Pergamon. Das Panorama:

Aus der Erde ins Bewusstsein: „Wissen“ in archäologischen Museen

© Staatliche Museen zu Berlin © Picasa

Museen werden manchmal als Verwahrungsorte des Wissens wahrgenommen. Wie wird dieses Wissen allerdings konstruiert, und gibt es überhaupt ein objektives ‚Wissen’? Das Tischgespräch # 19 ging diesen Fragen anhand der Ausstellung im „Pergamonmuseum. Das Panorama“ nach.

Text: Stephanie Pearson

Wenn wir ins Museum gehen, haben wir gewisse Erwartungen. Bewusst oder unbewusst stellen wir uns darauf ein, dass uns etwas vorgestellt, vielleicht sogar beigebracht wird. Dieses Konzept heißt Wissensvermittlung: Das Museum vermittelt den Besucher*innen Wissen über seine Sammlungen. Dieses Konzept weist allerdings Probleme auf. Es unterstellt zum Beispiel, dass es ein bestimmtes ‚Wissen’ überhaupt gibt und dass das Museum es beherrsche. Doch Wissen ist nicht etwas vorgegebenes, das einfach im Raum schwebt, bis es von Forscher*innen „entdeckt“ wird – es wird vielmehr von diesen Forscher*innen konstruiert. Das, was wir Wissen nennen, ist lediglich die überlebensfähigste Theorie, die aus vielen Beobachtungen bisher formuliert wurde. Werden neue Beobachtungen gemacht, verändert sich auch das Wissen damit – es ist also weder objektiv noch unveränderlich.

Museumsausstellungen erwecken jedoch manchmal den Eindruck, als gebe es einen unveränderlichen, fertigen Wissenbestand. Material wird oft präsentiert, als hätte es eine einzige, durchaus bekannte Funktion oder Bedeutung gehabt. Verständlicherweise, denn Ausstellungen in Museen bieten nicht allen Platz und alle Zeit der Welt, um alle Möglichkeiten und Unsicherheiten zu erklären. Dennoch ist es möglich, diese Unsicherheiten wenigstens anzudeuten, denn die kritische Reflexion von Wissenskonstruktion ist genauso wichtig wie das Wissen an sich.

Für eine Untersuchung dieser Themen bot sich die Ausstellung im „Pergamonmuseum. Das Panorama“ an, weil sie diese kritische Reflexion außergewöhnlich sichtbar macht. Die Ausstellungstexte thematisieren Unsicherheiten und verschiedene Meinungen in der Forschung. Sie sprechen explizit an, wie eine bestimmte Interpretation zustande kam und regen damit kritische Überlegungen bei den Besucher*innen selbst an. Bei unserem Tischgespräch im Rahmen der Reihe ABOUT THE MUSEUM konnten wir anhand dieses Beispiels diskutieren: Wie wurde das Wissen zu diesen archäologischen Objekten konstruiert? Durch welche interpretativen „Filter“ sind die Objekte schon gegangen, bevor sie vor unseren Augen im Museum ausgestellt werden?

Es ist schwer, einen Mangel zu bemerken

Bei antiken Objekten liegt der Anfang der Interpretation sehr weit zurück. „Interpretation starts at the trowel’s edge“, wie es der Archäologe Ian Hodder 1997 ausgedrückt hat: die Interpretation fängt am Kellenrand an, also schon in dem Moment, in dem die/der Archäolog*in anfängt auszugraben. Allerdings kann der entscheidende Moment noch weiter in die Vergangenheit rücken, denn zuerst muss das antike Objekt ja überhaupt erhalten sein. Viel antikes Material verging bis zum heutigen Tag. So sieht man am Ende im Museum zwar, wie viele Marmorstatuen erhalten sind – allerdings nicht, wie viele bronzene Statuen nicht erhalten sind. (Viele, wie die Ausstellung „Power and Pathos“ 2018 im Getty Museum zeigte). Es ist eben schwer, eine Lücke zu sehen oder einen Mangel zu bemerken.

Bevor ein Objekt eines Tages ins Museum kommen kann, muss es als zunächst ausgegraben werden. Wo und wie gegraben wird, ist eine schwierige Entscheidung, hinter der viel Forschung steckt – also viele subjektive Entscheidungen. Auch ganz banale logistische und organisatorische Faktoren spielen hier eine große Rolle: Zum Beispiel Genehmigungen, die beeinflussen, welche Art von Ausgrabung in welchem Land gestattet wird. Auch das archäologische Heimatsinstitut und ggf. Spender spiele eine Rolle bei der Entdeckung von Objekten.

© Staatliche Museen zu Berlin

Außerdem muss das Objekt erhalten werden: Heute wird das meiste ausgegrabene archäologische Material aufbewahrt, aber in der Vergangenheit wurden viele Gegenstände von „niedrigerem Interesse“ weggeworfen – etwa der Inhalt von Sarkophagen oder die alltäglichen Metallteile und Terrakotten in einem Wohnkontext, die nicht so kunstvoll wie die marmornen Skulpturen gearbeitet waren.

Von der Grabung ins Museum

Von der Grabungsstätte, wo die Entscheidung über die Erhaltung eines Objektes getroffen wird, muss dieses dann noch in eine Museumssammlung geraten. Viele Stücke kommen nicht so weit, sie bleiben stattdessen im Magazin vor Ort oder werden von Privatsammlern aus dem Umlauf genommen.

Nach dem Erwerb muss sich das Museum dafür entscheiden, das Objekt auszustellen. Viel bleibt auch hier im Magazin, denn es gibt nur begrenzten Platz in den Galerien. Außerdem verlangen die begrenzte Zeit der Ausstellung, die Mühe der Präsentation von Objekten und nicht zuletzt die Finanzierung, dass eine Auswahl getroffen wird. Diese dürfte den persönlichen Forschungsschwerpunkten der Kurator*innen entsprechen oder den Zielsetzungen des Museums.

Schließlich muss das Objekt eine Beschriftung bekommen. Museale Beschriftungen können zwar den Eindruck erwecken, dass das Wissen über ein Objekt objektiv und eindeutig sei, aber wie gerade gesehen: eine ganze Reihe subjektiver Faktoren spielt in den Prozess hinein. Zunehmend werden diese Faktoren erkannt und benannt, nicht nur die obengenannten Punkte, sondern auch politische Kontexte, die unser „Wissen“ beeinflussen, beispielsweise die aktuelle Kolonialismusdebatte.

„Sehen heißt Glauben“ ist keine nachhaltige Strategie

Wie kann das Museum diese Faktoren dem Publikum darstellen? Und warum sollte es dies überhaupt anstreben? Einige Methoden kommen im „Pergamonmuseum. Das Panorama“ zum Einsatz. Unsicherheit und uneinheitliche Meinungen in der Forschung werden in den Ausstellungstexten angesprochen. Bei einem kleinen Zeus-Torso zum Beispiel wird erklärt, dass der Fundort bei einem Altar dazu führte, die Figur als Zeus zu identifizieren, obwohl sie genauso gut Asklepios, Poseidon oder einen anderen bärtigen Gott darstellen könnte. Bei der Inschrift zum Pergamonaltar steht im Text, dass unklar bleibt, welcher König den Altar welchem Gott gewidmet hat. Zum Testament Attalos’ wird beschrieben, wie die Existenz eines solchen Testamentes lange angezweifelt wurde, bis die Inschrift zu Tage kam, die man nun im „Pergamonmuseum. Das Panorama“ bewundern kann.

Wie Wissenschaftler*innen zu einer bestimmten Interpretation kamen, wird auch geschildert. Bei den Statuen von Attis und Kybele liest man, dass die „flüchtige Ausarbeitung der Rückseiten“ auf die Aufstellung vor einer Tempelwand hindeutet. Zum Porträt eines Mannes wird erklärt, dass wir leider nicht wissen können, ob es Attalos III darstellt, denn es gibt keine Porträts von ihm in Verbindung mit Namen (z.B. auf Münzen) und der hier ausgestellte Kopf weist kein mit dem König assoziiertes Attribut (z.B. ein Diadem o.ä.) auf.

Solche interpretativen Strategien im Museum sind absolut erstrebenswert, um unsere kritische Reflexion zu stärken. Gerade in der Zeit der Fake News und Deep Fakes (Gesichtstausch in Videomaterial) ist das Bewusstsein, was alles hinter der Interpretation eines Bildes steckt, wichtiger denn je. „Sehen heißt Glauben“ ist keine nachhaltige Strategie. Als schon beliebte Orte für das Nachdenken und die Erweiterung des Horizonts, können Museen das nötige Bewusstsein dafür hervorragend fördern.

Dieser Text basiert auf einem Impulsvortrag, den Stephanie Pearson im Rahmen der Veranstaltungsreihe TISCHGESPRÄCH im Sommer 2019 in der Ausstellung „Pergamon. Das Panorama“ gehalten hat. Die Reihe ist Teil der Vermittlungs-Initiative „About the Museum – Studierende in den Staatlichen Museen zu Berlin“.

Weitere Informationen: studierende.smb.museum und auf instagram / Facebook: ABOUT THE MUSEUM.

ABOUT THE MUSEUM wird gefördert durch die Sparkassen-Finanzgruppe.

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