Das Berliner Kulturforum als Wiege des 20. Jahrhunderts

Derzeit ist der städtebauliche Ideenwettbewerb für den Neubau am Kulturforum in vollem Gange. Das Ergebnis kann eine historische Chance für das Areal bedeuten. Generaldirektor Michael Eissenhauer über die Vergangenheit und eine mögliche Zukunft des Kulturforums.

Berlin ist eine Stadt fortwährender städtebaulicher Diskussionen. Das gilt in besonderer Weise für die Gestaltung des Kulturforums. Hier sind die Debatten seit Beginn der 1960er Jahre und mit dem politischen Beschluss zu seiner Errichtung bis heute nicht abgerissen.

Das Areal ist neben der Museumsinsel der wichtigste Standort der Staatlichen Museen zu Berlin: mit dem Bestand der Kunst des 20. Jahrhunderts in der Neuen Nationalgalerie von Ludwig Mies van der Rohe, der Gemäldegalerie, dem Kunstgewerbemuseum, dem Kupferstichkabinett und der Kunstbibliothek sind hier fünf ihrer bedeutenden kunstgeschichtlichen Sammlungen beheimatet. Daneben befinden sich als weitere Einrichtungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz die Staatsbibliothek, das Ibero-Amerikanische Institut und das Staatliche Institut für Musikforschung mit dem Musikinstrumenten-Museum am Kulturforum. Sie alle teilen sich den Standort mit der Stiftung Berliner Philharmoniker in der Philharmonie und dem Kammermusiksaal und der St. Matthäus-Kirche, Sitz der Kunst- und Kulturstiftung der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Diese Konzentration von vielfältigsten Kultureinrichtungen an einem Ort ist deutschlandweit einzigartig: Im Verbund bilden sie das Potential für einen herausragenden internationalen und interdisziplinären Kunst- und Wissenschaftsstandort. Doch die architektonische Präsenz der einzelnen Bauten und ihres Zusammenwirkens führt städtebaulich zu keiner Akzeptanz.

Errichtet als Gegenstück zur damals im Osten der geteilten Stadt gelegenen Museumsinsel und dem Boulevard Unter den Linden war das Kulturforum ein politisches Zeichen: ein modernes Gegenüber als Sinnbild einer neuen westlichen Mitte. Um dieses Ziel zu verwirklichen, wurden zahlreiche nach dem Krieg teilzerstörte Gebäude im Tiergartenviertel geopfert und abgerissen.

Hier hielt die Moderne Einzug in Berlin
Heute fällt es schwer zu glauben, dass sich um das Jahr 1900 genau in dieser Gegend eines der attraktivsten Wohngebiete Berlins befand: das Tiergartenviertel. Seit Ende des 18. Jahrhunderts hatte es sich von einem öffentlichen Lustpark zunächst zu einem Ort für die Sommerfrische vor den Toren der Stadt und ab Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem bevorzugten Wohngebiet vor allem für das Berliner Bürgertum gewandelt. Das Areal zwischen der Tiergartenstraße im Norden, der Bendlerstraße (seit 1955 Stauffenbergstraße), dem Landwehrkanal im Süden und der Potsdamer Straße entwickelte sich vom Garten- zum Villenviertel. Hier ließen sich Unternehmer, Kunsthändler, Sammler und Künstler nieder, hier hielt die Moderne Einzug in Berlin, hier präsentierten Kunsthandel und Salons erstmals französische Impressionisten, hier entstand eine Vielzahl an Bauten namhafter Architekten. Und den Bewohnern bot das Viertel Raum für die verschiedenen Lebensweisen: Rund um die St. Matthäus-Kirche von Friedrich August Stüler entstanden vorrangig mehrgeschossige Wohnhäuser sowie Stadt- und Mietvillen.

Entlang der Tiergartenstraße hingegen befanden sich frei stehende Villen mit weitläufigen Gärten. So lebten an diesem Ort Kulturschaffende in Mietwohnungen neben wohlhabenden Industriellen in prächtigen Villen. Ein Austausch fand in den Kultureinrichtungen und Salons sowie den Cafés und Gaststätten statt. Klangvolle Namen wie die des Industriellen und Großmäzens der Königlichen Museen zu Berlin, James Simon, der Architekten Ludwig Hoffmann und Ernst Eberhard von Ihne, der Maler Anton von Werner und Adolph von Menzel, der Kunsthändler Herwarth Walden, Paul Cassirer und Alfred Flechtheim, des Archäologen Ernst Curtius oder der Schauspielerin Tilla Durieux sind eng mit der Geschichte des Kulturforums verbunden. Viele von ihnen wurden von den Nationalsozialisten diffamiert, vertrieben, verfolgt und ermordet.

Große Pläne, große Schwierigkeiten
Nur noch wenige Gebäude geben heute Zeugnis von dieser Zeit: die St. Matthäus-Kirche, die in die Gemäldegalerie integrierte Villa Parey, benannt nach dem Verleger Paul Parey, und die Villa Gontard, seit 1970 Sitz der Generaldirektion der Staatlichen Museen zu Berlin, in der Stauffenbergstraße. Nirgendwo in Berlin haben die von den Nationalsozialisten durchgeführten Zerstörungen im Rahmen der NS-Planung für die Hauptstadt „Germania“ und flächendeckende Bombardierungen während des Zweiten Weltkrieges städtebaulich eine größere Brache hinterlassen.

Die Neugestaltung des Ortes gestaltete sich schwierig: Bereits 1946 hatte der Architekt Hans Scharoun, der ein Jahr zuvor zum Stadtrat für Bau- und Wohnungswesen ernannt wurde, erste Ideen für einen Kollektivplan vorgelegt und diese 1956/57 für die Philharmonie sowie 1964 für den Neubau der Staatsbibliothek konkretisiert. Die übergreifenden Raumkonzepte Scharouns konnten jedoch nicht umgesetzt werden. Vielmehr folgten in regelmäßigen Abständen und bis heute neue Vorschläge.

Der Begriff „Kulturforum“ verspricht ein zusammenhängendes Ensemble. Dem Besucher bietet sich vor Ort jedoch ein anderes Bild: lose gruppierte Gebäude – immerhin herausragende und weltweit berühmte Solitäre der Architekturgeschichte – dazwischen die alles durchschneidende Potsdamer Straße, die kahle Freifläche vor der historischen St. Matthäus-Kirche und die ebenso trostlose schräge Piazzetta vor den Museen: In diesem Areal scheint mehr Trennendes als Verbindendes zu existieren. Weder der Vorschlag Hans Holleins im Gutachterverfahren „Kulturforum“ 1983, der Bezüge zwischen den einzelnen Gebäuden herstellen und ihnen Zusammenhalt geben wollte, noch der 2005/06 von Senat und Abgeordnetenhaus auf Grundlage der Scharoun‘schen Planungen beschlossene Masterplan zur Weiterentwicklung des Kulturforums wurden umgesetzt. Seit 2011 liegt eine Planung zur schrittweisen Realisierung eines Freiraumkonzeptes vor, deren erste Schritte eingeleitet und verwirklicht wurden.

Eine historische Chance
Dem Ort ist seine wechselvolle Geschichte und ehemalige Randlage bis in die Gegenwart anzumerken: So zerrissen wie die Geschichte des 20. Jahrhunderts, so zerrissen ist die Architektur des Kulturforums. Mehr als 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und mehr als 25 Jahre nach dem Mauerfall bietet sich uns jetzt die Chance, diesen Ort inhaltlich wiederzugewinnen und städtebaulich weiterzuentwickeln: Mit einem Neubau für die bedeutenden Bestände der Staatlichen Museen zu Berlin zur Kunst des 20. Jahrhunderts und für die Sammlungen Pietzsch, Marx und Marzona wird einerseits ein inhaltlicher Bezug zur Geschichte dieses Ortes hergestellt und andererseits ein verbindendes Element im städtebaulichen Kontext des Areals geschaffen. Das Kulturforum könnte zu einem kulturellen Erlebnis- und Aufenthaltsort gestaltet werden, der für Berlinerinnen und Berliner sowie für die Besucher der Hauptstadt gleichermaßen attraktiv ist. Dieser historischen Chance kommen wir heute einen entscheidenden Schritt näher: Die Ergebnisse des städtebaulichen Ideenwettbewerbs für den Neubau am Kulturforum haben das Potential, das 20. mit dem 21. Jahrhundert, die Kunst der Moderne mit dem urbanen Lebensgefühl unserer Zeit zu verbinden.

Blick auf die Piazetta des Kulturforums. Foto: Achim Kleuker
Blick auf die Piazetta des Kulturforums. Foto: Achim Kleuker

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