die es verdient hat in einem Museum zu stehen. Dior, Ferragamo, Paco Rabane. Die Kleider werden immer freier, verrückter und vor allem: kürzer. Das sind nicht einfach nur Klamotten. Das ist Kunst.
Helga und Angela holen leider nicht auf. Schade, denn ich hätte gerne gewusst, was sie zu den Miniröcken gesagt hätten.

Kommentare

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  • Was für Schmuckstücke in dem Kunstgewerbemuseums! Richtig schöne Handarbeit und historisches Design. Dies dient mir als Inspiration für das Designen von Kleidung in Übergröße. Sehr schöne und interessante Schnitte und eine sehr empfehlenswerte Ausstellung.

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