Stück für Stück. Die Neue Nationalgalerie ist beräumt

Seit einem Jahr ist die Neue Nationalgalerie geschlossen. Vieles ist in diesem Jahr passiert. Die umfangreichste Maßnahme stellte die vollständige Beräumung dar. Unsere Redakteurinnen Constanze von Marlin und Anne Schmedding haben Eindrücke vom Auszug der Kunst und der Möbel gesammelt und die Mitarbeiter an ihrem neuen Arbeitsplatz besucht.

Jeder ist schon umgezogen und weiß, wie viel Stress das bedeutet: Erst muss man eine neue Wohnung finden, alles muss sortiert werden und am Ende müssen doch viel mehr Kartons gepackt werden als gedacht und jeder Gegenstand wird dabei einzeln in die Hand genommen und verstaut. Ähnlich ging der Auszug eines der bedeutendsten Museen der klassischen Moderne vonstatten, nur in einem ganz anderen Ausmaß. Immerhin 1.450, zumeist exquisite und einzigartige Werke befanden sich bis letzten Sommer in Ausstellungsräumen, im Skulpturengarten, auf der Terrasse sowie in den 600 qm großen hauseigenen Depots der Neuen Nationalgalerie.

Wie plant man den Transport von 1.441 Kunstwerken?
Ab Frühjahr 2015 wurden all diese Werke zunächst von einem eigens berufenen Team aus Restauratoren gesichtet. Über die häufig ausgestellten und viel gereisten Hauptwerke, wie die Bilder von Beckmann oder Kirchner, waren natürlich bereits umfangreiche Informationen vorhanden. Doch bei einer Vielzahl an Kunstwerken wusste man nichts über deren Transporttauglichkeit, besonders natürlich bei den fest verankerten Skulpturen auf der Terrasse. Eine derart umfassende restauratorische Dokumentation der Kunstwerke war im laufenden Ausstellungsbetrieb nicht zu bewerkstelligen.

Gemälde aller Art, fragile Objekte und Skulpturen in allen Größen mussten nicht nur auf aktuelle Schäden untersucht werden. Vor allem galt es die Verpackungs- und Transportbedingungen festzulegen. Bei einigen Werken gilt besondere Vorsicht: Wie kann ein blaues Bild von Yves Klein bewegt werden, wenn schon bei einer normalen Hängung im Museum feinste Farbpartikel beginnen, sich vom Untergrund zu lösen? Muss die Kunst für den Transport also vorab besonders behandelt werden, welche anderen Schutzmaßnahmen sind möglich und nötig? Transport in Kisten, Luftpolsterfolie, mit Transportbändern oder auf Rollen? Bei großen Werken musste entschieden werden, ob sie im Ganzen oder demontiert transportiert werden.

Vor allem die Skulpturen stellten das Team der Neuen Nationalgalerie gemeinsam mit der Baubehörde, dem Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR), vor große Herausforderungen. „Berlin Block for Charlie Chaplin“ heißt eine neun Tonnen schwere Skulptur von Richard Serra, die bis zum Herbst 2015 auf der Terrasse stand. Wie sollte dieser schwere Quader aus geschmiedetem Eisen überhaupt angehoben werden? Nach Freilegung der Fundamente gelang es schließlich, die Tragriemen unter dem Objekt durchzuziehen, so dass das Kunstwerk durch die Luft auf einen Tieflader gehoben werden konnte. „Die Transportinventarisierung und -vorbereitungen waren außerordentlich komplex und hielten Überraschungen parat“, fasst Arne Maibohm, der zuständige Projektleiter für die Grundinstandsetzung beim BBR, diese spannende Phase zusammen. „Trotzdem konnten wir im Zeitplan bleiben.“

Was soll mit den zahlreichen Möbeln geschehen?
Auf andere Art und Weise kompliziert war der Umgang mit dem Mobiliar, da hier vieles noch nicht einzeln erfasst worden war. „Schon im Jahr 2008 hatten wir eine erste Bestandsaufnahme der Ausstattung gemacht, um zu sehen, wie viel noch original aus den 1960er Jahren stammt“, so Joachim Jäger, der Leiter der Neuen Nationalgalerie. Vielen bekannt sind die berühmten Barcelona-Sessel, die der Architekt Ludwig Mies van der Rohe anlässlich des Deutschen Pavillons auf der Weltausstellung in Barcelona 1929 entwarf und die als Sitzgelegenheiten im Museum standen. Die millionenfache Nutzung der Mies-Möbel durch die Besucher hat ihre Spuren hinterlassen. Manches hat dadurch eine Patina erhalten, manches ist aber schlicht nicht mehr benutzbar.

Bei jedem Stück gilt es abzuwägen, ob man eher restauriert oder neu ansetzt. Vorerst wurden alle historischen Möbel eingelagert. Aber es sind auch Besprechungstische im Verwaltungsbereich, Sitzbänke in den Ausstellungsräumen, Buchregale der hauseigenen Bibliothek und vieles mehr, die ihren Wert daraus ziehen, dass sie zwar nicht von Mies selbst entworfen wurden, aber zur originalen Grundausstattung des Hauses zählen und somit ebenfalls zum Denkmal gehören. Auch ganz einfache industriell gefertigte Möbel sind darunter – denn schon damals musste man an der einen oder anderen Ecke sparen.

Wohin mit Kunst, Möbeln und Mitarbeitern?
Der Auszug von Kunst, Möbeln und Mitarbeitern ist die Voraussetzung dafür, dass es mit den Bauarbeiten jetzt richtig losgehen kann. Aber wo soll alles hin? Komplex war 2015 nicht nur die Bestandsaufnahme und Transportvorbereitung, sondern auch die Frage der Lagerung während der Bauzeit. In den anderen Häusern der Nationalgalerie und in einem Außendepot konnten eine ganze Reihe von Kunstwerke unterkommen. Aber auch externe Depots kamen hinzu, alles unter strenger Prüfung der benötigten klimatischen und konservatorischen Bedingungen. Die Kunst darf unter dem Umzug nicht leiden, die wertvollen Möbelstücke und bauzeitliche Ausstattung ebenso wenig.

Und die Mitarbeiter? Der Museumsleiter, die Kuratoren, Restauratoren, Registrare, Depotmitarbeiter und das Sekretariat haben ihre temporäre Heimat weitgehend im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin gefunden, aber auch in der Sammlung Scharf-Gerstenberg und der Alten Nationalgalerie. Im Hamburger Bahnhof mussten die notwendigen Räume durch Verdichtung vorhandener Nutzungsbereiche und Umbauten erst geschaffen werden. „Wir freuen uns darüber, nach den intensiven Umzugsmonaten in der leeren Neuen Nationalgalerie nun wieder in einem lebendigen Haus mit vielen Besuchern zu arbeiten“, sagt Joachim Jäger. Zuletzt kam ihm die Neue Nationalgalerie ohne die Skulpturen auf der Terrasse und im Garten seltsam verwaist vor.

Doch das leere Haus ist nun bereit für die vielen großen und kleinen Eingriffe: den Rückbau bis auf den Rohbau, den Einbau zeitgemäßer technischer Anlagen, den Austausch von Materialien und neue Einbauten. Es wird ein intensiver Prozess bis zur geplanten Wiedereröffnung im Jahr 2020.

Text: schmedding.vonmarlin.

Foto: schmedding.vonmarlin.
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