Gipsformerei: „Ein analoger Weg ins Zeitalter der Digitalisierung?“

Die Gipsformerei steht in Zeiten von Laserscan und 3D-Print vor neuen Herausforderungen. Das Symposium „Casting. Ein analoger Weg ins Zeitalter der Digitalisierung?“ hat Perspektiven aufgezeigt. Miguel Helfrich, Leiter der Gipsformerei, und Christina Haak, Stellvertretende Generaldirektorin der Staatlichen Museen zu Berlin, im Gespräch.

Die Gipsformerei wurde 1819 gegründet und ist die älteste Institution der Staatlichen Museen zu Berlin – was ist ihr „Lebenselixier“?
Miguel Helfrich: Die Gipsformerei blickt auf eine sehr lange Tradition zurück und verfügt mittlerweile über eine Sammlung von rund 7000 Mastermodellen und Formen, die alle Epochen abdecken. Das Besondere an der Gipsformerei ist, dass wir einerseits ein Museumsarchiv sind, denn viele unserer Exponate spiegeln Kunstwerke im Originalzustand wider, den diese heute oftmals nicht mehr haben; andererseits sind wir auch eine Kunstmanufaktur, die bis heute produziert.

Was ist die Funktion der Gipsformerei innerhalb des Kosmos Staatliche Museen zu Berlin heute?
Helfrich: Wir stellen hochwertige Repliken von Kunstwerken her und liefern diese in die ganze Welt. Unsere größten Kunden sind internationale Museen, von Mexiko über Warschau bis hin zu den Staatlichen Museen zu Berlin selbst. Unsere Repliken werden teilweise im Rahmen von Sonderausstellungen gezeigt, weil es die Originale nicht mehr gibt. Es kommt aber auch vor, dass bestimmte Objekte nicht verliehen werden können und wir stattdessen Repliken herstellen, die in die Ausleihe gehen. Wie bereits erwähnt, unterhalten wir darüber hinaus unsere eigene Sammlung, die heute hauptsächlich Forschungszwecken dient.

Christina Haak, Stellvertretende Generaldirektorin der Staatlichen Museen zu Berlin, und Miguel Helfrich, Leiter der Gipsformerei, in einer Halle der Gipsformerei in Charlottenburg. Foto: Juliane Eirich
Christina Haak, Stellvertretende Generaldirektorin der Staatlichen Museen zu Berlin, und Miguel Helfrich, Leiter der Gipsformerei, in einer Halle der Gipsformerei in Charlottenburg. Foto: Juliane Eirich

Der Schwerpunkt liegt also auf Handwerk und Forschung. Gibt es auch den Anspruch, selbst Kulturvermittler zu sein?
Helfrich:
Diesen Anspruch gibt es zwangsläufig, weil die Repliken, die wir herstellen, immer auch Botschafter der Kunstwerke und der Ideen dahinter sind. Jede einzelne Replik ist ein Multiplikator und hat eine eigene Botschaft. Wenn man es so betrachtet, ist jeder Abguss per se auch ein Kommunikationsinstrument.

Im November fand ein Symposium zur Gipsformerei statt. Worum ging es dabei?
Christina Haak:
Es war das erste Symposium, das vor dem Hintergrund des 200-jährigen Jubiläums der Gipsformerei im Jahr 2019 den Fokus auf diese Institution legte. Zuvor fand die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Gipsformerei immer nur schlaglichtartig statt. Bei dem Symposium ging es unter anderem um die Frage, welche Bedeutung die Gipsformerei heute innerhalb der Staatlichen Museen zu Berlin hat. Wir wollten das Spannungsfeld zwischen Tradition und Zukunft erkunden, zwischen Manufaktur und digitalem Zeitalter.

Wie sind Sie dieses Thema angegangen?
Haak:
Um aus einer möglichst großen Bandbreite von Themen wählen zu können, die auch wissenschaftlich von Interesse sind, haben wir einen Call for Papers gestartet. Die zahlreichen Einsendungen deckten ganz unterschiedliche Bereiche ab und reichten von der klassischen Gipsabgusssammlung in Deutschland und darüber hinaus bis hin zu ganz aktuellen digitalen Neuerungen wie dem 3D-Scan.

Eine Mitarbeiterin der Gipsformerei arbeitet an einem Abguss der Reiterstatue des großen Kurfürsten von Andreas Schlüter. Foto: Juliane Eirich
Eine Mitarbeiterin der Gipsformerei arbeitet an einem Abguss der Reiterstatue des großen Kurfürsten von Andreas Schlüter. Foto: Juliane Eirich

Warum fand das Symposium jetzt statt und nicht erst im Jubiläumsjahr?
Haak:
Wir haben uns bewusst für diesen Termin entschieden, um die Ergebnisse und Impulse bis 2019 nutzen zu können. Wir sind gespannt, in welchen Bereichen wir aus den Ergebnissen des Symposiums heraus in den nächsten Jahren Einzelprojekte in Forschung und Recherche anstoßen können.
Helfrich: Unser Haus wirkt auf den ersten Blick sehr traditionell; umso spannender ist für uns die Frage, wie wir in die Zukunft gehen und welche Aufgaben und Funktionen unsere Institution in 50 oder 100 Jahren haben wird. Deswegen haben wir das Thema „Analoger Weg ins Zeitalter der Digitalisierung“ gewählt. Uns hat interessiert, welche Rolle wir nicht nur als Kunstmanufaktur, sondern auch in der Kommunikation mit der Öffentlichkeit spielen können.

Sie blicken zuversichtlich in die Zukunft. Wie begegnen Sie der Frage, wozu man in Zeiten von schnellen und preiswerten 3D-Scans und -Drucken noch eine Gipsformerei braucht?
Helfrich:
Die neue Technik hat sicherlich Vorteile, aber sie steckt zum Teil noch in den Kinderschuhen und es gibt eben doch deutliche Grenzen, gerade was die Qualität angeht. Wir bemühen uns aber bereits, die neuen Techniken für uns nutzbar zu machen und sie zu kombinieren. So haben wir zum Beispiel mit der TU Berlin ein hybrides Abgussverfahren entwickelt, das analoge und berührungsfreie Techniken vereint.
Haak: Der wichtigste Schritt ist nun, eine frühzeitige Positionsbestimmung vorzunehmen: Wo stehen wir gerade und wo geht es hin?

Die Gipsformerei setzt sich also aktiv mit dem Digitalen auseinander und wird diese Technik in der Zukunft verstärkt nutzen?
Helfrich:
Die zukünftigen Arbeitsplätze in der Gipsformerei werden sicher auch Rechner, Scanner und weitere technische Gerate umfassen. Wir erleben eine Zeit des Wandels. Auch in der Vergangenheit hat es immer wieder technische Sprünge gegeben. Das ist nichts Neues. Die Gipsformerei bewahrt alle Abformungstechniken, die es bisher gegeben hat: Wir beherrschen noch heute alle historischen Verfahren und arbeiten gleichzeitig mit externen Partnern daran, auch die neuen, berührungsfreien Verfahren zu lernen und für unsere Arbeit nutzbar zu machen.
Haak: Die Gipsformerei steht vor einer großen Herausforderung: Wie kann man auf der einen Seite die notwendige handwerkliche Tradition bewahren und sie gleichzeitig an neue Methoden heranführen, ohne dass die Qualität leidet? Das wiederum führt zu der Frage, wie man richtig ausbildet. Hier gibt es bereits bestehende Kooperationen und wir werden dem Thema auch in der Zukunft unsere besondere Aufmerksamkeit widmen.

Ein Abguss einer Donatello-Skulptur des Heiligen Franziskus wartet auf Auslieferung. Foto: Juliane Eirich
Ein Abguss einer Donatello-Skulptur des Heiligen Franziskus wartet auf Auslieferung. Foto: Juliane Eirich

Konnte das Symposium fruchtbare Ideen und Impulse liefern, besonders hinsichtlich der Zusammenführung von analoger Tradition und digitaler Zukunft?
Haak:
Das Symposium war ein großer Erfolg, das haben wir auch als unmittelbares Feedback von den Teilnehmern erhalten. Die Fragestellung von analoger Tradition und digitaler Zukunft hat genau den Nerv getroffen. Sowohl andere nationale und internationale Sammlungen, als auch eine beeindruckende Bandbreite von Forschungsprojekten beschäftigen sich mit dem Thema. Letzteres bezieht sich vor allem auf den Einsatz der digitalen Technik für den Erkenntnisgewinn zu einzelnen historischen Objekten und Objektgruppen. Sowohl die Wahrnehmung als auch die Vermittlung des Abgusses als Gegenstand mit einer eigenständigen Objektbiographie und einem eigenständigen Verhältnis zum Betrachter bildeten ebenfalls wichtige Punkte innerhalb der Diskussion.

Welche Ergebnisse des Symposiums sind für Sie besonders spannend?
Haak:
Im Zentrum sollte die möglichst umfängliche Forschung an der Institution „Gipsformerei“ und ihrer Geschichte stehen. Es gibt eine ganze Reihe von Fragen, die heute noch unbeantwortet sind, etwa die Bedeutung der Gipsformerei hinsichtlich der Verbreitung ihrer Gipse, vor allem in die Bereiche der historischen universitären Gipsabguss-Sammlungen hinein. Hinzu gesellt sich die Frage, ab wann und warum man nicht mehr nur Abformungen antiker Kunstwerke anfertigte, sondern auf einen fast globalen Anspruch der Formensammlung zielte. Daraus lasst sich wiederum das Thema ableiten, wie es um die Wahrnehmung des Rezipienten, des Nutzers oder Besuchers, damals wie heute bestellt war und ist.

Sind aus den Themen bereits erste Projektideen hervorgegangen?
Haak:
Für konkrete Projektideen ist es noch etwas früh. Aber natürlich denken wir etwa darüber nach, ob wir die vielen Impulse, die der rege Austausch während des Symposiums gebracht hat, eventuell für eine Ausstellung im Jubiläumsjahr 2019 nutzen können.

Repliken einer antiken Ägyptischen Skulptur werden coloriert. Foto: Juliane Eirich
Repliken einer antiken Ägyptischen Skulptur werden coloriert. Foto: Juliane Eirich
Farben in der Malerwerkstatt der Gipsformerei, wo die Abgüsse ihren finalen Look bekommen. Foto: Juliane Eirich
Farben in der Malerwerkstatt der Gipsformerei, wo die Abgüsse ihren finalen Look bekommen. Foto: Juliane Eirich
Repliken warten darauf, in alle Welt verschickt zu werden. Foto: Juliane Eirich
Repliken warten darauf, in alle Welt verschickt zu werden. Foto: Juliane Eirich
In der Werkstatt der Gipsformerei hängen überall Formen, Abgüsse und Modelle der zahlreichen Kunstwerke, die hier reproduziert werden. Foto: Juliane Eirich
In der Werkstatt der Gipsformerei hängen überall Formen, Abgüsse und Modelle der zahlreichen Kunstwerke, die hier reproduziert werden. Foto: Juliane Eirich
Ein einzelnes Pferdebein ist nichts ungewöhnliches in der Werkstatt der Gipsformerei - dieses hier gehört zu einer Replik des  Reiterstandbilds des großen Kurfürsten von Andreas Schlüter. Foto: Juliane Eirich
Ein einzelnes Pferdebein ist nichts ungewöhnliches in der Werkstatt der Gipsformerei – dieses hier gehört zu einer Replik des Reiterstandbilds des großen Kurfürsten von Andreas Schlüter. Foto: Juliane Eirich

Dieser Artikel erschien auch in der Museumszeitung der Staatlichen Museen zu Berlin, Ausgabe 1 / 2016.

Kommentare

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  • Herzlichen Dank fuer diese Berichterstattung. Ich war selber Lehrling in der Gipsformerei und habe heute meine eigene Kunstabformfirma in Curacao. Viel Erfolg in der Zukunft und Frohes Neues Schaffens Jahr 2016
    Serena Israel

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