Wie Julius Lessing erster Direktor des Kunstgewerbemuseums wurde

Eigentlich hatte sich Julius Lessing der Klassischen Archäologie verschrieben, doch es sollte anders kommen. Mit der Gründung des Kunstgewerbemuseums 1867 entstand erstmals in Deutschland eine Institution, die sich wissenschaftlich mit Kunsthandwerk und Gestaltung auseinandersetzte.

Text: Sabine Thümmler

Julius Lessing war der Mann der Stunde. Nachdem Kronprinzessin Victoria 1867 die Gründung des Kunstgewerbemuseums beauftragt hatte, wurde wenig später ein Direktor der Sammlungen der neuen Trias aus Schule, Bibliothek und kunstgewerblichen Sammlungen gesucht – und der Kunsthistoriker Lessing war mit seiner breitgefächerten Expertise von der Ästhetik der Griechen bis zum zeitgenössischen Kunstgewerbe genau richtig.

Textile Wurzeln
Den besonderen Blick für Gestaltung entwickelte Lessing schon in Kindertagen. Am 20. September 1843 wurde er in Stettin geboren. Nach dem frühen Tod seines Vaters, ein Textilkaufmann, arbeitete seine Mutter trotz Zuwendungen durch die Familie, um ihren drei Söhnen eine gute Erziehung bieten zu können. Unter anderen führte sie Handarbeiten für ein Stickereigeschäft aus. Julius half ihr dabei und lernte sämtliche Arten von weiblichen Handarbeiten, die ihm später bei seinen Teppichstudien nützlich sein sollten, wie er in seinen Memoiren schreibt: „So hat die Arbeit meiner Mutter in ganz unberechenbarer Weise mit Jahrzehnte später die Wege geebnet.“

Julius Lessing, erster Direktor des Kunstgewerbemuseums, im Renaissancesaal, 1903 (Foto: bpk/Hans Franke)
Julius Lessing, erster Direktor des Kunstgewerbemuseums, im Renaissancesaal, 1903
(Foto: bpk/Hans Franke)

Der Weg führte Lessing im Herbst 1861 zum Studium nach Berlin, wo er klassische Philologie belegte um Gymnasiallehrer zu werden. Die Interessen Lessings erweiterten sich jedoch bald auf die klassische Archäologie. Die Betrachtung von Skulpturen und den dargestellten Menschen, von Bronzen, Tonwaren und Schmuckstücken wurde zum wissenschaftlichen Rückgrat seiner späteren Arbeiten zum Kunstgewerbe. Nach einem Wechsel nach Bonn begann Lessing 1865 mit einer Promotion über Todesdarstellungen auf griechischen Vasen. Er ergriff die Gelegenheit an einem Kolleg über die Kunst der Renaissance teilzunehmen.

Neue Ideen
Zu dieser Zeit war die sogenannte neue Kunstgeschichte ein neues Fach, das es in Berlin noch nicht gegeben hatte. Erste Anstöße zur Auseinandersetzung mit dem Kunstgewerbe bekam Lessing über die Lektüre von „Der Stil“, einer Schrift des berühmten Dresdner Architekten Gottfried Semper. Sie eröffnete ihm andere, nicht nur aus der griechischen Kunst abgeleiteten Denkansätze, denn sie behandelte Material, Zweck und Technik als stilbildende Elemente. Dies waren zu Lessings Zeit wahrlich neue Ideen.

1866 kam Lessing aus dem Rheinland zurück nach Berlin, ging jedoch bald nach London und setzte dort zunächst seine archäologischen Studien fort. Doch eine weitere Karriere in England zerschlug sich, als er wegen der Wehrpflicht noch im selben Jahr zurück nach Deutschland musste, wo Preußen im „Deutschen Krieg“ mit Österreich um die Vorherrschaft rang. Lessing hatte Glück: Er wurde ausgemustert und musste nicht an die Front; stattdessen fasste er in Berlin den Plan, sich im Fach Archäologie zu habilitieren.

Berichte von der Weltausstellung
Um Geld zu verdienen verdingte er sich als Journalist für das liberale Tagesblatt „National-Zeitung“, eine der auflagenstärksten Zeitungen Berlins. Er schrieb Berichte über bildende Kunst, Sitzungen von Kunstvereinen, die Museen und in der Folge auch Beiträge für andere Zeitschriften und Jahrbücher. 1867 bekam Lessing im Zuge dieser Tätigkeiten auch die Chance über die Weltausstellung in Paris zu schreiben. Später erinnert er sich positiv an diese Zeit zurück: „Meine Berichte machten in Berlin den bestdenkbaren Eindruck, es war wohl zum ersten Mal, dass über Möbel, Metallwaren, Töpferei und jegliche Kleinkunst geschrieben wurde.“

Aufgrund der großen Resonanz seiner Zeitungsartikel, die ihm gemeinsam mit seiner wissenschaftlichen Erfahrungen den Ruf eines überaus kompetenten Fachmannes einbrachten, wurde Lessing von Martin Gropius eingeladen, Vorträge im neu gegründeten Gewerbe-Museum zu halten. 1872 wurde er schließlich Direktor der Sammlungen unter Conrad Grunow, der im selben Jahr als erster Direktor die Gesamtleitung übernahm. Am Ende seiner Lebensgeschichte schreibt Julius Lessing, dass „ für das ganz neue Fach des Kunstgewerbes ein neuer Mann gefunden werden musste. Und der war ich.“

Sabine Thümmler, Direktorin des Kunstgewerbemuseums, vor „Casablanca“ von Ettore Sottsass aus dem Jahr 1981; Foto: Staatliche Museen zu Berlin / Kunstgewerbemuseum
Sabine Thümmler, Direktorin des Kunstgewerbemuseums, vor „Casablanca“ von Ettore Sottsass aus dem Jahr 1981; Foto: Staatliche Museen zu Berlin / Kunstgewerbemuseum

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