Food Revolution:

„Wollen Sie in einer essbaren Stadt leben?“ Food Revolution im Kunstgewerbemuseum

Prinzessinnengärten in Berlin Kreuzberg (c) Marco Clausen
Prinzessinnengärten in Berlin Kreuzberg (c) Marco Clausen

Das Kunstgewerbemuseum ruft die „Food Revolution 5.0“ aus – Teil der Ausstellung rund um die Ernährung der Zukunft sind auch Talks mit Fachleuten zu diversen Themen. Die Wissenschaftliche Mitarbeiterin Neila Kemmer war bei einer Runde zur „Essbaren Stadt“ dabei.

Text: Neila Kemmer

„Wollen Sie in einer Essbaren Stadt leben?“ fragt Moderator Wilfried Bommert vom Institut für Welternährung in die Runde, die sich an diesem Abend im Kunstgewerbemuseum um einen großen Tisch zusammengefunden hat. Die Anwesenden sind sich einig: Ja, wir wollen schon. Aber ist eine essbare Stadt überhaupt möglich? Und wenn ja, wie könnte sie aussehen und wie kann sie Realität werden?

Über diese Fragen wollen die Expertinnen und Experten diskutieren, die der Einladung der „Food Revolution 5.0“ zum Fishbowl-Talk gefolgt sind: Mit dabei sind Svenja Nette von den Kreuzberger Prinzessinnengärten und Kai Gildhorn vom Ernte-AktivistInnen-Portal Mundraub , Bernhard Watzl vom ernährungswissenschaftlichen Max Rubner-Institut in Karlsruhe, die Landschaftsarchitektin Katrin Bohn, die mit Studierenden der TU Berlin für die Ausstellung eine Essbare Terrasse im Kunstgewerbemuseum angelegt hat, Hendrik Monsees vom Leibniz-Institut für Binnenfischerei und Gewässerökologie, dessen Aquaponik-Modell Teil der Ausstellung ist und Volkmar Keuter vom Fraunhofer-Institut UMSICHT, von dem die Indoor-Salat-Farm stammt. Es ist eine bunt gemischte Gruppe, die geballte Kompetenz erwarten lässt, und im Gespräch wird schnell klar: Die Zugänge zum Thema Ernährung sind ganz unterschiedlich.

Wollen sie in einer Essbaren Stadt leben? Der Moderator Wilfried Bommert und Katrin Bohn sind wie fast alle Anwesenden dafür. © Staatliche Museen zu Berlin/Kunstgewerbemuseum
Wollen sie in einer Essbaren Stadt leben? Der Moderator Wilfried Bommert und Katrin Bohn sind wie fast alle Anwesenden dafür.
© Staatliche Museen zu Berlin/Kunstgewerbemuseum

Hightech oder Hochbeete?
Das zeigen auch die erwähnten Exponate, die einige der Teilnehmer mit in die Ausstellung gebracht haben: Sie verfolgen unterschiedliche, beinahe entgegengesetzte Richtungen im Bereich alternativer Anbaumöglichkeiten. Sowohl die auf geschlossenen, sich gegenseitig speisenden Systemen basierende Aquaponik wie auch die bereits über die Szene hinaus bekannten Konzepte des Vertical- und Indoor-Farming sind technologische Entwicklungen, mit denen Lebensmittel auf engem Raum produziert werden können. Um Prozesse zu optimieren, setzen sie unter anderem auf Kreisläufe und gehen daher mit Ressourcen deutlich sparsamer um als herkömmliche Produktionssysteme. „Es ist dennoch ein sehr energieintensives Kultivierungsmodell“, wendet der Fraunhofer-Forscher Volkmar Keuter ein. „Diese Systeme sind häufig in Gebäude integriert. Dort benötigen sie künstliche Beleuchtung, Klimatisierung und mehr.“

Diesen Hightech-Entwicklungen stehen die Hochbeete auf der Terrasse des Kunstgewerbemuseums gegenüber. Sie setzen auf natürliches Pflanzenwachstum in Abhängigkeit von Sonneneinstrahlung, Witterung und händischer Pflege. „Selbst Hand anzulegen und die Entwicklung der eigenen Nahrung vom Samenkorn bis zur Ernte mitzuerleben, schafft ein Bewusstsein für die Zyklen der Natur“, betont auch Kai Gildhorn von der Online-Plattform Mundraub. Dieses Bewusstsein ist auch ein besonderer Gewinn des Portals. Svenja Nette von den Prinzessinnengärten ist vor allem wichtig, sich im sonst oft toten Stadtraum mit Lebendigkeit zu umgeben und ein Gefühl der eigenen Wirksamkeit zu generieren. Für urbanen Gartenbau gibt es viele mögliche Orte, vom Balkon bis zum Straßenrand vor der eigenen Haustür. Aber hat die Stadt gegenüber dem Land nicht besonders einen Nachteil: die stärkere Belastung der Pflanzen durch Abgase und andere Verunreinigungen?

Volkmar Keuter vom Fraunhofer-Institut UMSICHT und Hendrik Monsees vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei stellen die Indoor-Farming-Systeme vor, die ihre Institute entwickeln. © Staatliche Museen zu Berlin/Kunstgewerbemuseum
Volkmar Keuter vom Fraunhofer-Institut UMSICHT und Hendrik Monsees vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei stellen die Indoor-Farming-Systeme vor, die ihre Institute entwickeln. © Staatliche Museen zu Berlin/Kunstgewerbemuseum

Wie gesund ist in der Stadt angebautes Essen?
„Da es hier vor allem um Obst und Gemüse geht, wovon wir durchschnittlich zu wenig verzehren, lässt sich diese Frage grundsätzlich mit Ja beantworten“, sagt der Ernärungswissenschaftler Bernhard Watzl. (BILD 5) Er beschäftigt sich mit gesunder Ernährung und hält übrigens die Leber – allein von den Inhaltstoffen her – für das beste „Superfood“. „Das Gärtnern wirkt sich in jedem Fall positiv auf unser Ernährungsverhalten aus“, so der Fachmann weiter, „denn jemand, der sich beim Anbau schon mit seinem Essen auseinandersetzt, trifft auch sonst reflektierte Entscheidungen darüber, was er zu sich nimmt.“ Daher seien grundsätzlich auch die Nahrungsmittel empfehlenswert, die am Rand einer vielbefahrenen Straße angebaut werden. „Es ist besser Gemüse zu essen, das vielleicht auch in Straßennähe angebaut ist, als gar kein Gemüse zu essen“, ergänzt Watzl und verweist auf die Top-Killer der Zivilisation: Herz-Kreislauf-Krankheiten und Diabetes.

Die Kosten-Nutzen-Rechnung des städtischen Anbauens scheint eindeutig auszufallen, dennoch spielen Schadstoffe natürlich eine Rolle. In Urban-Gardening-Projekten wie den Prinzessinnengärten wird nicht zuletzt deshalb auf Hochbeete, Pflanzkisten und ausgediente Reissäcke zurückgegriffen; auf den Trümmern des ehemaligen Wertheim-Kaufhauses am Moritzplatz möchte man dann doch kein Gemüse anbauen – wer weiß, was dort noch im Boden ist. Da auch nach vielen Jahren der Nutzung noch immer nicht geklärt ist, ob der Gemeinschaftsgarten dauerhaft an diesem Ort bleiben kann, bietet die Unterbringung der Beete in Kisten den zusätzlichen Vorteil der Mobilität. Das Beispiel zeigt: Die Flächensicherheit für städtische Gärten ist ein wichtiger Aspekt, der von der Politik auf die Tagesordnung genommen werden muss, um die Idee der Essbaren Stadt Realität werden zu lassen.

Wie kommen wir zu einer Essbaren Stadt?
Überhaupt, die Politik: Kann man mit ihr rechnen, wenn es um die essbare Stadt geht? „Bisher gibt es kaum Forschung zu den positiven Effekten des Stadt-Gärtnerns“, stellt die Urban Designerin Katrin Bohn fest, „dadurch fehlen der Politik Studien, die etwa auf kommunaler Ebene den Sinn einer Nutzung innerstädtischer Flächen als Gärten belegen.“

Dass es noch recht wenig Forschung gibt, liegt auch daran, dass die Essbare Stadt ein junges Konzept ist, das seine Wurzeln in der Praxis hat. Erst langsam kommen die Inhalte in Wissenschaft und Politik an. Bei Urbaner Landwirtschaft geht es gerade nicht nur um private Selbstversorgung. Laut einer Studie, die Katrin Bohn zitiert, könnten in einer dichtbesiedelten europäischen Stadt wie Berlin zwischen 20 und 30 Prozent des Obst- und Gemüsebedarfs innerhalb der Stadt produziert werden.

Selbst etwas vom Baum zu pflücken, rührt an unser Jäger-und-Sammler-Gen, meint Kai Gildhorn. © Staatliche Museen zu Berlin/Kunstgewerbemuseum
Selbst etwas vom Baum zu pflücken, rührt an unser Jäger-und-Sammler-Gen, meint Kai Gildhorn. © Staatliche Museen zu Berlin/Kunstgewerbemuseum

„Das ist jede dritte Gurke!“ verdeutlicht Bohn. Dafür müssen Flächen gefunden und bereitgestellt werden. Das können Dächer, stillgelegte Industriegelände, umgenutzte Parks oder andere Grünflächen sein. Und es müssen neue Lagerungsformen entwickelt werden, weil wir mit dieser Art der Produktion wieder an einen saisonalen Kreislauf gebunden wären. Dies wiederum bedeutet auch, dass wir uns die Frage stellen müssen, was und wie wir essen wollen: Wollen wir die luxuriöse Auswahl an Produkten oder werden wir bescheidener und passen uns den Gegebenheiten an, die eine nachhaltigere Art der Nahrungsmittelproduktion mit sich bringt?

4.800 m² pro Person in Europa
Ein Gemeinschaftsgarten, so ergänzt Nette, ist vor dem Hintergrund kein Ort, an dem nennenswerte Mengen produziert werden können. „Doch ähnlich wie es in den USA bereits Realität ist, könnten die Städte bald mögliche Produktionsorte sein.“ Allerdings sind Lebensmittel, die in (urbanen) Kleinstlandwirtschaften angebaut werden, aufgrund der Preisstruktur des deutschen Markts eine der teuersten Arten sich zu versorgen. Supermarkt-Produkte können nur aufgrund der zahlreichen Subventionen – vom Land, über Erdöl bis zur Arbeitskraft – so günstig angeboten werden. „Ein Hektar Ackerland wird beispielsweise mit 300 Euro subventioniert“, wirft Wilfried Bommert ein. Daraus entsteht kein realer Preis. Das bedeutet, anders angebaute Produkte können auf dem deutschen Dumping-Markt nicht konkurrieren.

Landwirtschaft ist immer auch eine Platzfrage. Aktuell werden mindestens 2.000 m², in Europa sogar 4.800 m² benötigt, um eine einzige Person zu ernähren – ein Großteil des Flächenverbrauchs geht dabei auf das Konto der Fleischindustrie, die Unmengen an Ressourcen schluckt. Der Klimawandel beeinträchtigt zunehmend auch die großen Anbauflächen für Nahrungs- und Futtermittel. Offensichtlich kann es nicht weitergehen, wie bisher.

Svenja Nette von den Berliner Prinzessinnengärten und Bernhard Watzl vom Max Rubner-Institut sprechen sich aus unterschiedlichen Gründen für den Urbanen Gemüseanbau aus. © Staatliche Museen zu Berlin/Kunstgewerbemuseum
Svenja Nette von den Berliner Prinzessinnengärten und Bernhard Watzl vom Max Rubner-Institut sprechen sich aus unterschiedlichen Gründen für den Urbanen Gemüseanbau aus. © Staatliche Museen zu Berlin/Kunstgewerbemuseum

Sinnvolle Alternativen zur industriellen Landwirtschaft
In Berlin leistet der Ernährungsrat als zivilgesellschaftliche Vereinigung verschiedener AkteurInnen bereits politische Pionierarbeit, um das Ernährungssystem grundlegend zu verändern. Vor den Wahlen trat er direkt an die Parteien heran und stellte die Gretchenfrage: „Wie wollt ihr es mit der Regionalernährung halten?“ Letztlich wurde der Ernährungsrat als Akteur in den Koalitionsvertrag aufgenommen, um eine regionale Ernährungsstrategie für Berlin mit zu entwickeln. Das ist ein wichtiger Schritt, doch der Stellenwert des Themas Ernährung in der Politik lässt sich auch daran ablesen, wer dafür verantwortlich ist: Momentan ist Ernährung bei der Staatssekretärin für Verbraucherschutz angesiedelt und ein einzelner Sachbearbeiter soll dort die Berliner Ernährungsstrategie entwickeln, wie ein Mitglied des Ernährungsrats berichtet.

„Auf dem Bildschirm der Bundespolitik ist das Thema noch längst nicht angekommen“, sagt Wilfried Bommert. Aber immerhin bekunden inzwischen mehrere Städte, beziehungsweise deren BürgerInnen, dass sie Essbare Städte werden wollen. Das betrifft mittlerweile 20 Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung und es nimmt laufend zu. Auf Ebene der Graswurzeln entsteht und bündelt sich viel Kraft. Funktionierende Beispiele wie Todmorden in Großbritannien oder Andernach, die erste Essbare Stadt Deutschlands, machen Hoffnung, wie auch Bamberg, das sich seit 2014 zur Essbaren Stadt entwickelt. Diese Orte zeigen, dass eine Stadt, die sich konsequent lokal oder zumindest aus ihrem regionalen Gürtel ernährt, eine der sinnvollen Alternativen zur industriellen Landwirtschaft darstellt. Die Menschen in solchen Städten gehen gesünder und bewusster mit ihrer Ernährung und der Umwelt um und nicht zuletzt wird auch ihre soziale Gemeinschaft gestärkt.

Die Ausstellung „Food Revolution 5.0. Gestaltung für die Gesellschaft von morgen“ läuft noch bis 30.9.2018 im Kunstgewerbemuseum am Kulturforum.

Titelbild: Marco Clausen / Prinzessinnengarten

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