Mies van der Rohe: Planen und Bauen in den 1960er Jahren
Seitdem die Neue Nationalgalerie 1968 eröffnete, hat sich viel geändert – nicht zuletzt ist das Planen und Bauen komplexer geworden. Die originalen Pläne aus dem Büro von Ludwig Mies van der Rohe machen die Unterschiede von gestern und heute anschaulich.
Die denkmalgerechte Sanierung eines Hauses ist nicht ohne genaue vorherige Analyse möglich: In welchem Zustand ist das Gebäude wirklich? Wie sieht es hinter Fassaden und Wänden aus? Wie ist die Konstruktion? Eine umfassende Erfassung und Bewertung des Bestands bildet die Basis für die Grundinstandsetzung der Neuen Nationalgalerie. Dazu wurden von Seiten des Bauherrn Spezialisten aus den Bereichen Denkmalpflege, Tragwerk, Brandschutz, Schadstoff und Haustechnik zusammengeführt. Alles wird auf Herz und Nieren untersucht. Ein genaues Aufmaß bildete dabei ebenso eine wichtige Grundlage, denn oftmals stimmen originales Planmaterial und der Bau selbst nicht zu hundert Prozent überein. Ein solches Aufmaß bildet aber zunächst nur die Oberfläche eines Baus ab, es sagt nichts darüber aus, wie es dahinter aussieht. Zusätzliche Materialproben und Bauteiluntersuchungen gaben Aufschluss über den Zustand des Baus, aber sie konnten im Falle der Neuen Nationalgalerie nur begrenzt während des laufenden Museumsbetriebs durchgeführt werden. Aus den Ergebnissen wurden Handlungsempfehlungen abgeleitet, die in einer klar umrissenen Aufgabenstellung für die Architekten mündeten, so Arne Maibohm, Projektleiter des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung.
Nur 43 Pläne für ein ganzes Haus, Modelle und eine Sitzung pro Monat
Das Planmaterial Mies van der Rohes bildet eine dritte wesentliche Grundlage für die Instandsetzung der Neuen Nationalgalerie. Gleichzeitig erzählen die Pläne von den Veränderungen im Planen und Bauen der letzten 50 Jahre. Im Chicagoer Büro von Mies wurden genau 43 Pläne im Format A0 hergestellt, nach denen die gesamte Nationalgalerie gebaut wurde, vom Keller über den Garten bis zum Fahnenmast. Aus diesen Plänen wurden damals direkt die Werk- und Montagepläne der einzelnen Gewerke erarbeitet, die heute noch trotz leichter Modifikationen über die letzten Jahrzehnte eine große Übereinstimmung mit der Realität zeigen. „Heute hätte man für ein vergleichbares Projekt über 500 Pläne erstellt“, so Daniel Wendler, der Projektleiter für die Neue Nationalgalerie im Büro David Chipperfield Architects. Ergänzend fügt er hinzu, dass mehr Pläne nicht unbedingt zwingend zu mehr Klarheit auf der Baustelle führen, manchmal sogar eher verwirren.
Nicht nur die geringe Anzahl der Pläne unterscheidet früher von heute, auch sind Auflagen, Bestimmungen und Verordnungen inzwischen weit komplexer geworden. Wo in den Mies-Plänen oft nur ein Wort auf einem Plan steht, um etwas zu definieren, braucht es heute dazu ungleich mehr: Klassifikationsnummern, Normzahlen und ähnliches. Auch ausführende Firmen müssen ausführlicher als früher ausgewählte Materialien und Produkte mit genauen Produktblättern und Beschreibungen dokumentieren, so dass manchmal die Dokumentation fast aufwendiger als das Bauen selber erscheint.
„Mies verbrachte viel Zeit mit den Modellen“
Natürlich hat sich auch die Kommunikation auf dem Bau durch Internet, E-Mail und Mobiltelefone stark verändert. Die Koordination und Aufsicht des Baufortgangs in Berlin durch das Büro von Mies fand in den Jahren 1965–68 in Form von monatlichen Baustellenbesuchen des Mies-Enkels und damaligen Projektleiters Dirk Lohan statt. Von den gemeinsamen Besprechungen mit den Baubeteiligten wurde ein Protokoll angefertigt, von allen unterschrieben und damit zur verbindlichen Planungs- und Baugrundlage. In besonders dringenden Fällen gab es zusätzlich vereinzelt ein Telefonat oder ein Telegramm. Das ist heute angesichts der Flut von E-Mails, die jeder aus seinem beruflichen Kontext kennt, kaum vorstellbar.
Ein wichtiges Planungsinstrument in der Entwurfsphase stellten für Mies diverse Modelle dar, wie zum Beispiel Varianten der berühmten Stützen im Maßstab 1:5. So berichtet der Architekt Christoph Sattler (Hilmer & Sattler und Albrecht, München), der 1963–65 als studentischer Mitarbeiter im Büro von Mies in Chicago arbeitete: „Mies verbrachte lange Zeit alleine mit den Modellen und ließ dann durch Gene Summers, dem langjährigen Projektleiter und chef du bureau, mitteilen, welche weiteren Veränderungen der Proportionen und Detailfigur wir vornehmen sollten.“ Viele Architekturbüros arbeiten heute eher mit Computersimulationen, auch wenn das Modell letztendlich immer noch eines der wichtigsten Entwurfsinstrumente darstellt.
Eine Reise in die USA
Es erleichtert die Planung der Grundinstandsetzung, dass das Archiv des Büros von Mies van der Rohe umfangreich gesichert ist. Viele Unterlagen, Pläne, Schriftstücke und Modelle fanden sich in den Archiven der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und dem Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung. Jedoch befinden sich Pläne und Zeichnungen von Mies auch in den USA. Sein Büroarchiv lagert im Museum of Modern Art in New York (MoMA), sein Privatarchiv in der Library of Congress in Washington (LoC). Eine erste Reise im Jahr 2011 führte den Projektleiter des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung nach New York, Washington und Chicago, um das Material in den Archiven zu sichten und zu erfassen. Im Rahmen der aufwendigen Bestandserfassung vor der eigentlichen Sanierung wurden diese Unterlagen bereits erfasst und bewertet. Da die meisten Gebäude von Mies in den USA zu finden sind, führte eine spätere gemeinsame Reise von Bauherr, Nutzer und Architekten im Jahr 2012 in die USA zu vergleichbaren Sanierungen von Mies-Bauten. Dabei wurde die Gelegenheit genutzt, um auch Planunterlagen im Original zu sichten.
Das inzwischen gescannte Planmaterial bietet neben den Material- und Schadensuntersuchungen sowie dem Aufmaß eine solide Grundlage für die nun beginnenden Bauarbeiten in der Neuen Nationalgalerie. Und auch wenn der Planungsprozess in den letzten 50 Jahren komplexer und kommunikationsintensiver geworden ist – das Geschehen auf der Baustelle, das Bauen selbst ist in vielen Bereichen erstaunlich gleich geblieben.
Text: schmedding.vonmarlin.
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