„Learning from Chicago“. Dirk Lohan zu Besuch in der Neuen Nationalgalerie
Dirk Lohan, Architekt und Enkel von Mies van der Rohe, betreute als Projektleiter den Bau der Neuen Nationalgalerie. Heute ist er Berater bei der Grundinstandsetzung des Museums. Im Februar 2016 kam er von seinem Wohnort Chicago nach Berlin und diskutierte drei Tage lang mit dem Projektteam über den Stand der Ausführungsplanung.
Dirk Lohan ist persönlich und beruflich eng mit der Neuen Nationalgalerie verbunden. Der Enkel von Mies van der Rohe wurde 1938 in Rathenow, rund 70 Kilometer westlich von Berlin, geboren. Nach seinem Architekturdiplom an der Technischen Hochschule München begann er 1962 im Chicagoer Architekturbüro seines Großvaters zu arbeiten, zu dem er eine sehr enge Beziehung entwickelte. In den folgenden Jahren war er an wichtigen Aufträgen wie dem Toronto-Dominion Centre oder dem Federal Center in Chicago beteiligt. Eine entscheidende Rolle kam dem deutschen Muttersprachler beim letzten großen Bauprojekt von Mies zu: der Neuen Nationalgalerie in Berlin.
„Ich machte mich zehn Jahre älter, um Ernst genommen zu werden“
Als Projektleiter betreute er im amerikanischen Büro maßgeblich den Museumsbau und setzte die Pläne seines Großvaters um. Er vertrat den berühmten Architekten, der in den letzten zehn Jahren seines Lebens auf einen Rollstuhl angewiesen war und nur noch zwei Mal nach Berlin reisen konnte, zur Grundsteinlegung 1965 und zum Aufsetzen der Dachkonstruktion im Jahr 1967. Lohan erinnert sich, was es bedeutete, erst Mitte zwanzig zu sein und ohne Mies regelmäßig in Berlin mit Bausenator Rolf Schwedler, dem Architekten und Stadtplaner Werner Düttmann oder den Bauleitern zusammen zu treffen: „Eines Tages fragte mich Herr Schwedler, wie alt ich eigentlich sei und ich machte mich um ernst genommen zu werden zehn Jahre älter.“
Als Berater für die denkmalgerechte Grundinstandsetzung kehrt Lohan nun, fünfzig Jahre später, wieder regelmäßig an den Ort seiner familiären Wurzeln zurück. Seit Mitte 2012 wird das Sanierungskonzept für das ikonische Haus der Moderne entwickelt. Die Planungen zur Beseitigung der Sicherheitsrisiken, der baulichen Schäden und deren Ursachen sowie die Wiederherstellung ursprünglicher Nutzungsmöglichkeiten stehen unter dem Leitsatz „So viel Mies wie möglich“.
Einzigartiges Bestreben, das Original zu erhalten
Sein einzigartiges Wissen der architektonischen Philosophie von Mies, aber auch von der an die Realität angepassten Umsetzung der Baupläne sowie seine Rolle als Vertreter der Erbengemeinschaft prädestinieren Lohan, neben dem Mies-Experten Prof. Dr. Fritz Neumeyer, den schrittweisen Abstimmungsprozess zwischen den Staatlichen Museen zu Berlin, dem Berliner Landesdenkmalamt, dem Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, David Chipperfield Architects und weiteren Planern und Experten zu begleiten. Für Lohan haben sich im bisherigen Verfahren noch keine Urheberrechtsfragen gestellt, die mit wesentlichen Änderungen des architektonischen Konzepts einhergingen. Die bauliche Neuorganisation des Museumsshops sowie der Garderobe im Untergeschoss hält er für absolut notwendige funktionale Verbesserungen. Überhaupt ist sein Zugang von hohem Pragmatismus geprägt, der der Tatsache gezollt ist, dass sich jede Nutzung von Gebäude weiter entwickelt und gewisse Änderungen bedingt.
Lohan hat Erfahrung mit der Restaurierung von Mies-Bauten. 1972 und 1996 führte er restauratorische Maßnahmen für das Farnsworth House von 1950/51 durch, wobei er nach diversen Eingriffen und Überschwemmungsschäden die ursprüngliche Erscheinung wieder herstellte. „Im Grunde“, sagt Lohan, „sind es immer wieder dieselben Fragen, die sich stellen, unabhängig von der Bautypologie und der aktuellen Nutzung: Wie geht man mit dem bauzeitlichen Material und späteren Änderungen um?“ Als einzigartig stellt er das Bemühen um Lösungen bei der Grundinstandsetzung der Neuen Nationalgalerie heraus, das Original so weit wie möglich zu erhalten. Gleichzeitig unterstützt er das Bestreben, nachvollziehbare Anforderungen umzusetzen, die der heutige museale Betrieb nötig macht. Lohans Bauphilosophie ist wie bei Mies dem Ethos von Wahrheit verpflichtet, die im Ergebnis bestenfalls eine Baukunst ermöglicht, die stets Ausdruck ihrer Zeit ist, was sich auch auf das Konzept der Restaurierung übertragen lässt.
Fünfzig Jahre später
Besonders am Herzen liegt Lohan die Decke der oberen Halle. Vor dem Bau der Neuen Nationalgalerie hatte Mies mit abgehängten Decken wie in der Crown Hall gearbeitet. Als Lohan anfing, über Wandflächen für die geplante Mondrian-Ausstellung zur Eröffnung des Museums nachzudenken, war klar, dass es nichts Konventionelles werden durfte. Sein Vorschlag waren hängende Wände, die allerdings nicht in einer abgehängten, weißen Putzdecke befestigt werden konnten. Die Lösung, die Deckenkonstruktion sichtbar zu lassen und Gitterroste in die quadratischen Öffnungen einzufügen, hatte es vorher nicht gegeben. „Mies war mit diesem technisch-ästhetischen Gestaltungselement sehr zufrieden“, erinnert sich Lohan.
So steht der Architekt nun fünfzig Jahre nach den Planungen wieder unter dem Kassettendach. Ein Metallrestaurator erläutert dem Planungsteam die Untersuchungen zum Farbanstrich auf dem Metall des Dachs und der Fassadenkonstruktion. Lohan erinnert sich, dass für zahlreiche Bauten in Amerika Farbe der Detroit Graphite Company eingesetzt wurde. Weil damals kaum Materialien importiert wurden, verwendete man für den Berliner Bau nachgemachte Farben mit ähnlichen Eigenschaften. Durch Bestandsaufnahmen, chemische Analysen und Archivrecherchen lassen sich viele Erkenntnisse für die denkmalgerechte Grundinstandsetzung gewinnen – das Wissen des Zeitzeugen Dirk Lohan aber ist nicht zu ersetzen.
Text: schmedding.vonmarlin.
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