Aus dem Erwerbungsbuch: Geschichten der Kunstbibliothek
Lesezeit 5 Minuten
Die Kunstbibliothek hat ihre Inventare online gestellt. Vier Kurator*innen haben einen tieferen Blick in die Bücher geworfen und geschaut: Welche Ereignisse aus der 150-jährigen Geschichte ihrer Sammlungen lassen sich erzählen?
Texte: Britta Bommert, Christine Kühn, Michael Lailach, Christina Thomson
Seit ihrer Gründung vor mehr als 150 Jahren wird in der Kunstbibliothek über alle Erwerbungen Buch geführt. Die Bücher verzeichnen nicht nur jeden Neuzugang akribisch, sie bieten auch einen Einblick in die wechselvolle Geschichte der Bibliothek von 1868 bis heute. Gleichermaßen berichten sie von spannenden Reisen, großzügigen Schenkungen und spektakulären Ankäufen. Lesestoff für den forschenden Wissensdurst ist ebenso vermerkt wie Kunstwerke, die die Fantasie beflügeln – und namhafte Persönlichkeiten der Berliner Geschichte geben sich hier ein Stelldichein.
Nun ermöglicht die Kunstbibliothek Forschenden und Interessierten, auch online tief in die Sammlungsgeschichte einzusteigen. Vier Geschichten aus dem großen Fundus der Inventare verdeutlichen die Bandbreite dieses Wissensspeichers.
I. Ans Licht geholt
Insgesamt 182 Aufnahmen von Atget gelangten Anfang des 20. Jahrhunderts in die Kunstbibliothek, darunter diese Aufnahme einer Pariser Weinhandlung. Ganz nebenbei spiegelt sich in ihr sogar der Fotograf selbst. Eugène Atget Au Franc Pinot, quai Bourbon, 1 Aus der Serie L’Art dans le Vieux Paris 1902
1929 fand im Lichthof des Kunstgewerbe-Museums die zweite Station der legendären Werkbundausstellung „Film und Foto“ statt. Veranstaltet von der Kunstbibliothek, präsentierte die Schau den zwei Jahre zuvor verstorbenen Lichtbildner Eugène Atget (1857–1927) als einen der Erneuerer der Fotografie. Gleichzeitig ruhten 147 Aufnahmen des Fotografen anonym und unbeachtet in der seit 1868 bestehenden fotografischen Vorbildersammlung der Bibliothek. Erst ein Blick ins Inventar stellte 1998 die Verbindung zu jener in Deutschland damals einzigartigen Erwerbung her. So kaufte die Bibliothek des Kunstgewerbe-Museums 1903 und 1904 als erste deutsche Institution direkt in Paris: Der Inventareintrag verzeichnet die Herkunft bei: „E. Atget, auteur éditeur d’un ‚Receuil photographique du vieux Paris.‘ Paris, Rue Campagne-Première 17 bis.“
Für den 31. August 1896 ist im Inventarbuch der Kunstbibliothek verzeichnet: „9 Bl. amerikan. Plakate. Sendung von Dodd, Mead + Co. New York“. Welch weite Reise für Reklamedrucke! Nicht nur in New York, auch in Paris und London wurden seit 1893 großformatige Lithografien mit Werbemotiven angekauft. Ab Mitte der 1890er Jahre bildet die Plakatkunst erstmals einen Schwerpunkt des Akquiseprogramms. Daran lässt sich die Sammelstrategie der Kunstbibliothek ablesen, ebenso wie ein Stück Industrie- und Technikgeschichte: Mit dem großen Konsumangebot des neuen Industriezeitalters war in den 1880er Jahren der Bedarf an Werbung explodiert und das grafische Druckgewerbe so gefragt wie nie.
Im Jahr 1893 erwarb die Kunstbibliothek bei L. Dumont in Paris 39 Werbedrucke von Pionieren der französischen Plakatkunst, darunter diese Arbeit von Chéret. Jules Chéret Bal au Moulin Rouge 1889
Viele Künstler*innen fanden eine neue Aufgabe in der Gestaltung von Plakaten, die seit Erfindung des lithografischen Farbdrucks rasant massenmediale Verbreitung fanden. Zu den Vorreitern dieser Entwicklung zählten Frankreich und die USA, wo Betriebe wie das Verlagshaus Dodd, Mead & Co. Pionierarbeit leisteten. Die Liste der Namen zu den in den 1890er bis 1910er Jahren erworbenen Plakaten – Grundstock einer heute über 100.000 Objekte umfassenden Sammlung – zeigt, dass die Kunstbibliothek früh auch international am Puls der Zeit war.
Im Oktober 1908 zeigte die Kunstbibliothek eine Ausstellung von Arbeiten englischer Künstler*innen. Wie im Inventarbuch sorgfältig notiert wurde, sind aus der Ausstellung fünf Arbeiten erworben worden, dabei die kleine Schriftprobe Matthew, Mark, Luke and John von Edward Johnston (1872–1944), ein englisches Gebet, das traditionell beim Zubettgehen gesprochen wird.
Die Ausstellung, die auch in Weimar und Hamburg gezeigt wurde, war von Anna Simons (1871–1951), der Meisterschülerin des englischen Kalligraphen organisiert und vermittelt worden. Sie war 1896 nach England gegangen, um dort am Royal College of Art in South Kensington zu studieren, was als Frau in Deutschland noch nicht möglich war. Nach ihrer Rückkehr war sie eine der ersten Frauen in der akademischen Lehre. Bereits 1905 führte sie an der Kunstgewerbeschule Düsseldorf die „Schriftkurse für Kunstgewerbelehrer“ durch, von 1908 bis 1914 die Schriftkurse an der Staatlichen Kunstgewerbeschule in Weimar.
Seitenansicht mit kolorierten Kupferstichen aus David Herrliberger, Baßlerische Ausruff-BilderBildbeispiel, Zürich 1749, Sign. Ga 10 mtl.
Es gibt Dinge, die gehen und kommen. Der Eintrag vom 9. November 1899 in der „Erwerbungs-Liste der Frhrl. v. Lipperheide’schen Kostümbibliothek. 1899–1910“ berichtet von drei „wiedergefundenen“ Büchern, die als verschollen galten und zu diesem Zeitpunkt bereits aus den Katalogen gestrichen waren. Man hat sie in Leipzig in der Buchbinderei von Hager entdeckt. Besonders aufhorchen lässt, dass Franz von Lipperheide für die Rückführung der drei Bücher in die Sammlung gesorgt hat. Obwohl zwei der drei Werke eigentlich Teil seiner rund 8.000 Bände und 30.000 Einzelblätter umfassenden „Sammlung für Kostümwissenschaft“ waren, die er der Bibliothek des Kunstgewerbemuseums gerade 1898 geschenkt hatte, bemühte er sich um ihre Wiedereinbindung in den Bestand.
Da es sich um jeweils unterschiedliche Ausgaben der beiden Werke handelt, erkennt man in diesem Engagement eine für die Zeit durchaus typische Sammelstrategie: nicht exemplarisch, sondern enzyklopädisch. So war Franz von Lipperheide in seiner 20jährigen Sammeltätigkeit bestrebt, auch unterschiedliche Varianten wie Übersetzungen oder erweiterte und überarbeitete Neuauflagen eines Titels zu erwerben. Er war damit einer Idee verpflichtet, die die großbürgerlichen Privatsammlungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts in Aufbau, Systematik und Umfang geprägt haben. Viele dieser Privatsammlungen sind heute im Bestand von Museen und bestimmen auch deren Charakter.
Auszug aus: E Inventar Sammlung Modebild – Lipperheidesche Kostümbibliothek, 3.a Kgl. Kunstgewerbe-Museum. Erwerbungs-Liste der Frhrl. v. Lipperheide’schen Kostümbibliothek 1899-1910
Exlibris der Bibliothek des Königl. Kunstgewerbe-Museums zur Erwerbung [18]99, 5 mit Schenkungsvermerk
150 Jahre, auch gemeinsame: Kunstbibliothek und Kunstgewerbemuseum feiern. Die Direktoren Sabine Thümmler und Joachim Brand über deutschen Ungeschmack, große Erwerbungsgeschichten… weiterlesen
Das Berliner Kunstgewerbemuseum feiert derzeit sein 150 jähriges Bestehen. Mitte des 19. Jahrhunderts gegründet, umfasste es neben dem Museum, eine… weiterlesen
Unsere Webseite verwendet Cookies. Diese haben zwei Funktionen: Zum einen sind sie erforderlich für die grundlegende Funktionalität unserer Website. Zum anderen können wir mit Hilfe der Cookies unsere Inhalte für Sie immer weiter verbessern. Hierzu werden pseudonymisierte Daten von Website-Besuchern gesammelt und ausgewertet. Das Einverständnis in die Verwendung der Cookies können Sie jederzeit widerrufen. Weitere Informationen zu Cookies auf dieser Website finden Sie in unserer Datenschutzerklärung und zu uns im Impressum.
Funktional Immer aktiv
Die technische Speicherung oder der Zugang ist unbedingt erforderlich für den rechtmäßigen Zweck, die Nutzung eines bestimmten Dienstes zu ermöglichen, der vom Teilnehmer oder Nutzer ausdrücklich gewünscht wird, oder für den alleinigen Zweck, die Übertragung einer Nachricht über ein elektronisches Kommunikationsnetz durchzuführen.
Vorlieben
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist für den rechtmäßigen Zweck der Speicherung von Präferenzen erforderlich, die nicht vom Abonnenten oder Benutzer angefordert wurden.
Statistiken
Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu statistischen Zwecken erfolgt.Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu anonymen statistischen Zwecken verwendet wird. Ohne eine Vorladung, die freiwillige Zustimmung deines Internetdienstanbieters oder zusätzliche Aufzeichnungen von Dritten können die zu diesem Zweck gespeicherten oder abgerufenen Informationen allein in der Regel nicht dazu verwendet werden, dich zu identifizieren.
Marketing
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist erforderlich, um Nutzerprofile zu erstellen, um Werbung zu versenden oder um den Nutzer auf einer Website oder über mehrere Websites hinweg zu ähnlichen Marketingzwecken zu verfolgen.
Kommentare