Pergamon auf der Museumsinsel: Das neue Panorama von Yadegar Asisi
Nach dem großen Erfolg des ersten Panoramas, das das „Studio asisi“ 2011 für das Pergamonmuseum kreierte, folgt nun die lang ersehnte Neuauflage. Wir sprachen mit dem Direktor der Antikensammlung, Andreas Scholl, und dem Künstler Yadegar Asisi über das monumentale Projekt.
Interview: Anna Mosig – Beitrag: Karolin Korthase
Panoramen gibt es in der Kunst bereits seit dem 18. Jahrhundert. Was verbirgt sich hinter dem Begriff?
Yadegar Asisi: Ein Panorama ist die künstlerische Verdichtung von Raum, Zeit und Ereignissen in einem Rundgemälde. Anders als bei einem Tafelbild, das zweidimensional von Höhe und Breite und meist durch einen Rahmen definiert ist, sind Panoramen „grenzenlos“ in der Wahrnehmung der Betrachter. Sie transportieren ihre Bildinhalte in einer Rundumsicht, die zwar statisch ist, aber lebendig wird, indem man sie sich individuell oder in Gruppen „erläuft“. Verstärkt durch die Lichtinszenierung, die meist Tag und Nacht simuliert, und durch eine auf die Bildinhalte abgestimmte Geräuschkulisse, entsteht bei den Besuchern auch eine Wahrnehmung von Zeitlichkeit. Diese kann, je nach Dauer des Besuchs und der individuellen Disposition, mehrere Tage umfassen.
Wie entsteht ein solches Panorama?
Andreas Scholl: Im 19. Jahrhundert wurden die Panoramen gemalt, was natürlich teuer und aufwendig war. Technisch spielen heute Zeichnung, Fotografie und hochkomplexe Bildbearbeitungsprogramme die entscheidende Rolle, aber der entwerfende Künstler – in unserem Fall Yadegar Asisi – ist gewissermaßen der Regisseur. Er definiert die Komposition des Bildes, muss die riesige Darstellung perspektivisch beherrschen, mit der Hilfe von Komparsen Szenen aus dem antiken Alltag nachstellen und zahllose Details gestalten.
Wie entstand die Idee, ein Panorama der antiken Stadt Pergamon zu entwerfen?
Yadegar Asisi: Als 2005 das Panorama „ROM 312“ im Panometer Leipzig gezeigt wurde, entstand die Idee, dem Panorama des antiken Rom ein Panorama zum antiken Griechenland gegenüber zu stellen und daraus kulturelle und gesellschaftliche Vergleiche zu ziehen. Das Team der Berliner Antikensammlung rund um Andreas Scholl ließ sich von der Idee schnell überzeugen. Es bedurfte aber der auf lange Zeit angelegten Sanierung des Pergamonmuseums bis sich 2011 die Gelegenheit bot, auf dem Ehrenhof des Museums eine Rotunde zu errichten und dort das erste Pergamon-Panorama zu zeigen.
Wie kann man sich die Zusammenarbeit zwischen dem „Studio asisi“ und der Antikensammlung genau vorstellen?
Andreas Scholl: Stark vereinfachend kann man sagen, dass der gesamte archäologische Input und damit die Summe von 130 Jahren Forschung in Pergamon von der Antikensammlung und noch heute in Pergamon arbeitenden Kolleginnen und Kollegen geliefert wurde. Die gesamte Bilderfindung mit der Festlegung und Überprüfung der gewählten Ansicht und die gesamte künstlerische Ausgestaltung sind das Werk von Yadegar Asisi und seinem Team.
Welche Veränderungen wird es beim neuen Pergamon-Rundbild geben?
Yadegar Asisi: Mit ca. 30 Metern Höhe und 104 Metern im Umfang wird das neue Panorama ein wenig größer sein als vorhergehende. Doch wesentlich ist die Überarbeitung der Lichtdramaturgie des Bildes, für die wir ein komplexes Licht- und Schattenspiel erarbeitet und malerisch umgesetzt haben. Ein weiterer Aspekt lag auf der intensiven Beschreibung der gesellschaftlichen Strukturen und Verhältnisse der Zeit vor etwa 2000 Jahren in Pergamon. Wichtig war, das Leben der Menschen in den unterschiedlichen Gesellschaftsschichten stärker herauszuarbeiten. So sind etwa 40 neue Szenen entstanden, die in das ursprüngliche Bild eingefügt wurden. Dazu fand im Oktober 2017 ein großes Fotoshooting in einem Filmstudio in Berlin statt. Dort ging es dann zu wie bei einer Filmproduktion: Es gab ein großes Team für Kostüme, Requisiten und das Maskenbild. Ein Aufnahmeleiter, Beleuchter sowie mehrere Panoramafotografen waren dabei und haben bis zu 40 Komparsen in historischen Kostümen aufgenommen, die unterschiedliche Szenen lebendig und authentisch nachgestellt haben.
Welche Szenen wurden besonders hervorgehoben?
Yadegar Asisi: Ein Schwerpunkt wurde auf die Darstellung der Dionysien gelegt. Es ist belegt, dass diese Festspiele zu Ehren des Gottes Dionysos 129 n. Chr. in Pergamon stattgefunden haben. Wichtig war hier, das Ekstatische und das Rauschhafte zu thematisieren. Außerdem wurden verschiedene Opferszenen auf dem Vorplatz des Pergamonaltars nachgestellt. In diesen Szenen sieht man, wie Tiere auf Altären verbrannt und damit den Göttern als Gaben dargebracht werden. Es gab auch Korrekturen an einzelnen Gebäuden und an der Landschaft. Das alles deckt sich mit jüngsten Erkenntnissen, die wir bei den Wissenschaftlern der Antikensammlung und des Deutschen Archäologischen Instituts angefragt haben und die wir auf Forschungsreisen sammeln konnten.
Welche Möglichkeiten bieten Panoramen den Museen in der Vermittlungsarbeit?
Andreas Scholl: Im konkreten Fall „Pergamon“ wird der Besucher im besten Sinne des Wortes auf die Akropolis dieser hellenistischen Metropole „entführt“ und mit einem Gesamtbild der Stadt und der sie umgebenden Landschaft im zweiten Jahrhundert konfrontiert. Wer sich etwas auskennt, wird zahlreiche Zitate bekannter Skulpturen – wie etwa Abwandlungen des Dornausziehers, des Barberinischen Faun oder der Trunkenen Alten – finden können. Das Panorama stellt damit eine geradezu ideale Ergänzung und Komplettierung des in der begleitenden Ausstellung angestrebten Bildes dar. Dabei ist es nicht unser Ziel, dem Besucher eine Antike vorzugaukeln, die es so oder so ähnlich nie gegeben hat. Für einen solchen Ansatz bietet der sprichwörtliche „Sandalenfilm“ aus Hollywood oder Cinecittà wunderbares, zum Teil hochkurioses Anschauungsmaterial.
Was können Besucher aus dem „Pergamon-Panorama“ mitnehmen?
Andreas Scholl: Was uns bei der Erstpräsentation im Hof des Pergamonmuseums im Jahre 2011/12 völlig überrascht hat, ist die schlichtweg atemberaubende Monumentalität und die fast fotographisch wirkende Präzision des Asisi´schen Panorama-Werkes. Der Umstand, dass die allermeisten Besucher in ihrem Leben noch nie einem auch nur annähernd so großen Bild gegenüberstanden, führte zu einem Echo von großer Emotionalität. Viele Besucher der ersten Panorama-Auflage haben sich die nur zehnminütige, in einer Endlosschleife dargebotene Tag-/Nacht-Simulation wieder und wieder angesehen, vor allem weil sie sich berührt fühlten – und nicht wenige waren tatsächlich zu Tränen gerührt. Vielleicht ist dies ja nicht das Schlechteste, was man über die Wirkung eines Bildes sagen kann.
Yadegar Asisi: Ich hoffe, dass sich die Besucher nach dem Aufenthalt im Panorama und der Ausstellung Fragen stellen werden, von denen sie vorher nicht wussten, dass sie sie stellen würden. Vielleicht entwickelt sich auch ein Verständnis dafür, dass wir heute nicht sehr anders leben, denken und handeln als vor 2000 Jahren. Wir sind immer noch von den gleichen grundlegenden Bedürfnissen und Gefühlen bestimmt: Die Pole Liebe und Hass, Freundschaft und Feindschaft, Zugehörigkeit und Fremdsein, Reichtum und Armut oder Frieden und Krieg haben wir auch heute nicht überwunden. Für den Interimsbau hoffe ich, dass von ihm viele Impulse für die Wiedereröffnung des Pergamonmuseums ausgehen, dass neue Besuchergruppen generiert werden und sich neue didaktische Ansätze etablieren können. Auch hier gilt: Zukunft braucht Herkunft.
Das neue 360° Pergamon-Panorama von Yadegar Asisi wird voraussichtlich ab Sommer 2018 im temporären Ausstellungsbau „Pergamonmuseum. Das Panorama“ gegenüber der Museumsinsel zu bestaunen sein.
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