Hieronymus Bosch: Das Feld hat Augen, der Wald hat Ohren

Derzeit hält der rätselhafte Meister Hieronymus Bosch die Besucher der Gemäldegalerie in seinem Bann. Ina Dinter, Mit-Kuratorin der Ausstellung, erklärt am Beispiel der Zeichnung „Das Feld hat Augen, der Wald hat Ohren“ die Bildsprache und Symbolik des Meisters.

Eine der interessantesten und meistbeforschten Zeichnungen des großen Meisters Hieronymus Bosch ist seine Arbeit „Das Feld hat Augen, der Wald hat Ohren“. Sie gehört aufgrund der bildmäßigen Ausführung zu drei „Meisterblättern“. Noch bis zum 27. November ist das Werk in der Ausstellung „Hieronymus Bosch und seine Bildwelt im 16. und 17. Jahrhundert“ in der Gemäldegalerie zu sehen. Danach wird es aus konservatorischen Gründen gegen eine andere Zeichnung von der Hand Boschs aus der Sammlung des Kupferstichkabinetts ausgetauscht.

Hieronymus Bosch, Das Feld hat Augen, der Wald hat Ohren, um 1500–05 © Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett / Jörg P. Anders
Hieronymus Bosch, Das Feld hat Augen, der Wald hat Ohren, um 1500–05 © Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett / Jörg P. Anders

Die Darstellung ist auf den ersten Blick rätselhaft: Mittig steht vor der Kulisse eines kompakten Laubwaldes auf einem sanft gewölbten Hügel ein mächtiger abgestorbener Baum. Im Astwerk sitzen vier Vögel, in der Baumhöhle eine Eule und in einer weiteren Höhlung im Fuß des Baumes Fuchs und Hahn. Aus dem Feld blicken sieben Augen aus dem Bild heraus und im Wald stehen zwei Ohren.

Ein Holzschnitt von 1546 zeigt, dass die Federzeichnung einen Bezug zu einem im 15. und 16. Jahrhundert gebräuchlichen Sprichwort hat. Auf dem Holzschnitt ist das Feld mit Augen übersät, die zahlreichen Ohren sind an Baumstämme, Äste und Baumkronen angeheftet. Die Vielzahl an Augen und Ohren, die eindeutige Gestik des den Betrachter ins Bild führenden Mannes und natürlich die Inschrift im Kasten über der Figur – „Das Feld hat Augen / der Wald hat Ohren / Ich will sehen, schweigen und hören“ – verdeutlichen das Sprichwort, das dazu gemahnt, in der Öffentlichkeit auf seine Worte zu achten.

Niederländisch, Das Feld hat Augen, der Wald hat Ohren, 1546 © Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett / Jörg P. Anders
Niederländisch, Das Feld hat Augen, der Wald hat Ohren, 1546 © Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett / Jörg P. Anders

Die Eule trägt ein Geheimnis
Zwar stellt auch Boschs Zeichnung den genauen Wortsinn dar, doch ist das Sprichwort bei ihm Teil eines umfassenderen Bildprogramms. Dazu gehören auch die Assoziationen und Kontraste von Wald und Feld, die realen Gefahren, die von Naturgewalt, wilden Tieren, Räubern ausgehen. Der Wald als das Dunkle, Unheimliche und das Dickicht, in dem man Gefahr läuft, sich zu verlieren, kontrastieren in der Zeichnung mit dem freien, hellen Feld, dem vollkommen Offenen, das dadurch aber nicht weniger gefährlich ist. In diesem Kontext ist auch die Eule zu deuten. Es handelt sich um einen Steinkauz, eigentlich eine der kleinsten Eulenarten, die hier jedoch proportional zu den Tagvögeln zu groß dargestellt ist. Sie ist also in der historisch häufig angewandten Bedeutungsperspektive dargestellt, bei der nicht die tatsächlichen perspektivischen Relationen, sondern die Wichtigkeit der Elemente im Bild über die Größenverhältnisse bestimmen.

Die Eule ist eines der Tiere, die in verschiedenen Kontexten sehr Gegensätzliches symbolisieren können. Die Vielzahl der Eulen in Boschs Œuvre weist darauf hin, dass der Künstler die Mehrdeutigkeit des nachtaktiven Vogels für seine Kunst schätzte. In diesem Beispiel befolgt sie den Rat des Sprichworts: Das weise Tier hat in einer Baumhöhle Schutz gefunden, wo es ruhig und statisch sitzt, beobachtet und schweigend lauscht – im Gegensatz zu den zwei flatternden und kreischenden Tagvögeln über ihm. Bosch bezieht sich hier auf ein Motiv aus der Naturbeobachtung: Die anderen Vögel nehmen die Eule als Gefahr wahr und versuchen sie zu vertreiben, ein Phänomen, das damals auch bei der Vogeljagd bewusst eingesetzt wurde.

Weisheit und die Weissagung von Unheil sind der Bedeutungshorizont, der sich uns erschließt. Dummheit und Leichtgläubigkeit sind in Boschs Zeichnung dem Hahn zuzuschreiben, der sich arglos dem listigen Fuchs nähert. Die Fabeltiere sind in kleinem Format und wenigen Strichen skizziert. Die Eule ahnt, welches Unheil hier droht. Sie ist ein Waldvogel, niederländisch Bosvogel, worin „boz“, böse, steckt – die Eulenikonographie akzentuiert das Sprachspiel, an dem der Künstler, der seinen Beinamen „van Aken“ in „Bosch“ änderte, sichtlich Gefallen fand. Auch die einfach strukturierte Komposition des Blattes hat einen Bezug zur Stadt, genauer zum Stadtsiegel von ’s-Hertogenbosch, das einen mächtigen Baum zeigt, der von zwei kleineren flankiert wird.

Mit Neid und Missgunst ist zu rechnen
Einen weiteren Schlüssel zur Deutung des Blattes bietet die lateinische Inschrift am oberen Bildrand: „Derjenige ist freilich armen Talentes, der stets nur Erfundenes anwendet und nie das zu Erfindende.“ Es handelt sich um ein Zitat aus dem damals verbreiteten Lehrtraktat „De disciplina scholarium“. Es gilt, eigene Bilderfindungen hervorzubringen anstatt schon Vorhandenes zu wiederholen. Die prominente Platzierung auf der Zeichnung steht für das künstlerische Selbstverständnis und (kunst-)historische Bewusstsein der Frührenaissance. Sprichwort und Tiere sind denn auchals Mahnung zu deuten, die Kunstentwicklungen zu verfolgen und sich vor Nachahmern in Acht zu nehmen.

Ob es sich bei den aufgeregten Vögeln im Baum um Elstern mit ihrem genuin imitativen und diebischen Charakter handelt oder nicht: Mit Neid und Missgunst anderer Künstler ist zu rechnen. Doch ist die Eule nicht in der Opferrolle; in ihrem Streben nach Herrschaft über die anderen Vögel – wie aus einer zeitgenössischen Fabel hervorgeht – verkörpert sie auch den Hochmut. Der Adressat der Zeichnung wird also zugleich vor Überheblichkeit gewarnt. Die Eule ist in diesem Werk weder positiv noch negativ konnotiert. Sie wird in Boschs Œuvre in ihrer Komplexität ausgelotet, und steht hier in gewisser Weise auf einer Metaebene für Boschs Kunst als Ganze.

Das Bilderrätsel aus „ogen“ (Augen) und „bos“ (Wald) ist ein linguistisch-autobiographischer Verweis auf den Namen der Stadt, in der das Werk entstand und die Teil des Künstlernamens wurde. Das Sprichwort wird im späteren Holzschnitt geradezu erläutert, bei Bosch dagegen bleibt der Bezug zu enträtseln. So wird Wert der Erfindung auch über den Betrachter des Kunstwerks definiert. Mit dem Ziel einer Einheit des Bildkonzepts werden Motive wie Eule oder Wald und Feld in variierenden, sich jedoch ergänzenden Bedeutungsebenen eingesetzt. Bezieht man die Sinnebenen aufeinander, wird schnell deutlich, dass sie sich weder ausschließen noch widersprechen. Der Bezug zu ’s-Hertogenbosch ist zu verstehen als Reflexion des Künstlers, zum einen über seine Schaffensbedingungen und -grundlage, zum anderen über Sprachspiel und Bilderrätsel als Bildmöglichkeiten. Die sprachlich-autobiographische Ebene demonstriert die Ausdrucksmöglichkeiten der Kunst ebenso wie die geographische, persönliche und vielleicht auch historische Verortung eines Künstlers.

Hieronymus Bosch und Werkstatt, Das Feld hat Augen, der Wald hat Ohren (Rückseite), um 1500–05 © Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett / Jörg P. Anders
Hieronymus Bosch und Werkstatt, Das Feld hat Augen, der Wald hat Ohren (Rückseite), um 1500–05 © Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett / Jörg P. Anders

Zeichnerische Deklaration des Künstlers
Auch das Stilistisch-Zeichnerische ist interessant. Das Bildmotiv ist zügig aufs Blatt gebracht und aufs Wesentliche beschränkt. Die Idee ist geistig vorgebildet und entsteht mit der Feder, was sich an den beiden Vögeln links und rechts außen zeigt, deren Linien die Striche der Zweige überschneiden. Die subtile Strichführung, die variable Nutzung der Feder, die bei Bosch je nach organischer oder haptischer Beschaffenheit einer Figur dünner oder breiter, kratziger oder weicher werden kann, entspricht in ihrer Neuartigkeit ganz dem Thema der Zeichnung.

Das Blatt ist eine der frühesten autonomen niederländischen Zeichnungen. Die Skizzen auf der Rückseite des Blattes, die ab dem 29. November für zwei Wochen zu sehen sein werden, geben Aufschluss über den Lehr- und Werkstattbetrieb Boschs. Die souveräne Zeichnung eines schräg von hinten gezeigten Bettlers mit Almosenschale und das Hündchen auf seinem Kopf sind von der Hand Boschs und in derselben Tinte ausgeführt wie die Zeichnung der Vorderseite. Neben einem Architekturelement, dem Kopf eines Mischwesens, sowie einigen Kopfskizzen, beziehen sich die meisten Zeichenübungen auf dem Blatt auf die Bettlerfigur, ihren Schuh, den Napf und den Hund. Es haben wohl mehrere Zeichner das Blatt zu Übungszwecken genutzt.

Die von der Werkstatt verwendete Rückseite unterstreicht die Bedeutung des Blattes einmal mehr: Nicht als Sammlerstück war es gedacht, sondern als zeichnerische Deklaration eines Künstlers an andere Künstler, an Schüler, Kollegen und Nachfolger, im Bewusstsein der eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten. In dieser zweifelsohne modernen Deutung, die den humanistischen und Renaissance-Diskursen jedoch nicht widerspricht, entpuppt sich Boschs Zeichnung als ambitioniertes autonomes Werk, das das künstlerische Selbstverständnis um 1500 reflektiert.

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