Inklusion: Nichts Spezielles für “ganz spezielle Zielgruppen“ im Alten Museum

Die Museumspädagogin Stefanie Wiens arbeitet im inklusiven Museumsprojekt “Neue Perspektiven gewinnen!“ mit. Die Initiative von Förderband e.V. – Kulturinitiative Berlin und Berliner Museen beschäftigt sich mit Wegen der Inklusion im Museum. Ein Rückblick auf einen Workshop des Projekts im Alten Museum von Stefanie Wiens.

Ich ändere gerne meine Perspektive, lasse mir andere Perspektiven zeigen, überdenke und ergänze meine Sicht, wandele von Realität zu Realität. Deshalb gestalte ich heute das inklusive Museumsprojekt “Neue Perspektiven gewinnen!“ mit. Der Titel ist Programm: Viele verschiedene Menschen (Museumsmitarbeiter*innen, Künstler*innen, verschiedene Expert*innen) mit und ohne Behinderung kommen zusammen und bringen ihre Sicht der Dinge ein. So entsteht ein vielschichtiges Bild vom Museum.

Der Workshop, der am 14. November im Alten Museum stattfand, war einer der letzten von insgesamt circa 30 Workshops, die seit April 2015 unter anderem in Häusern der Staatlichen Museen zu Berlin stattgefunden haben. Der Projektträger Förderband e.V. – Kulturinitiative Berlin, für den ich derzeit auch tätig bin, startete dieses wegweisende Projekt zur Inklusion gemeinsam mit den Berliner Museen und vielen anderen Kooperationspartnern. Als Projektförderer konnte die Aktion Mensch e.V. gewonnen werden. Ich bin bei den Neuen Perspektiven Projektassistentin und zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit. Da meine Masterarbeit sich mit der Zielgruppe der “Menschen mit Behinderung“ in Museen beschäftigte, war ich sehr gespannt, was die in New York und Berlin ansässige Künstlerin und Kunstvermittlerin Kirstin Broussard über ihre Arbeit berichten würde. Nachfolgend beschreibe ich meine subjektiven Eindrücke zum Workshop im Alten Museum .

Die Künstlerin und Kunstvermittlerin Kirstin Broussard leitete den Workshop im Alten Museum. Foto: Matthew Schoenfelder
Die Künstlerin und Kunstvermittlerin Kirstin Broussard leitete den Workshop im Alten Museum. Foto: Matthew Schoenfelder

Viele Erkenntnisse….und nun?
Der Workshop fasste meiner Meinung nach sehr gut zusammen, welche Erkenntnis auch die vielen anderen Begegnungen brachten. Der Input von Kirstin Broussard bestätigte die simple Erkenntnis, dass es keine speziellen Vermittlungsmethoden für Museumsbesucher*innen mit Behinderung braucht. Das ist die Erfahrung, die viele Vermittler*innen machen, die beispielsweise mit Kindern und Jugendlichen mit Behinderung im Museum arbeiten. Und das ist auch das Ergebnis meiner Masterarbeit zu eben diesem Thema, deren Ergebnisse ich letztes Jahr in der museumspädagogischen Fachzeitschrift Standbein Spielbein veröffentlicht habe.

Moderne Vermittlungsmethoden, die heute bereits häufig für alle Besucher*innen angewendet werden, sind genauso gut für Besucher*innen mit Behinderung geeignet. Weniger die “Behinderung“ oder “Nicht-Behinderung“ ist hier das maßgebliche Unterscheidungsmerkmal, sondern vielmehr das Alter der Besucher*innen, aber hierzu später mehr. Ich hätte mir noch mehr Einordnung dieser Erkenntnis im Workshop gewünscht, mehr Metaebene: Was bedeuten die Erkenntnisse für mich als Vermittler*in im Museum? Und warum sind viele Museen trotzdem nicht inklusiv?

Empfehlungen für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen mit Behinderung…

…in der Führung
Nach einem kurzen Input in den Workshopräumen des Alten Museums gingen wir in die Ausstellung, um vor Ort anhand zweier Objekte von Kirstin Broussard zu erfahren, wie sie mit Kindern und Jugendlichen mit Behinderung arbeitet. Die Gruppen, mit denen Broussard arbeitet, haben mit bis zu 15 Teilnehmer*innen die maximale Größe, die auch ich aus meiner Erfahrung vorschlagen würde. Die begrenzte Teilnehmer*innenzahl spiegelt sich auch in der Reduzierung der Kunstwerke wider: Drei bis vier Kunstwerke können in einer Stunde näher betrachtet werden.

Moderatorin Jovana Komnenic (rechts), die den Workshop im Alten Museum konzipiert hat und Dirk Sorge (links), der ebenfalls Workshops für das Projekt konzipiert und durchgeführt hat. Foto: Matthew Schoenfelder
Moderatorin Jovana Komnenic (rechts), die den Workshop im Alten Museum konzipiert hat und Dirk Sorge (links), der ebenfalls Workshops für das Projekt konzipiert und durchgeführt hat. Foto: Matthew Schoenfelder

Vor der Führung ist es immer wichtig, der Gruppe den Ablauf genau zu beschreiben: Ein Überblick über die einzelnen Stationen, die Länge der Führung und was die Besucher*innen sehen (und nicht sehen) werden, lässt viele Besucher*innen entspannter sein als wenn sie überhaupt nicht wissen, was sie erwartet. Jemand, der sich nicht sprachlich äußern kann, muss auf andere Art und Weise in die dialogische Führung einbezogen werden. Frau Broussard hat gute Erfahrungen damit, Kindern verschiedene Bälle in die Hand zu geben. Auch uns gab sie im Workshop welche, die jeweils andere haptische Erlebnisse auslösen: Mal stachelig und groß, mal weich und klein – Broussard geht es um die Beschäftigung der Kinderhände. Manchmal leitet sie an den einzelnen Objekten auch Übungen an. Mit Kostümen und anderen Requisiten können sich Kinder und Jugendliche beispielsweise in Statuen verwandeln.

Aber es geht auch minimalistischer: Stelle nur mit deiner Hand verschiedene Gefühle dar, die dir im Museum begegnet sind. Wie sieht eine wütende, freudige oder traurige Hand aus? Diese Aufgabe ist, wie ich selbst erfuhr, gar nicht so leicht zu erfüllen. Die Aufgaben müssen auf jeden Fall immer aufgeschrieben und mit Piktogrammen erklärt werden. Zusätzliche Fotos von den Objekten ermöglichen allen ein näheres Betrachten. Rund um die Objekte fand Kirstin Broussard Themen, die an den Alltag der Zielgruppe anschließen, zum Beispiel Mode, Spiele, Kindheit, Material und Gestik.

…im Workshop
Im kreativen Teil des Ausstellungsbesuches arbeitet Kirstin Broussard gerne mit sogenannten sticky boards (selbstklebende Pappen). Diese gibt es fertig zu kaufen, was allerdings sehr teuer ist. Ich selbst arbeite gerne auch mit einfachen Pappen, die mit doppelseitigem Klebeband versehen sind. Der Effekt für die Teilnehmer*innen ist der gleiche: Ohne zu zeichnen, entstehen durch Aufkleben unterschiedlicher Materialien Bilder. Eine Aktion für alle, welche auch sehr gut direkt in der Ausstellung angeboten werden kann, wie der Workshop zeigte. Mit vorgefertigtem Material wie Figuren und Gegenständen aus Pappe und Moosgummi lässt sich risikofrei und sicher vor den Originalobjekten arbeiten. Das ist ein Vorteil gegenüber der Arbeit in den Workshopräumen, in denen häufig nur mit Abbildungen der Objekte gearbeitet werden kann.

Stefanie Wiens (mit Haarkranz) und weitere Workshop-Teilnehmer diskutieren Ergebnisse. Foto: Matthew Schoenfelder
Stefanie Wiens (mit Haarkranz) und weitere Workshop-Teilnehmer diskutieren Ergebnisse. Foto: Matthew Schoenfelder

Kirstin Broussard setzt außerdem häufig auch Styroporplatten ein, die mit Stiften oder anderen Werkzeugen eingeritzt werden können. Später, im Ausstellungsraum, überraschte es mich, wie toll man mit den eingeritzten Platten weiter arbeiten kann. Wir bemalten diese mit einer Farbrolle und druckten die Ergebnisse auf Papier, was ein toller Effekt war. Die Bilder hingen wir an die Wand um sie gemeinsam zu besprechen: Warum hast du dieses Bild geritzt? Und was sagt das über dich aus?

Zurück zur Erkenntnis
An dieser Stelle möchte ich meinen Workshopbericht unterbrechen und fragen: Wie speziell klingt das? Für mich überhaupt nicht speziell. Nein, das ist eher eine gut gestaltete dialogische Führung, in der mehrere Sinne der Besucher*innen angesprochen werden und ein anschließender kreativer Teil, in dem sie selbst aktiv werden können. Weniger als das Merkmal „Behinderung“ ist es hier, wie bereits angedeutet, das „Alter“, welches die Besucher*innen stark in ihren Bedürfnissen unterscheidet.

Ältere Personen, die traditionellere monologische Museumsführungen kennen und erwarten, sind mit Dialog und Interaktion vielleicht überfordert und unzufrieden. Auch wir diskutierten, wie man einen multisensorischen Zugang auch Erwachsenen schmackhaft machen kann, sodass er nicht sofort als „kindisch“ abgelehnt wird. Die Expertin Broussard hat die Erfahrung gemacht, dass man diese moderne Form der Vermittlung gut verkaufen muss.
Hat man die Besucher*innen jeden Alters jedoch mit ins Boot geholt, wird die moderne Vermittlung von allen wertgeschätzt und angenommen.

Abschlusskonferenz des Projektes
Selbst Erfahrenes hat die Eigenschaft, lange im Gedächtnis zu bleiben. Deshalb hatten die Teilnehmer*innen des Workshops viel Zeit, sich gemeinsam in der Dauerausstellung des Alten Museums auszuprobieren, Formate zu entwickeln. Das ist meiner Meinung nach eine absolute Stärke der Neuen Perspektiven. Das Projekt hat es geschafft, Menschen zusammen zu bringen, fruchtbare Diskussionen anzuregen und durch Ausprobieren Erkenntnisse zu ermöglichen. Was mir persönlich fehlte, ist teilweise die Metaebene: Wenn die Vermittlungsmethoden für Menschen mit Behinderungen nicht anders sind, was dann? Welche Fähigkeiten brauchen Vermittler*innen in Museen? Und woran scheitert die Umsetzung von Inklusion, wenn gar keine speziellen Vermittlungsmethoden gebraucht werden?

Ich hoffe, dass mögliche Antworten dazu auf unserer geplanten Abschluss-Konferenz diskutiert werden können. Hier kann in den Mittelpunkt rücken, was sich teilweise in der Reflektionsphase der Workshops angedeutet hat und was ich auch in meiner Masterarbeit herausfand: Eine flexible Methodenvielfalt muss Grundausrüstung jeder Vermittlerin und jedes Vermittlers im Museum sein. Die Umsetzung von Inklusion scheitert jedoch nicht am Fehlen dieser Methodenvielfalt. Diese ist, wie sich im November wieder eindrücklich zeigte, bei vielen Museumsmitarbeiter*innen bereits vorhanden. Vielmehr scheitert die Umsetzung, so das Ergebnis meiner Masterarbeit, an strukturellen Aspekten. Gemeint ist vor allem die heterogene Besetzung der personalverantwortlichen Museumsstellen. Dieses Thema jedoch in diesem Blogbeitrag auszuweiten, sprengt eindeutig den Rahmen.

Die Staatlichen Museen – Projektpartner und Workshopgastgeber – werden sich weiterhin für das Thema stark machen: Im Dezember mit einer Tagung im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin. Das Motto der Veranstaltung wird angelehnt an den berühmten Satz von Karl Valentin: Inklusion ist schön, macht aber viel Arbeit. Das stimmt, denke ich, und schließe selbst mit einer sehr direkten aber ebenso treffenden Weisheit:

„Wir können die Welt verändern. Wir müssen nur unsere Hintern bewegen.“

Titelbild: Matthew Schoenfelder

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