Geheimnisse der Buchkunst: Erforschung des Stundenbuchs der Maria von Geldern
Das Handschriftenprojekt „Maria von Geldern“ widmet sich der Untersuchung und dem Erhalt einer der schönsten Handschriften aus dem Bestand der Staatsbibliothek zu Berlin. Nun gibt es in deutsch-niederländischen Forschungsprojekt erste Ergebnisse.
Im Forschungsprojekt „Maria von Geldern“ wird seit einem Jahr eine der schönsten mittelalterlichen Handschriften im Bestand der Staatsbibliothek zu Berlin untersucht. Ende Oktober wurden in Berlin erste Ergebnisse der deutsch-niederländischen Kooperation vorgestellt. Ein interdisziplinäres Team aus Kunsthistorikern, Philologen, Restauratoren und Naturwissenschaftlern arbeitete unter der Leitung von Johan Oosterman, Everardus Overgaauw und Ina Reiche zusammen, um die Geheimnisse des Stundenbuches zu entschlüsseln.
Das Gebetsbuch wurde 1415 im Augustinerkloster von Arnheim für die Herzogin Maria von Geldern hergestellt und besteht aus 241 Pergamentblättern, die heute in ungebundener Form vorliegen. Sie enthalten Gebete in ostmittelniederländisch mit kölnischen Einsprengseln, sowie Miniaturmalereien und Dekorationselemente von hervorragender künstlerischer Qualität – darunter farbige Zierrahmen, Drolerien oder historisierte Initialen.
Im Rahmen der Vortragsreihe „KWD – Konservierungswissenschaft im Dialog“ des Rathgen-Forschungslabors und seines Förderkreises gaben die Naturwissenschaftlerinnen Cristina Aibéo und Ellen Egel nun erste Antworten auf Fragen, die die Wissenschaft seit längerem beschäftigen.
Wie viele Maler waren für die Erstellung der Handschrift zuständig?
Wie viele Maler an der Herstellung der Handschrift beteiligt waren und wie die Arbeitsteilung genau aussah, das untersucht die Kunsthistorikerin Miranda Bloem an der Radboud-Universität Nijmegen. Gemeinsam mit Kollegen vom Rathgen-Forschungslabor erforscht sie, ob es Übereinstimmungen zwischen stilistischen Unterschieden und verschiedenen Farbpaletten gibt.
Nach einer kunsthistorischen Analyse der gesamten Handschrift konnte Bloem mindestens fünf verschiedene Meister unterscheiden, die an dem Buch gearbeitet haben. Als Unterscheidungsmerkmale dienen vor allem die Größe und Feinheit der Malereien: Während bei einigen Figuren die Gesichter und Details wie die Haare sehr fein ausgearbeitet sind, sind sie bei anderen eher grob gehalten.
Bisher konnten bereits ausgewählte 13 Blätter des Manuskripts mit zerstörungsfreien Analysenmethoden wie der Röntgenfluoreszenz oder der Raman- und Vis-Spektroskopie hinsichtlich der Farbmittel untersucht werden. Die Ergebnisse zeigen, dass eine Unterscheidung der Meister durch chemische Merkmale möglich ist: Aufschlussreich waren hier vor allem die Verwendung einzelner Pigmente für die Farben Weiß, Rot und Gelb, die Verwendung von Pigmentmischungen, zum Beispiel für Grün, und die Verwendung ausgewählter Pigmente oder Pigmentmischungen für bestimmte Malereidetails, etwa die Lippen.
Das Unsichtbare sichtbar machen
Auch verborgene Geheimnisse der Handschrift kamen im Laufe des Projektes zutage. Auf hochaufgelösten digitalen Aufnahmen verschiedener Blätter tauchten unter den Miniaturmalereien zuvor unbemerkte Unterzeichnungen auf.
Sie sind mit bloßem Auge nicht zu erkennen, doch die Verwendung von Infrarotstrahlen machte ihre interessanten Details sichtbar. Es handelt sich bei den verborgenen Linien sowohl um Untermalungen als auch um schriftliche Anweisungen für die Maler, die an dem Manuskript arbeiteten. Manche dieser Malanweisungen sind sehr kurz und geben nur Stichpunkte, etwa „König“ oder „Schwert“, andere bestehen aus ganzen Sätzen und beschreiben vermutlich im Detail, was gemalt werden sollte.
Konservierung der Handschrift
Auch die Konservierung der wertvollen Handschrift ist ein wichtiges Thema in dem Forschungsprojekt. Die Restauratorinnen Julia Bispinck-Roßbacher und Margit Hundertmark von der Staatsbibliothek zu Berlin erfassen dazu den aktuellen Zustand des Objektes Blatt für Blatt, dokumentieren Schäden und versuchen, die Ursachen für Beschädigungen zu verstehen.
Pudernde und abgeplatzte Malschichten sowie Risse der Pergamentblätter gehören zu den gravierendsten Schäden des Manuskripts. Die Vielzahl der Risse, die zu einer extremen Fragilität der einzelnen Blätter führt, ist ungewöhnlich für Handschriften aus Pergament. Um herauszufinden, warum dieses besondere Schadensbild beim Stundenbuch der Maria von Geldern auftritt, müssen die Experten zunächst erörtern, wo sich die Risse am häufigsten befinden.
Weitere Geheimnisse warten …
Dazu werden die kleinen Beschädigungen präzise dokumentiert: Anzahl, Lokalisierung und Länge der Risse werden für jedes Blatt einzeln erfasst. Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen, doch eine erste Auswertung zeigt, dass die Anzahl der Risse nach etwa 60 Seiten deutlich steigt. Außerdem befinden sich die Risse der ersten Analyse zufolge zu mehr als 70% im linken farbigen Zierrahmen.
Warum das Pergament genau an den entsprechenden Stellen bricht, wird derzeit von Wissenschaftlern des Rathgen-Forschungslabors und des Helmholtz-Zentrums für Materialien und Energie untersucht. Die Forschung wird Aufschluss darüber geben, ob zum Beispiel chemische oder strukturelle Veränderungen der Moleküle des Collagens, aus welchem Pergament besteht, dafür verantwortlich sind, oder welche anderen Faktoren eine Rolle spielen könnten. Die Ergebnisse werden zu einem späteren Zeitpunkt des noch laufenden Projektes präsentiert – es bleibt also spannend und es dürfte sicher noch das eine oder andere Geheimnis des Stundenbuchs der Maria von Geldern gelüftet werden.
Das Projekt „Maria von Geldern“ wird von der Ernst von Siemens Kunststiftung finanziell unterstützt.
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