Paris 1937: Jean Fouquet zwischen Albert Speer und Guernica

Erstmals seit 80 Jahren sind die beiden Hälften von Jean Fouquets berühmten „Diptychon von Melun“ (15. Jh.) gemeinsam in der Gemäldegalerie zu sehen. Die letzte Begegnung fand unter bedeutungsschweren historischen Umständen statt.

Text von Katrin Dyballa

Irgendwann zwischen 1452 und 1460 schuf der französische Maler Jean Fouquet das einzigartige „Diptychon von Melun“ für den königlichen Schatzmeister Étienne Chevalier. Dieser hatte es für seine Grabkapelle in der Stiftskirche von Melun vorgesehen, wo es sich bis um das Jahr 1773 noch befand, bevor es in Einzelteile zerlegt und verkauft wurde. Erhalten geblieben sind aus dem Ensemble zwei Gemälde und ein Medaillon mit dem Selbstbildnis Fouquets.

Dunkle Vorahnungen in der „Stadt des Lichts“
Vor 80 Jahren waren die beiden Bilder von Fouquets Diptychon das letzte Mal zusammen zu sehen. Die Weltausstellung in Paris versammelte vom 25. Mai bis zum 25. November 1937, zwei Jahre vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, die Nationen im Zeichen des Friedens und brachte zahlreiche Kulturschätze in die Stadt. Mit den vielen ephemeren Bauten war Paris während dieser Zeit nicht nur tagsüber von ganz anderer Prägung: Nachts wurde das Gelände durch die beleuchteten Ausstellungspavillons zur „cité lumière“, zur Stadt des Lichts (Abb. 1). Insgesamt beteiligten sich 44 Nationen, um ihre Errungenschaften in Kultur und Technik einem Publikum von 31 Millionen Menschen vorzustellen.

Frankreich bespielte jedoch den größten Teil der Ausstellungshallen, die den Themen Kunst und Technik als zwei Seiten der menschlichen Kultur gewidmet waren. Dabei sollten – wie auch bei allen vorausgegangenen Weltausstellungen – Frieden und Völkerverständigung im Vordergrund stehen. Doch war diese Ausstellung, vielleicht mehr als alle anderen, vor allem durch die Nationalismen der einzelnen Länder geprägt. Die Weltausstellung war Kristallisationspunkt für die politischen Umbrüche und Konflikte in Europa.

Postkarte der Pariser Weltausstellung mit dem Deutschen Haus und dem sowjetischen Pavillon
Postkarte der Pariser Weltausstellung mit dem Deutschen Haus und dem sowjetischen Pavillon

Kräftemessen der Ideologien
Attraktionen gab es viele, doch stachen der deutsche und der sowjetische Pavillon von Albert Speer und Boris Michailowitsch Iofan besonders hervor und wurden als die Sensationen wahrgenommen (Abb. 2), ähnlich wie 1889 der Eiffelturm oder 1900 das Japanische Haus. Am Nordufer der Seine einander gegenübergestellt, spiegelten sich in diesen gewaltigen Turmbauten das politische Kräftemessen und die gegensätzlichen Staatsideologien wider.

Dem Drängen und Stürmen der 25 Meter großen Monumentalskulpturen von Vera Muchina, einem bewegt vorwärtsschreitenden jungen Paar mit Hammer und Sichel in den erhobenen Händen, schien das noch höhere deutsche Haus mit seinem Bronzeadler von Kurt Schmid-Ehmen wie ein in sich ruhender Solitär entgegen zu stehen. Diese Wirkung hatte Albert Speer tatsächlich beabsichtigt, wie er später in seinen Erinnerungen äußerte: Er habe seinen Entwurf für das deutsche Haus ganz bewusst als Gegenstück zu dem sowjetischen Bau konzipiert, da ihm bekannt gewesen sei, dass beide Pavillons einander gegenüber stehen würden und er „zufällig“ den sowjetischen Entwurf gesehen habe und entsprechend darauf reagieren konnte.

Die dominante, konkurrierende Selbstdarstellung dieser beiden Staaten wurde freilich sehr bewusst wahrgenommen. Christian Zervos, Herausgeber der Pablo Picasso nahestehenden Kunst- und Literaturzeitschrift Cahiers d’Art, kritisierte das deutsche ideologische Kunstschaffen auf das Schärfste und sah darin den Niedergang aller Ästhetik. Walter Benjamin fasste in seiner Auseinandersetzung mit dem Faschismus die politische Instrumentalisierung der Kunst, die in Paris 1937 so greifbar wurde, mit folgenden Worten zusammen: „Die Selbstentfremdung [der Menschheit] hat jenen Grad erreicht, der sie ihre eigene Vernichtung als ästhetischen Genuß ersten Ranges erleben läßt. So steht es um die Ästhetisierung der Politik, welche der Faschismus betreibt. Der Kommunismus antwortet ihm mit der Politisierung der Kunst.“

Eingangshalle des spanischen Pavillons mit Pablo Picassos Guernica und Alexander Calders Quecksilberbrunnen, Seite aus den Cahiers d’Art 12, 1937, S. 289
Eingangshalle des spanischen Pavillons mit Pablo Picassos Guernica und Alexander Calders Quecksilberbrunnen, Seite aus den Cahiers d’Art 12, 1937, S. 289

Barbarei abseits der Weltausstellung
Das totalitäre Regime des Nationalsozialismus hatte sich bereits bei den Olympischen Spielen in Berlin 1936 betont friedensorientiert und weltoffen gegeben und tat dies nun auch auf der Weltausstellung. Doch handelte Deutschland schon längst gegenteilig, etwa indem es Francisco Franco unterstützte. Bissig wurde dies mit einem Kommentar auf den deutschen Pavillon in der deutschsprachigen Pariser Tageszeitung, dem Organ der Exilanten, kommentiert: „Deutschland will exportieren – warum zeigt es nicht seinen Hauptexportartikel nach Spanien: Brandbomben für das Baskenland.“

Die unterschiedlichen Weltanschauungen – Nationalsozialismus, Faschismus, Stalinismus, Demokratie – trafen im Sommer 1937 am Trocadéro auf engstem Raum aufeinander und kulminierten in Pablo Picassos großformatigem Gemälde Guernica, das im spanischen Pavillon und damit in unmittelbarer Nachbarschaft zum deutschen Haus ausgestellt war und wohl zum beständigsten Erbe der Weltausstellung zählt (Abb. 3).

Das Bild, eine Antwort des Künstlers auf den spanischen Bürgerkrieg und die Zerstörung der Stadt Guernica durch die deutsche Legion Condor im April 1937, kommentierte Picasso mit den Worten: „Es ist mein Wunsch, Sie daran zu erinnern, dass ich stets davon überzeugt war und noch immer davon überzeugt bin, dass ein Künstler, der mit geistigen Werten lebt und umgeht, angesichts eines Konflikts, in dem die höchsten Werte der Humanität und Zivilisation auf dem Spiel stehen, sich nicht gleichgültig verhalten kann.“ Besondere Bedeutung hatte dieses Werk, da es das menschliche Leid im spanischen Bürgerkrieg veranschaulichte, das der Maxime der Weltausstellung, die „Völker im Zeichen des Friedens zusammenzuführen“, diametral entgegenstand.

Warum Fouquet auf der Weltausstellung?
Doch was hatte das Melun-Diptychon auf dieser ideologisch aufgeladenen Weltausstellung verloren? In dem neu erbauten französischen Palais de Tokio von Jean Claude Dondel und Alfred Aubert sollte die französische Moderne präsentiert werden, um das Augenmerk auch auf die eigene Kunstproduktion zu lenken. Dies mag auf den ersten Blick nicht bemerkenswert erscheinen. Doch traten nun erstmals Staat und Stadt für die neue Kunst und damit auch für eine Identifizierung mit dieser ein: Der Palais de Tokio sollte über die Weltausstellung hinaus das erste Museum für Moderne Kunst in Frankreich werden. Der französische Maler Amédée Ozenfant war begeistert: „Man wird in Frankreich französische (zeitgenössische) Malerei sehen! Das wird etwas total Neues.“

Plakatmotiv für die Ausstellung „Chefs-d’Œuvre de l’Art français“
Plakatmotiv für die Ausstellung „Chefs-d’Œuvre de l’Art français“

Doch es wurde schnell klar, dass die neuen Kunstströmungen nicht isoliert betrachtet werden konnten. Die Ursprünge seien zu ihrem Verständnis notwendig, wie Premierminister Léon Blum in seinem Vorwort für den Gesamtkatalog der Ausstellung formulierte: „Um die zeitgenössischen Schöpfungen verstehen und ganz genießen zu können, reicht es nicht, sie in das Umfeld zu bringen, in dem sie entstanden sind. Man muss sie vielmehr mit früheren Werken verbinden. Man muss sie als das Ergebnis einer langen Folge von Leistungen begreifen, die im Laufe von Jahrhunderten von Männern vollbracht wurden, die gerungen haben, um das Material zu beherrschen, um einen anschaulichen Ausdruck des Lebens zu finden, die Schönheit der Linie und die harmonische Sprachgewalt der Farbe.“

So wurde Ende des Jahres 1936 der Entschluss gefasst, im Palais de Tokio die Chefs-dʼœuvre de lʼArt français zu zeigen, eine Schau französischer Kunst von ihren Anfängen bis um 1900. Für diese spektakuläre Ausstellung konnten in Rekordzeit tatsächlich 1341 Werke nahezu aller Epochen und Gattungen versammeln werden. Geworben wurde für die Ausstellung mit einem Plakatmotiv, das immer noch die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich zieht – oszilliert es doch zwischen mittelalterlicher Frömmigkeit und Erotik: Jean Fouquets Madonna aus Antwerpen, das Pendant zum Berliner Etienne Chevalier (Abb. 4).

Jean Fouquet, Diptychon des Etienne Chevalier, um 1455. © Gemäldegalerie – Staatliche Museen zu Berlin / Jörg P. Anders / © Antwerpen, Koninklijk Museum voor Schone Kunsten
Jean Fouquet, Diptychon des Etienne Chevalier, um 1455. © Gemäldegalerie – Staatliche Museen zu Berlin / Jörg P. Anders / © Antwerpen, Koninklijk Museum voor Schone Kunsten

Ikone der französischen Kunst
Das Motiv dieser Madonna dürfte aber nicht nur aufgrund seiner provozierenden Außergewöhnlichkeit gewählt worden sein. Hinter der plakativ präsentierten Brust der Muttergottes, verbirgt sich vermutlich ein Porträt der Agnès Sorel, Mätresse König Karls VII. In Jean Fouquet sah man auch den Begründer der realistischen französischen Malerei, auf den Clouet und Corneille de Lyon gefolgt seien. Der französische Kunsthistoriker Germain Bazin erhob Fouquet sogar zur Ikone der französischen Kunst: „ Jean Fouquet verleiht der französischen Ästhetik eine der unverfälschtesten Definitionen.“

In seinen Ausführungen bezog sich Germain dabei ausdrücklich auf die Vierge aus Antwerpen, die durch die Vereinfachung der Formen an den Rand der Abstraktion herangeführt sei und als eines der „chef-dʼœuvre de lʼart français“ überhaupt bezeichnet werden könne. Er sah in ihr gleichsam die französische Seele und den absoluten Ausdruck der Gotik verkörpert und verglich sie aufgrund ihrer Reinheit mit Werken der französischen Glasmalerei des 13. Jahrhunderts. Im Rahmen der Pariser Weltausstellung von 1937, die gerade für Frankreich die Möglichkeit war, die Nation umfassend zu repräsentieren, konnte Jean Fouquet als Vater der französischen Malerei gefeiert werden.

Geo Ham, Impression des Pavillons der Luftfahrt, Aquarell in L’Illustration, Sonderausgabe August 1937
Geo Ham, Impression des Pavillons der Luftfahrt, Aquarell in L’Illustration, Sonderausgabe August 1937

Beide Teile des Diptychons des Étienne Chevalier sind derzeit in der Ausstellung „Jean Fouquet. Das Diptychon von Melun“ in der Gemäldegalerie zu sehen.

Kommentare

    Kommentare

  • Den Beitrag von Katrin Dyballa „Paris 1937 : Jean Fouquet zwischen Albert Speer und
    Guernica“ finde ich sehr interessant, zumal ich mir das „Diptychon von Melun“ am
    Reformationsfeiertag angeschaut habe.
    Leider ist im Abschnitt „Warum Fouquet auf der Weltausstellung?“ im ersten Satz m. E.
    orthographisch etwas falsch: Statt „Doch was hatte das Melun-Diptychon auf diese
    ideologisch aufgeladene Weltausstellung verloren?“ müßte es heißen:
    „Doch was hatte das Melun-Diptychon auf dieser ideologisch aufgeladenen
    Weltausstellung verloren?

    Mit freundlichen Grüßen

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