Ein Tandem in der Forschung. Oder: Der Geschmack der ANT*
Petra Wodtke ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Antikensammlung beim Projekt „Foto-Objekte“. Im „Tandem“ mit ihren Kolleginnen aus Kunstbibliothek, Humboldt Universität und Kunsthistorischem Institut Florenz erkundet sie darin Fotografien nicht nur als Bilder, sondern als ihrerseits historische Gegenstände.
Was ist ein Tandemtreffen? Erweckt der Begriff zunächst die Assoziation einer geordneten Zweierkonstellation, bei der beide Beteiligte unter Aufbietung gemeinsamer Kräfte in eine Richtung strampeln, so lohnt es sich, das Konzept hier in seiner wissenschaftlichen Anwendung zu beleuchten. Wir verstehen das Tandem-Paar im Rahmen unseres Forschungsprojektes „Foto-Objekte“ als ein Treffen von zwei, drei oder allen vier Projektpartnerinnen, in einem der beteiligten Archive.
Die Fotografien und wir
Der dort stattfindende Austausch wird vom Ort und dem Archivbestand gelenkt: „In die gleiche Richtung streben“ bedeutet dabei, unter Aufbietung beidseitiger Mühen eine diskursive Wegstrecke gemeinsam zurückzulegen. Im Laufe der Zeit verwebt sich aus diesem Wechselspiel von Besuch und Gegenbesuch, Material und Objekt, Handlung und Erwiderung ein Netzwerk, in dem menschliche und nicht-menschliche Akteure – die Fotografien und wir – miteinander verflochten sind.
„Wir“, das sind die vier wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen des Projekts „Foto-Objekte“ aus insgesamt vier Institutionen. Zwei der Verbundpartner sind Institutionen der Staatlichen Museen zu Berlin: Petra Wodtke bearbeitet einen Bestand der Antikensammlung im Alten Museum und Stefanie Klamm forscht in der Sammlung Fotografie der Kunstbibliothek. Die beiden anderen Kolleginnen sind Franka Schneider vom Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt Universität zu Berlin, die dort das Hahne-Niehoff-Fotoarchiv zur Volkskunde untersucht, und Julia Bärnighausen von der Photothek des Kunsthistorischen Instituts des Max-Planck-Instituts in Florenz, die sich mit Aufnahmen der angewandten Kunst beschäftigt.
Neue Formen der Zusammenarbeit
Das Projekt hat zum Ziel, Fotografien nicht nur als Bilder, sondern als dreidimensionale, von historischen Prozessen geformte Gegenstände zu verstehen. Methoden und Praktiken des wissenschaftlichen Arbeitens an und mit Fotografien von 1850 bis 1940 stehen im Vordergrund. Das Abgebildete ist nur ein Aspekt der Fotografie, in seiner gesamten Materialität ist das Foto-Objekt Wissensspeicher und eigenständiger Akteur im Forschungsnetzwerk. Die Besonderheit des Projekts liegt darin, dass die vier Verbundpartner sich nicht in einzelne Teilprojekte auffächern, sondern an ihrem sehr heterogenen fotografischen Material gemeinsamen Fragestellungen nachgehen. Dazu benötigt man andere, neue Formen der Zusammenarbeit, die wir gemeinsam erproben.
Das sogenannte „kollaborative Format“ der Tandem-Forschung ermöglicht es uns, innerhalb des Projektes intensiv miteinander über Bestände, Zielsetzungen und Fragestellungen zu diskutieren. Seit Oktober 2015 treffen wir uns regelmäßig. Arbeitsfotos, Notizen und auch Tonaufnahmen sind Bestandteil der reflexiven Dokumentationsstrategie dieser Treffen.
Erweitertes Blickfeld, erweiterte Perspektive
Dabei zeichneten sich bereits vielfältige Parallelen innerhalb der sehr verschiedenen Foto-Konvolute ab, so zum Beispiel die Aspekte des Seriellen, Charakteristischen und Typischen, der Anspruch der lückenlosen Dokumentation sowie Sortierungs- und Klassifikationssysteme, das Thema der Reisen und Kampagnen oder auch der Einfluss eines Formenkanons. Die für alle Seiten sehr anregenden Differenzen betreffen vor allem disziplinär bedingte Herangehensweisen an die jeweiligen Forschungsthemen und Archivmaterialien. Gleichzeitig findet ein Austausch über die fachspezifischen Methoden statt.
Das komparative Moment entsteht dabei in der Wechselseitigkeit. Wenn gleiche Konstellationen andere Räume betreten und der Blick sich weitet, dann erweitert sich auch das Blickfeld um die Perspektive der jeweils anderen, die man selbst nicht einnehmen kann. Dadurch werden einerseits neue Impulse generiert, andererseits wird man für Formen des eigenen Zugangs sensibilisiert, die plötzlich in einem direkten Ausdrucksszenario abgefragt werden. Das Denken vom Material aus wird durch gemeinsames „Browsen“, dem haptischen Blättern in den Fototafeln, zu einer Meinung, einer Idee, einer Analogie.
Finden mit den Augen und den Händen
Wie sich ein solches Treffen formal oder inhaltlich gestalten kann, damit lohnt es sich zu experimentieren. In der Antikensammlung erwiesen sich die ersten Treffen vor allem als performativ. Die Diskussionsdynamiken zeigten sich in der Bewegung, der Handlung, den Wegen, aber auch den Beschränkungen, Verhinderungen und (Un)Erreichbarkeiten.
Ich hole die Kollegin beim Pförtner ab, wir durchqueren einen langen Gang und noch einen, passieren die Türen zu meinem Arbeitsplatz. Hier erfährt man das Archiv als abgelegenen, jedoch nicht abgelegten Raum, im Herzen des Alten Museums auf der Berliner Museumsinsel. Zentral und doch isoliert.
Wir stehen an meinem Schreibtisch, ich zeige ein Formular zur Datenerfassung am Monitor. Wir setzen uns in die Mitte des Raumes an die Tischinsel, die ich zum Auslegen der Fotografien benötige. Wir gehen in den Archivraum zu den Plan- und Karteikartenschränken, öffnen und schließen Fächer, Klappen und Läden, sprechen dabei über Findsysteme, finden gleichzeitig mit den Augen und den Händen.
Fotos vom Fotomachen
Wir knien vor Archivboxen und sprechen über Grabungstagebücher und Listen der Fundstücke, wir gehen in den Nebenraum, stehen vor den Schränken mit tausenden und abertausenden Fototafeln, öffnen einen, browsen durch die Bestände, an diesem oder jenem haften bleibend. Wir ziehen heraus, schieben wieder hinein, der Raum begrenzt die Geräusche, bedingt ihre Akustik und ermöglicht oder verhindert die Themenfelder. Die Dokumentation ist dabei Teil der Inszenierung. Ich zücke das Handy, mache einen Schnappschuss. Schon ist ein neues Foto-Objekt entstanden. Das Diktiergerät zeichnet stoisch das artifizielle Auslösergeräusch auf, das technisch nicht mehr erforderlich ist. Fotos vom Fotomachen, wechselseitige Darbietung und Wahrnehmung, als Zusammenspiel von Bestand und Nutzerin.
Wir gehen wieder durch die Gänge und Türen, biegen dieses Mal anders ab. Weitere Gänge, dann stehen wir vor den Negativschränken. Hier nur ein Verweisen, ein Darauf-Zeigen: Siehe, dort befindet sich etwas, was du nun nicht sehen wirst. Es bleibt verschlossen. Aber nun hast du die Schränke gesehen.
Räume konzeptualisieren Handlungen. Dritte, repräsentiert in Geräten, Werkzeugen, Hilfsmitteln konzipieren „Aura“, Logiken der Befindlichkeit und Kommunikation. Ablagesysteme strukturieren den Zugang zu den Objekten. Und so arbeitet die Forscherin im Tandem: Sie reflektiert sich selbst als Akteur, als Bestand-„Teil“ ihres eigenen Forschungsnetzwerks.
*“ANT“ ist in diesem Falle nicht nur die Abkürzung für die Antikensammlung der Staatlichen Museen zu Berlin, sondern steht auch für „Akteur-Netzwerk-Theorie“, ein Begriff der von dem französischen Soziologen Bruno Latour geprägt wurde.
Aus dem kollaborativen Arbeiten und der Tandem-Forschung ist inzwischen ein erstes Projekt erwachsen: „Into the Archive“, die gemeinsame Online-Ausstellung aller Projektpartner.
„Foto-Objekte“ ist ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung innerhalb der Förderrichtlinie „Die Sprache der Objekte“ finanziertes Forschungsprojekt. Dieser Beitrag erschien in leicht veränderter Fassung auch auf dem Projektblog von „Foto-Objekte“.
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