„Immer in Bewegung bleiben“: Viola König und das Ethnologische Museum
16 Jahre lang leitete Viola König das Ethnologische Museum in Dahlem. Sie kuratierte in dieser Zeit nicht nur bedeutende Sonderausstellungen, sondern wirkte auch maßgeblich am inhaltlichen Konzept für das Humboldt Forum mit. Wir trafen sie zum Rückblick auf eine bewegte Karriere.
Interview: Karolin Korthase
Frau König, Sie sind Alt-Amerikanistin und Ethnologin. Woher kommt Ihre Faszination für andere Kulturen?
Viola König: Das Thema fasziniert mich, seit ich denken kann. Mit zehn Jahren habe ich angefangen, unsere Stadtbibliothek leer zu lesen. Ich habe alles verschlungen, was sich mit Kulturen, Künsten und der Archäologie außerhalb Europas beschäftigte. Dies hat mir während des Studiums viel Zeit erspart, weil ich einen großen Wissensvorsprung mitbrachte. Es hat sich auch schon früh herauskristallisiert, dass mein Hauptinteresse dem amerikanischen Doppelkontinent gilt – von Alaska bis Feuerland. Alles, was damit zu tun hat, fasziniert mich besonders.
Haben Ihre Eltern Ihr Interesse gefördert?
Meine Eltern haben sich früh an den Gedanken gewöhnen können, dass ich mich nach dem Abitur mit Ethnologie, speziell mit amerikakonzentrierten Studien beschäftigen wollte. Aber für meine Eltern war ein solches Studium natürlich brotlose Kunst. Sie haben trotzdem „erlaubt“, dass ich das machen durfte. Zunächst bin ich nach Freiburg und im Anschluss nach Hamburg gegangen. Dort gab es ein eigenes Institut für Alt-Amerikanistik, an das wechselnde Gastprofessoren aus aller Welt eingeladen wurden. Eine sehr spannende Zeit!
Sie haben dann auch in Hamburg promoviert …
Genau, da war ich 25 Jahre alt. Ich hatte mich innerhalb des Studiums auf das Dekodieren von mixtekischen Bilderhandschriften aus Oaxaca, Mexiko, konzentriert. Das musste ich mir im Selbststudium aneignen, da wir eher klassisches Aztekisch und mehrere Maya-Sprachen gelernt hatten. Für meine Promotion habe ich mir eine unerforschte Handschrift aus dem British Museum – den Codex Egerton 2895 – ausgesucht und bin für Feldforschungen nach Mexiko gereist. Die Bilderhandschriften zu verstehen und damit auch das Weltbild der Menschen, wie sie gelebt, was sie geglaubt, wie sie gedacht haben, das interessiert mich bis heute. Ich knacke eben gerne Codes.
Wie kamen Sie von Hamburg nach Berlin?
Auf das Studium folgten einige Jahre im Hamburger Museum für Völkerkunde, wo ich die amerikanische Nordwestküste als einen zweiten Forschungsschwerpunkt entdeckte. Dann bekam ich, nach einem Ausflug in die Museumspädagogik in Köln, meine erste Führungsposition am Niedersächsischen Landesmuseum Hannover und ging schließlich als Direktorin für acht Jahre an das Übersee-Museum nach Bremen. Hier traf ich auf ein Magazingebäude, das sich in einem ziemlich desolaten Zustand befand, aber in einer Toplage, direkt gegenüber dem Hauptbahnhof. In dieser Zeit habe ich das Übermaxx „erfunden“, ein in Europa einzigartiges Schaumagazin. Es befindet sich im selben Gebäude wie das Kino Cinemaxx und wurde später mit dem Übersee-Museum räumlich verbunden. Nach diesem Projekt folgte ein achtmonatiges Sabbatical, das ich für eine Gastprofessur in New Orleans und Feldforschungen in Mexiko nutze. Von dort zurückgekehrt, erhielt ich einen Anruf von Klaus-Dieter Lehmann, dem damaligen Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Er wollte mich unbedingt als Direktorin des Ethnologischen Museums gewinnen. Ich war mir damals nicht sicher, ob ich wieder in einem deutschen Museum oder lieber an einer Universität in den USA arbeiten wollte. Ausschlaggebendes Argument war für mich dann die neue Idee, mit dem Ethnologischen Museum in die Berliner Mitte umzuziehen – wenngleich Klaus-Dieter Lehmann keinen Hehl daraus machte, dass das Vorhaben politisch noch nicht gesetzt sei. 2001 bin ich nach Berlin gezogen.
Wie war die Situation in Dahlem als Sie dorthin kamen?
Wir sind im Ethnologischen Museum lange Zeit zweigleisig gefahren: Einerseits planten wir unsere Ausstellungen am Museumsstandort Dahlem, andererseits gab es von Anfang an die Umzugspläne, die 2002 durch einen Bundestagsbeschluss bestätigt, aber weiterhin kontrovers diskutiert wurden. Mit den „Azteken“ und „Die Tropen. Von der Mitte der Weltkugel“ im Martin-Gropius-Bau haben wir schon einmal getestet, wie Ausstellungen in der Mitte der Stadt angenommen wurden. Dort hatten wir natürlich viel mehr Besucher als in Dahlem, wo man hätte viel investieren müssen, sowohl in die Bausubstanz als auch in das Marketing, um Besucher anzuziehen. Aber selbst solche Maßnahmen wären keine Garantie auf einen maßgeblichen Besucherzuwachs gewesen.
Wann wurden die Umzugspläne ins Humboldt Forum konkret?
2007 haben wir das erste umfangreiche Ausstellungskonzept zu Papier gebracht. Weil aber absehbar war, dass sich der Prozess noch viele Jahre hinziehen würde, habe ich ein auf flexiblen Ausstellungsmodulen basierendes Konzept entwickelt, das die Schwerpunkte der Sammlung in verschiedenen Themen aufgreift. Inselartig dazwischen sollte es gläserne Studiensammlungen geben. Damit wollten wir nicht nur die Qualität sondern auch die Menge unserer Objekte zeigen. Das Kinder- und Jugendmuseum sollte nicht mehr abgetrennt von der Hauptausstellung wie in Dahlem, sondern mittendrin an verschiedenen Stellen verortet sein. Ein weiterer Teil des Konzepts waren die Meeting Points, die die Möglichkeit bieten sollten, sich auch in größeren Gruppen zu versammeln, sich hinzusetzen und das Gesehene zu vertiefen.
Das Humboldt Forum und seine Inhalte werden kontrovers diskutiert. Sie haben das ursprüngliche Konzept entwickelt – haben Sie eine Vermutung, warum die Diskussion so erbittert geführt wird und welche Fehler passiert sind?
Die Kritik bezog sich immer auf das fehlende Gesamtkonzept für das Humboldt Forum. In den Werkstattgesprächen in der Humboldt Box, wo wir regelmäßig die jeweils aktuelle Fassung des Ausstellungskonzepts vorstellten, bekamen wir viel öffentliche Zustimmung. Dass unser Konzept nun verändert wird, wichtige Module teils ganz verschwinden und kuratorische Aussagen durch Interventionen und Blickfenster für Besucher nicht mehr nachvollziehbar sein werden, finden wir als Kuratoren bedauerlich. Wenn nun statt einer rein ethnologischen Ausstellung eine integrale Schau von Natur und Kultur gewünscht ist – so wie ich sie übrigens in Bremen bereits umgesetzt habe – dann hätte man meiner Meinung nach eine komplette Neukonzeption machen sollen. Ich glaube, dass in ethnologische Konzepte eingestreute Exponate zur Geschichte des Berliner Stadtschlosses die Besucher verwirren werden und dass die Fokussierung auf „Highlights“ von der eigentlichen Erzählung ablenkt.
In der öffentlichen Debatte ist aktuell die Kolonialgeschichte vieler Exponate und damit auch die Provenienzforschung ein großes Thema. Wie stehen Sie dazu?
Für uns ist es das Selbstverständlichste der Welt und eine der spannendsten Aufgaben überhaupt. Ich habe etwa 100 Publikationen geschrieben, von denen sich rund die Hälfte mit Provenienzen beschäftigt. Wir geben im Ethnologischen Museum außerdem das Baessler-Archiv heraus mit zahlreichen Artikeln zu diesem Thema. Bei einer halben Million Objekte ist Provenienzforschung aber eine Riesenaufgabe und stets nur ein Teil der Gesamtforschung. Wir betrachten ein Objekt immer von seiner Entstehung her, seiner Materialität, Funktion und seinem Gebrauch, seiner gesellschaftlichen Einbettung und natürlich auch hinsichtlich seiner Provenienz.
Wie wird die Herkunft der Objekte im Humboldt Forum sichtbar gemacht werden?
Es ist sehr wichtig, die Provenienz eines Objektes mit Text, Bild oder Medien darzustellen. Wir dürfen und wollen sie nicht verschweigen. Die Besucher von ethnologischen Museen möchten aber auch etwas über ihnen unbekannte Kulturen erfahren. Wir dürfen daher die Inhalte, von denen die Objekte erzählen, dabei nicht vergessen. Aber wenn die Provenienzforschung eine spannende oder kritische, nachdenklich machende Geschichte erzählt, wird diese selbstverständlich entsprechend präsentiert. Provenienzgeschichten der Sammlungen aus Afrika, Asien, Amerika oder Ozeanien implizieren immer auch ein Eindringen in die eigene verborgene Geschichte.
Die Ethnologie wird oft als Wissenschaft des Fremden oder Exotischen gesehen. Was bedeutet für sie der Begriff „fremd“?
Wir wollen nicht das „Fremde“ ausstellen. In der globalisierten Welt, in der wir heute leben, verwischen die geographischen Grenzen. Die Wörter exotisch und fremd benutze ich nicht. Ich glaube vielmehr, dass wir mit unserem christlich-westlichen, abendländisch geprägten Denken, unserem Glauben und auch unseren Wissenschaftstheorien eine sehr spezielle Facette des Menschseins darstellen. Doch es gab und gibt mehr: Es geht in den Ausstellungen um die unterschiedlichen Ausprägungen und Artikulationen des Menschseins und des stetigen Wandels. Darum waren mir die flexiblen Ausstellungsmodule auch so wichtig. Ausstellungen müssen heute ständig in Bewegung und vor allem aktuell bleiben.
Wie sollten ethnologische Sammlungen im Museum präsentiert werden?
Das althergebrachte völkerkundliche Museum mit opulenten Vitrinensammlungen und enzyklopädischen Abrollungen immer derselben Themen ist meiner Meinung nach tot. Das kündigte sich bereits mit den Namensänderungen vieler Museen vor einigen Jahren an. Mein Traum wäre es, ganze Sammlungskonvolute für mehrere Jahre in den Herkunftsregionen zu präsentieren, die Ausstellungskonzepte hierfür mit Kuratoren und Restauratoren vor Ort zu entwickeln und dann sowohl dort als auch in Berlin zu präsentieren.
Womit beschäftigen Sie sich nun, wo Sie nicht mehr bei den Staatlichen Museen zu Berlin sind?
Über viele Jahre hinweg ist meine eigene Forschung zu kurz gekommen. Hier gibt es verschiedene Projekte, die ich unbedingt weiterverfolgen möchte. Allerdings gibt es momentan auch Anfragen, zu publizieren, Vorträge zu halten, zu beraten und so weiter. Und weil da die Termine gesetzt sind, werden meine eigenen Themen etwas warten müssen. Und da ist noch etwas: Ich möchte gerne weiterhin gut vernetzt und im engen Austausch mit meinen Wissenschaftler-Kollegen und den Communities der Herkunftsländer bleiben, nicht nur digital sondern auch physisch präsent bleiben.
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