Neue Nationalgalerie: „Den Mies-Tempel zerlegen“

Die Neue Nationalgalerie wird erstmals seit ihrer Eröffnung vor 50 Jahren grundlegend saniert. Vor den Fachleuten liegt eine logistische und bauliche Mammutaufgabe, die die nächsten dreieinhalb Jahre dauern wird. Ein letzter Blick ins intakte Haus mit dem Leiter Joachim Jäger und dem Architekten Martin Reichert.

Glaubt man Martin Reichert, dann liegt es am Respekt vor der von Ludwig Mies van der Rohe entworfenen „Ikone der Moderne“, dass die Neue Nationalgalerie in nahezu 50 Jahren keine nennenswerten Veränderungen erfahren hat. Der intensive Ausstellungsbetrieb mit Millionen von Besuchern seit der Eröffnung 1968 habe dem Haus jedoch viel abverlangt. Eine Sanierung und behutsame Modernisierung des berühmten Denkmals ist nun mehr als überfällig.

Gemeinsam mit dem für das Projekt zuständigen Partner bei David Chipperfield Architects und Joachim Jäger, dem Leiter der Neuen Nationalgalerie, sind wir vor Ort und werfen einen letzten Blick in das Haus, bevor die Baukolonne anrückt. Bei dieser Gelegenheit erfahren wir, was hier in den nächsten dreieinhalb Jahren passieren wird und welche Herausforderungen mit der Sanierung verbunden sind

Joachim Jäger, Leiter der Neuen Nationalgalerie, im Gespräch. Foto: Juliane Eirich
Joachim Jäger, Leiter der Neuen Nationalgalerie, im Gespräch. Foto: Juliane Eirich

Das Vermächtnis des Ludwig Mies van der Rohe
Die Errichtung der Neuen Nationalgalerie begann im September 1965. Mies van der Rohe war zu diesem Zeitpunkt bereits ein weltberühmter Architekt – Bauhaus-Veteran und Vordenker der architektonischen Moderne. Die Neue Nationalgalerie war der Höhepunkt seines Schaffens, sein Vermächtnis: Mit der großen, offenen Halle und dem scheinbar schwebenden Dach schließt sie eine ganze Reihe von Bauten ab, die sich mit dem stützenlosen Hallenraum ohne fest definierte Funktion beschäftigten. Gleichzeitig ist die Neue Nationalgalerie das einzige Gebäude, das Mies nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland umsetzte.

Und es war sein letztes. Der gesundheitlich angeschlagene Meister lebte schon lange in Chicago und war nur zweimal auf der Baustelle: einmal zur Grundsteinlegung 1965 und einmal zwei Jahre später, anlässlich des wohl spektakulärsten Moments im gesamten Bauvorhaben: der hydraulischen Anhebung des gigantischen Stahldachs. Zur Eröffnung 1968 konnte Mies bereits nicht mehr anreisen, ein Jahr später starb er und erlebte nicht mehr, wie sein Bau zusammen mit der Philharmonie die Keimzelle des Kulturforums bildete. Inhaltlich war das Haus an das New Yorker Museum of Modern Art angelehnt und von vornherein für die Kunst des 20. Jahrhunderts konzipiert. Nun ist es leer, nur noch wenige Räume sind möbliert, so wie der elegante Besprechungsraum mit großer Glasfassade und Blick in den Skulpturengarten.

Gravierende Mängel in Gebäudetechnik und Bausubstanz
„Der Museumsbetrieb hat sich seit den 1960er Jahren sehr verändert“, erklärt Joachim Jäger, „daher muss die Infrastruktur komplett überholt werden.“ Der Sanierungsbedarf beginnt bei abgenutzten Teppichen und porösen Wänden, er betrifft Garderoben, Kassen und andere Service-Einrichtungen, die nicht für den heutigen Betrieb eines Museums ausgelegt sind, und er endet bei technisch-baulichen Aspekten wie Klimatisierung, Sicherheit und Brandschutz. Die gravierendsten Mängel liegen im Bereich der Gebäudetechnik und in der Bausubstanz, wie Jäger feststellt: „Es regnet herein.“

Martin Reichert, Partner bei David Chipperfield Architects, im Gespräch. Foto: Juliane Eirich
Martin Reichert, Partner bei David Chipperfield Architects, im Gespräch. Foto: Juliane Eirich

Die Sanierung beginnt im Januar und im Frühling und Sommer wird die Baustelle auch nach außen hin deutlich sichtbar sein. Dann werden die Granitplatten auf der Terrasse entfernt und die Fassaden demontiert, um den Rohbau freizulegen. Im Spätherbst 2016 wird nur noch das „Skelett“ des Gebäudes sichtbar sein. „Um die Dämmung und Dichtung der Gebäudehülle zu erneuern, müssen wir bis auf den Rohbau zurückgehen“, erklärt Architekt Reichert, während wir durch das leere Haus schreiten. Anschließend erfolgt eine Sanierung des Stahlbetons, denn das Material war in den 1960er Jahren nicht von überragender Qualität, wie Reichert weiß: „Das ist ein gängiges Thema bei Bauten aus dieser Zeit.“

Die originalen Materialien und Interieurs bleiben erhalten
Parallel hierzu wird auch im Innern des Hauses gearbeitet. „Die gesamte technische Gebäudeausrüstung ist am Ende ihrer Lebenszeit“, sagt Reichert, „dies betrifft insbesondere alle Kanäle, Trassen, Leitungen, Rohre und Schächte.“ So müssen etwa die defekten Fußbodenheizungen erneuert und die gesamte Raumlufttechnik modernisiert werden, um die Klimatisierung der Ausstellungsräume an heutige internationale Standards anzupassen. Auch das weitverzweigte System der Grundleitungen, das in der Bodenplatte des Gebäudes liegt, muss aufwendig freigefräst und erneuert werden.

Die originalen Materialien und Interieurs bleiben dabei erhalten: Die Granitplatten der Terrasse und der großen Halle werden restauriert, alle Holzverkleidungen wieder verwendet und historische Möbel, wie etwa die berühmten Barcelona Chairs aufgearbeitet. „Die Bewahrung der ursprünglichen Ästhetik und Materialien ist bei solch einem ikonischen Haus sehr wichtig“, erklärt Jäger. Es ist eine logistische Mammutaufgabe : Über 10.000 Objekte werden demontiert, erfasst und zentral eingelagert, bevor sie schließlich auf spezialisierte Werkstätten verteilt und restauriert werden. Anschließend kommt alles anhand penibel geführter Rückverortungs-Pläne wieder exakt an seinen Ursprungsort. „Wir zerlegen den Tempel einmal in seine Einzelteile und setzen ihn dann wieder zusammen“, sagt Martin Reichert.

Sämtliche Kunst wird aus den Räumen der Neuen Nationalgalerie abtransportiert, bevor die tatsächlichen Bauarbeiten beginnen. Foto: Juliane Eirich
Sämtliche Kunst wird aus den Räumen der Neuen Nationalgalerie abtransportiert, bevor die tatsächlichen Bauarbeiten beginnen. Foto: Juliane Eirich

Scheiben aus China
Eine besondere Herausforderung stellt die obere Halle dar, die in ihrer Offenheit den eigentlichen Mythos des Baus begründet. Hier prallen die Anforderungen von Museum und Denkmal hart aufeinander. Als lichtdurchfluteter Raum ist die Halle im Grunde für lichtempfindliche Kunstwerke ungeeignet. In enger Abstimmung zwischen Nationalgalerie und Architekten wurde jedoch entschieden, nichts zu verändern und nur die Stahl- und Glashülle weiter zu ertüchtigen. Die Scheiben bilden dabei ein eigenes Sanierungskapitel: Sie werden heute nur noch von einer einzigen, chinesischen Firma hergestellt. „Die Scheiben einzeln zu bestellen, war immer zu teuer“, meint Jäger, „deswegen entstand über die Jahre ein regelrechter Flickenteppich an Scheiben unterschiedlicher Größe und Tönung. Jetzt nutzen wir die Gelegenheit, endlich alle Scheiben auszutauschen und wieder die originale Anmutung der oberen Halle herzustellen.“

Wenn alles nach Plan läuft, wird das Haus 2020 wiedereröffnet – gewappnet für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, aber ohne seinen ursprünglichen Charme verloren zu haben. Auch inhaltlich profitiert das Museum von der Sanierung: Ein Durchgang zum Neubau der Nationalgalerie, der ebenfalls am Kulturforum entsteht, soll langfristig die verschiedenen Sammlungsbestände des 20. Jahrhunderts wieder vereinen. „So wird man in Zukunft die Kunst des 20. Jahrhunderts, von der Klassischen Moderne bis in die internationalen Entwicklungen der 1990er Jahre in einem Durchgang erleben können“, schwärmt Joachim Jäger. Da lohnt sich doch das Warten.

Der ehemalige Museumsshop war ein Provisorium und entsprach nicht modernen Anforderungen - er wird im Rahmen der Sanierung neu konzipiert. Foto: Juliane Eirich
Der ehemalige Museumsshop war ein Provisorium und entsprach nicht modernen Anforderungen – er wird im Rahmen der Sanierung neu konzipiert. Foto: Juliane Eirich
Die berühmte obere Halle der Neuen Nationalgalerie wird bis auf ihr Stahlskelett demontiert. Foto: Juliane Eirich
Die berühmte obere Halle der Neuen Nationalgalerie wird bis auf ihr Stahlskelett demontiert. Foto: Juliane Eirich
In den Kellern und Betriebsräumen der Neuen Nationalgalerie offenbart sich, dass die Gebäudetechnik teilweise veraltet und
In den Kellern und Betriebsräumen der Neuen Nationalgalerie offenbart sich, dass die Gebäudetechnik teilweise veraltet und „am Ende ihrer Lebenszeit“ angekommen ist. Foto: Juliane Eirich
Anlagen wie diese Lüftungsrohre, die tief in den Eingeweiden des Mies-Baus schlummern, sind einer der Gründe für die umfassende Sanierung. Foto: Juliane Eirich
Anlagen wie diese Lüftungsrohre, die tief in den Eingeweiden des Mies-Baus schlummern, sind einer der Gründe für die umfassende Sanierung. Foto: Juliane Eirich
Die technische Ausstattung der Neuen Nationalgalerie ist teilweise noch aus den Sechziger Jahren und entspricht nicht einem modernen Museumsbetrieb. Foto: Juliane Eirich
Die technische Ausstattung der Neuen Nationalgalerie ist teilweise noch aus den Sechziger Jahren und entspricht nicht einem modernen Museumsbetrieb. Foto: Juliane Eirich
Die technische Ausstattung der Neuen Nationalgalerie ist teilweise noch aus den Sechziger Jahren und entspricht nicht einem modernen Museumsbetrieb. Foto: Juliane Eirich
Die technische Ausstattung der Neuen Nationalgalerie ist teilweise noch aus den Sechziger Jahren und entspricht nicht einem modernen Museumsbetrieb. Foto: Juliane Eirich

Dieser Artikel erschien auch in der Museumszeitung der Staatlichen Museen zu Berlin, Ausgabe 1 / 2016.

Kommentare

    Kommentare

    • Liebe Frau Vogt, das Gebäude ist bereits beräumt und es finden leider keine Führungen mehr statt.

      Herzliche Grüße aus der Redaktion

  • War letztes Jahr dabei als das Projekt vorgestellt wurde und die Entstehung des Gebäudes durch Dirk Lohan, Enkel von Mies, der damals das Projekt begleitet hatte, in einem spannenden Vortrag beschrieben wurde. David Chipperfield erläuterte sein Konzept für die Renovierung, bzw. Restaurierung mit Hilfe einer grafischen before and after Darstellung. Es gibt jeden Grund zu glauben, dass das Projekt in allerbesten Händen ist. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Politik nicht hineinmischt, dass somit Kosten und Termine bei vielem Unvorhergesehenem nicht aus dem Ruder laufen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

* Ich bin damit einverstanden, dass meine Daten ausschließlich für die Anfrage genutzt werden. Insbesondere erfolgt keine Weitergabe an unberechtigte Dritte. Mir ist bekannt, dass ich meine Einwilligung jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen kann. Dies kann ich über folgende Kanäle tun: per E-Mail an: kommunikation[at]smb.spk-berlin.de oder postalisch an: Staatlichen Museen zu Berlin – Generaldirektion, Stauffenbergstraße 41, 10785 Berlin. Es gilt die Datenschutzerklärung. der Staatlichen Museen zu Berlin, die auch weitere Informationen über Möglichkeiten zur Berichtigung, Löschung und Sperrung meiner Daten beinhaltet.

Kommentare