Neue Nationalgalerie historisch: „Museum als Panoptikum“
In der 60er Jahren war die frisch eröffnete Neue Nationalgalerie das Thema in Berlin. Diese historischen Fotos und Auszüge aus zeitgenössischen Zeitungsartikeln geben einen Eindruck von den Jugendjahren dieser Architektur-Ikone.
Camilla Blechen, Im Schatten der Architektur. Die Neue Nationalgalerie Berlin in der Bewährungsprobe, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.11.1968, Nr. 272, S. 14
„Seit der Eröffnung der Neuen Nationalgalerie gibt es in Berlin ein kultur-soziologisches Phänomen zu bestaunen. Der Berliner, fanatisch im Theater- und Konzertbesuch, ließ die bildende Kunst bisher arg links liegen. Das Publikum für Ausstellungen war klein und exklusiv. Die Anziehungskraft der Neuen Nationalgalerie, die am Einweihungstage von 13 000, am drauffolgenden Wochenende von 18 000 Personen besucht wurde, könnte ein Anfang für eine Situationsänderung sein. (…) Das Museum (…) ist von der „breiten Öffentlichkeit“ begeistert akzeptiert worden. Man kommt mit der Urahne, und man kommt mit dem Baby auf dem Arm. Museum als Panoptikum, das liegt in der Luft, das hat die documenta bestätigt. Man mache sich nichts vor: bemalte Leinwand, ob ihre Epidermis aus Farbe nun die Ahs und die Ohs des Entzückens oder das mürrische Brummen der Ablehnung herausfordert, ist kein Gegenstand für eine ehrfürchtige Haltung mehr. Man kommt, zu fordern: Augenlust, emotionale Aufladung, auch Unterhaltung, Museum für alle. Museum als Ort der Vergesellschaftung von Kunst. Die APO mag ruhig ihr Sprüchlein vom „Museum als Instrument der Unterdrückung“ sagen; soziologisch ist die Institution in Hochform.“
Jürgen Beckelmann, Eigentlich unmöglich, doch ideal, in: Frankfurter Rundschau, 17.9.1968
„Dieses Museum besitzt keine Intimität. Es verhindert die gemütvolle Kunstbetrachtung, die Betrachtungsweise jener, die sich in ein Kunstwerk „versenken“ wollen, statt deutlich hinzusehen. Als Bauwerk von Mies van der Rohe (…) wurde die Neue Nationalgalerie nicht für die wenn auch große, so doch immer noch elitäre Clique der Kunstliebhaber, sondern für alle entworfen. Wer Lust hat, soll reingehen und sich ungeniert umsehen. Auch – und besonders – diejenigen, die sich bis jetzt aus Komplexen, die längst überwunden sein sollten, noch nie in ein Museum hineinwagten. Der „Bahnhofscharakter“ des Bauwerks und seine „öffentliche Atmosphäre“ sind dazu angetan, die falsche Ehrfurcht vor der Kunst überwinden zu helfen. Hier kann und soll kritische Auseinandersetzung stattfinden. Und schon deshalb ist das Museum, das auf den ersten Blick „ganz unmöglich“ erscheint, ein ideales Museum.“
Beitrag: schmedding.vonmarlin.
Kommentare
[…] Die Neue Nationalgalerie entstand in den 1960er Jahren in Berlin. Über ihre Entstehung und ihre Wirkung am Beginn informiert dieser Artikel: https://blog.smb.museumneue-nationalgalerie-historisch-museum-als-panoptikum/ […]