Lieblingsstücke: Gesellschaft unerwünscht?

Während ihres Praktikums in der Alten Nationalgalerie stieß die angehende Kunsthistorikerin Caroline Knopke auf ein Gemälde, dem sie sich besonders verbunden fühlte. Und das, obwohl das Sujet alles andere als einladend wirkt …

Ein Rundgang durch die bekannten Ausstellungsräume der Berliner Museen und Galerien ermöglicht einem Besucher wie mir immer wieder neue Eindrücke und Entdeckungen. Besonders als Studentin der Kunstgeschichte stehe ich jederzeit vor der Herausforderung, mein neu gewonnenes Wissen aus Seminaren und Vorlesungen anzuwenden oder es erst einmal an den Originalen zu überprüfen. Als ich schließlich im Rahmen meines Praktikums in der Alten Nationalgalerie erneut eine kleine gedankliche Führung durch die Kunst des deutschen Realismus vornahm und den Ausstellungsraum mit Arbeiten des Leibl-Kreises erreichte, stieß ich auf Wilhelm Trübners Werk „Auf dem Kanapee“.

Wilhelm Trübner: Auf dem Kanapee (1872) (c) bpk / Nationalgalerie, SMB / Jörg P. Anders
Wilhelm Trübner: Auf dem Kanapee (1872)
(c) bpk / Nationalgalerie, SMB / Jörg P. Anders

Sog ins Interieur
Die junge Dame auf dem Ölgemälde von 1872 erregte augenblicklich meine Aufmerksamkeit. Ihr frontaler und eindringlicher Blick sowie die aufrechte Sitzhaltung tragen dazu bei, dass der Betrachter in das Interieur hineingezogen wird. Welche Umstände haben dazu geführt, dass ihre Gesichtszüge so entgleiten und ein Gefühl der Aufdringlichkeit im Betrachter entsteht? Ich fühle mich mehr als Eindringling denn als willkommene Gesellschaft und überlege, meinen Rundgang fortzusetzen. Einladend ist anders!

Ich bin mir unsicher, ob mir die im Bild dargestellte Fülle an Mustern und Stoffen, die Vielfalt der Blüten und deren Opulenz gefällt oder ob sie mich, wie die Dame in Schwarz, wohl eher erdrücken. Zarte Maiglöckchen verweilen in einer kleinen Vase auf dem Tisch, doch wartet bereits ein frischer und großblütiger Blumenstrauß darauf, eingewechselt zu werden. Das Buch, das vorsorglich auf die linke Seite des Kanapees gelegt wurde, bietet keinen Raum für Gesellschaft und bewahrt das Mädchen vor einer weiteren Einengung. Die flinken Pinselstriche des stofflichen Blattwerkes auf Bezug und Tapete und die unruhig gesetzten Karos der Tischdecke entwickeln eine scheinbar unaufhaltsame Dynamik, die lediglich durch das ruhige Wesen des Mädchens gebändigt werden kann. Das schwarze massive Kleid, das sie an eine Witwe erinnern lässt, löst sich offenbar in den Blumenstoff des Kanapees auf, wodurch ihre feste Gestalt zu verschwinden droht.

Detailansicht von Wilhelm Trübner: Auf dem Kanapee (1872) (c) bpk / Nationalgalerie, SMB / Jörg P. Anders
Detailansicht von Wilhelm Trübner: Auf dem Kanapee (1872)
(c) bpk / Nationalgalerie, SMB / Jörg P. Anders

Scham, Wut oder Selbstfindung?
Ihre rötlichen Wangen lassen vieles vermuten: Scham, da sie in einem scheinbar unbeobachteten Moment überrascht wurde oder ihr das Portraitieren fremd ist. Wut, weil sie nun endlich mit ihren Gedanken und ihrer Trauer allein gelassen werde möchte. Dass sie lediglich Rouge und Lippenstift aufgetragen hat, um sich schön und weiblich zu fühlen, ist angesichts des verhüllenden Kleides ebenfalls anzunehmen. Der weiße Halskragen, der an die Accessoires eines Rembrandt oder Velázquez erinnert, bedeckt die letzte nackte Stelle des jungen Körpers und damit ihre Weiblichkeit. Die zarte Gesichtsröte kann aber ebenso als Zeichen der Unschuld und Jugend gedeutet werden, die mit einer beginnenden Selbstfindung einhergeht.

Detailansicht von Wilhelm Trübner: Auf dem Kanapee (1872) (c) bpk / Nationalgalerie, SMB / Jörg P. Anders
Detailansicht von Wilhelm Trübner: Auf dem Kanapee (1872)
(c) bpk / Nationalgalerie, SMB / Jörg P. Anders

Warum mich Trübners Gemälde so nachhaltig beschäftigt, liegt in der unklaren, ja sogar mysteriösen Stimmung begründet, die von der Portraitierten ausgeht. Ob es sich um eine Witwe, um ein eigensinniges Mädchen oder um eine Geliebte mit zwei Verehrern handelt, deren Blumensträuße sich bereits häufen, bleibt ungewiss. Als junge Frau desselben Alters fühle ich mich auf eine ungewöhnliche Weise mit ihr verbunden; ganz egal, ob sie mich zum Verweilen einlädt oder nicht.

Kommentare

    Kommentare

  • Für mich birgt der direkte, intensive Blick eine deutliche Herausforderung!
    Ausgesprochen wäre es ein: „Was denn noch?“
    Es schwingt definitiv eine Traurigkeit mit und für mich wirkt es so, als würde sie gerne ungestört bleiben!

    Danke für die schöne Interpretation des Bildes!

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