Ein Denkmalpflegeprojekt. Die Grundinstandsetzung der Neuen Nationalgalerie
Die Neue Nationalgalerie steht aufgrund ihrer herausragenden architektonischen und zeitgeschichtlichen Bedeutung auf der Denkmalliste des Landes Berlin. Welche Ziele haben sich die Projektbeteiligten für die Grundinstandsetzung angesichts der hohen denkmalpflegerischen Ansprüche des Gebäudes gesetzt?
Bei der Sanierung der Neuen Nationalgalerie soll auf eine optische Auffrischung oder ästhetische Modernisierung nach heutigem Zeitgeschmack verzichtet werden. Die Grundinstandsetzung soll das Haus im bautechnischen Sinne ertüchtigen, aber in seiner äußeren und inneren Erscheinung kaum verändern – so steht es in einem grundlegenden Thesenpapier.
Als Vorbereitung für die Grundinstandsetzung der Neuen Nationalgalerie entwickelte der externe Berater Fritz Neumeyer, emeritierter Professor für Architekturtheorie an der TU Berlin und profunder Kenner Mies van der Rohes, gemeinsam mit dem Bundesamt für Raumordnung und dem Landesdenkmalamt Berlin eine denkmalpflegerische Zielvereinbarung, die auf einer umfangreichen Bestandserfassung und denkmalpflegerischen Bewertung basierte. Das nachfolgend im Vergabeverfahren ausgewählte Büro David Chipperfield Architects entwickelte die Thesen der Zielvereinbarung in einem intensiven Diskussionsprozess mit den Projektbeteiligten weiter.
Dazu zählen die Staatlichen Museen zu Berlin als Nutzer, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz als Eigentümer und das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung als deren Bauherrenvertretung, die Berliner Denkmalpflege sowie die Berater Dirk Lohan und Fritz Neumeyer. Ziel des Thesenpapiers ist es, für das Denkmalpflegeprojekt Neue Nationalgalerie eine konzeptionelle Richtlinie zu formulieren, aus der sich viele Detailentscheidungen gemeinsam mit dem Nutzer und dem Bauherrn ableiten lassen. „Wenn man mit einem Projekt dieser Komplexität beginnt, braucht man relativ lange, um die tatsächlich relevanten Fragestellungen zu identifizieren. Eine passgenaue Aufgabenstellung ist jedoch essentiell notwendig, um gute Lösungen zu entwickeln“, so Martin Reichert, Projektmanager und Partner im Berliner Büro von David Chipperfield.
„Die Materie ernst nehmen“
Die Detailtiefe des Thesenpapiers reicht dementsprechend weit. Selbst Nebenbereiche wie die Sanitärräume sollen in ihrer ursprünglichen Gestaltung erhalten oder wieder hergestellt und nicht dem heutigen Geschmack angepasst werden. Ebenso wenig ist eine nachträgliche Idealisierung des Gebäudes „im Sinne von Mies“ Ziel der Architekten. Die Neue Nationalgalerie trägt beide Seiten in sich: die klassizistische Überhöhung als moderner Tempel ebenso wie pragmatische, für die Erbauungszeit typische Lösungen. Beide Facetten sollen in der Grundinstandsetzung zu ihrem Recht kommen. „Eine nachträgliche Korrektur verfälscht das Zeitdokument und nimmt ihm seine Authentizität“, so die Architekten im Thesenpapier.
Eine weitere These betrifft den weitestgehenden Erhalt der Originalmaterialien. Die „Materie ernst nehmen“ (Reichert) heißt nicht nur so offensichtlich Bedeutendes wie den Marmor der Installationsschächte im Obergeschoss oder die Holzoberflächen beispielsweise der Garderoben zu erhalten, sondern ebenso scheinbar Nebensächliches wie Waschbecken oder Vorhangschienen. Auch wenn das Ganze nicht in „Substanzfetischismus“ enden soll, so ist doch der Respekt vor der Materialität des nachkriegsmodernen Denkmals erklärtes Ziel. Im Bereich der technischen Anlagen ist dies oft nicht möglich, aber öffentlich sichtbare Details der Haustechnik wie Steckdosen und Lichtschalter, Lüftungsgitter oder Leuchten werden nachgebaut oder bleiben erhalten und werden technisch ertüchtigt. Denn auch sie tragen zur Gesamterscheinung bei und können bei Erneuerung – wie oftmals nach der Sanierung von Denkmälern zu erleben – den Raumeindruck nachhaltig beeinflussen.
Denkmalqualität ist eine ‚Grundbeschaffenheit’ des Projektes
Auch schon im Thesenpapier festgehalten sind die gestalterischen Eingriffe in das Denkmal, die unumgänglich für eine zeitgemäße museale Nutzung des Gebäudes sind, wie die behindertengerechte Außentreppe, der Personenaufzug oder auch die Neuorganisation von Depot, Garderoben, Museumsshop und Café im Untergeschoß. Erklärtes Ziel von David Chipperfield Architects ist es, in der eigenen Entwurfssprache so zurückhaltend wie möglich zu sein. „Die Veränderungen sind auf den zweiten Blick als zeitgenössische Ergänzungen ablesbar, ordnen sich jedoch den gestalterischen Vorgaben des Bauwerks unter“, so die Architekten.
Das Thesenpapier endet mit dem Postulat: „Die Denkmalqualität ist eine ‚Grundbeschaffenheit’ des Projektes, die alle anderen Themen entscheidend bestimmt. Die Rahmenbedingungen in Bezug auf Termine, Kosten, Qualitäten, Funktionen wurden deshalb von Anbeginn und vorrangig auf die Bedürfnisse des Denkmals ausgerichtet“. Auf die Frage, inwieweit sich dieses Ziel verbunden mit den einzelnen Thesen im laufenden Arbeitsprozess bewährt, sagt Daniel Wendler, Projektleiter für die Neue Nationalgalerie im Büro von David Chipperfield: „Nicht alle Thesen lassen sich eins zu eins in die Praxis umsetzen, aber der Geist des Thesenpapiers schwingt bei allen Entscheidungen mit“. Vor allem in der Kommunikation mit allen Prozessbeteiligten, im Ringen um die beste Lösung zwischen heutigen Nutzungsansprüchen an ein international positioniertes Museum mit anspruchsvollen Wechselausstellungen und der überragenden Bedeutung der Architektur als Denkmal, bilden die Thesen bis heute eine wichtige Grundlage.
Text: schmedding.vonmarlin.
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