Romantik und Moderne im Kupferstichkabinett

Mit seiner letzten Ausstellung als Direktor des Kupferstichkabinetts greift Heinrich Schulze Altcappenberg ein Thema auf, das ihn schon lange beschäftigt. Die Schau „Romantik und Moderne“ reflektiert den Aufbruch von Kunst und Gesellschaft im „langen“ 19. Jahrhundert – sie ist aber auch eine leidenschaftliche Liebeserklärung an die Kunstform der Zeichnung.

Romantik und Moderne liegen zeitlich und inhaltlich auf den ersten Blick doch recht weit
auseinander. Wie funktioniert es, beide in einer Ausstellung zu vereinen?

Heinrich Schulze Altcappenberg: Da wurde ich zunächst widersprechen: Romantik und Moderne sind zeitgeschichtlich direkt benachbart. Das 19. Jahrhundert wird in der Geschichtswissenschaft das „lange 19. Jahrhundert“ genannt und bezeichnet die Zeit von der Französischen Revolution bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. Diese Periode war eine Phase des radikalen Umbruchs. Sie war geprägt durch Industrialisierung, Mobilisierung und die Öffnung ins globale Denken. All dies sind die Grundlagen der Moderne, die in dieser Zeit heraufzieht und auch die Kunst verändert. Doch wo setzt man ihren Beginn an, wo zieht man die Grenze zur Romantik? Auf die Kunst bezogen, gibt es da viele Interpretationen: Für die einen beginnt die Moderne mit der Künstlerbewegung „Brücke“ um Ernst Ludwig Kirchner, für die anderen mit van Gogh. Wieder andere sagen, Manet oder Ingres seien ihre Väter, und so tastet man sich langsam rückwärts. Wir gehen noch weiter und setzen die Moderne mit dem Ende des Ancien Regime und dem Umbruch um 1800 an.

Direktor Heinrich Schulze Altcappenberg führt während des Aufbaus durch die Ausstellung
Direktor Heinrich Schulze Altcappenberg führt während des Aufbaus durch die Ausstellung „Romantik und Moderne“ im Kupferstichkabinett. Foto: Daniel Hofer

Besteht nicht dennoch in den Sujets und in der Herangehensweise ein deutlicher Unterschied?
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts ändert sich das ganze Wertesystem innerhalb der Künste. Die Gattungs- und Themenhierarchien, das Religiöse, die akademischen Regelwerke – all das gibt es zwar bei Caspar David Friedrich auch noch, doch es tritt in den Hintergrund. Es werden keine Kreuzigungen und Heiligen mehr gemalt, stattdessen finden die Motive ihren Weg in die Landschaft, etwa als kleines Kreuz auf dem Gipfel in der Ferne. Damit wird es neu kontextualisiert und auf ein modernes Thema projiziert. Und während der Bildraum vorher ausgewogen komponiert sein musste, mit Vorder-, Mittel- und Hintergrund, mit Ausleuchtung und festen Bildelementen, fangen die Romantiker an, mit diesen Elementen zu spielen. Der Ausschnitt – so ein einsamer Berggipfel bei Caspar David Friedrich – kann plötzlich allein ein Bild beherrschen. Fragmente und flüchtige Phänomene, wie die wunderbaren Wolkenskizzen von Carl Blechen, gewinnen den Anspruch vollendeter Kunstwerke.

Es beginnt also eine Selbstreflexion in der Kunst, die neu ist?
Die Künstler beginnen zu zeigen, was die Kunst selbst kann. Sie setzen bewusst die Abstraktion ein und entwickeln eine neue Kunstform, in der das Was gegenüber dem Wie in den Hintergrund tritt. Dies bildet die Grundlage der Moderne ab 1800: Es kommt nicht mehr auf die Komposition an, sondern auf die Machart. Plötzlich kann ein scheinbar unbedeutendes Motiv, etwa ein paar welke Ahornblätter, die sich aus einer getuschten Fläche entwickeln, wie bei Friedrich Olivier, zu einem wichtigen Werk der Kunstgeschichte werden.

Was erwartet die Besucher in der Ausstellung?
Wir haben uns entschieden, genau diese Zusammenhänge zwischen der Romantik und dem Begriff der Moderne zu zeigen, anstatt nur auf schöne Kunst und „Namedropping“ abzuzielen. Im Untertitel werden zwar Caspar David Friedrich und Vincent van Gogh genannt, aber uns war es vor allem wichtig, wissenschaftlich an das Thema heranzugehen und die Tendenzen der neueren Forschung zu reflektieren. Deshalb haben wir uns auf das avancierteste Medium der Romantik, die Kunst der Zeichnung und Malerei auf Papier, beschränkt und zwar nur auf autonome, finale Werke. Wir haben die Ausstellung nicht nach Themen, Regionen oder Künstlergruppen gegliedert. Stattdessen haben wir aus der Rückschau heraus eine exemplarische Auswahl getroffen, die sehr konzentriert einzelne Werke, Serien und Zyklen mit bestimmten technischen Macharten in den Mittelpunkt stellt. Die Zeichnung ist das mobilste und flexibelste Medium, sie kann immer offener und experimenteller sein als die Malerei auf Leinwand oder die Skulptur, das ist ihr Vorteil. Nach solchen Themen ordnen wir die Ausstellung.

Direktor Heinrich Schulze Altcappenberg führt während des Aufbaus durch die Ausstellung
Direktor Heinrich Schulze Altcappenberg führt während des Aufbaus durch die Ausstellung „Romantik und Moderne“ im Kupferstichkabinett. Foto: Daniel Hofer

Welche konkreten Sektionen wird es in der Ausstellung geben?
Am Anfang stehen Strich- und Linienzeichnungen und Federkunststücke. Mit einer unendlichen Akribie und Feinheit zeigen Künstler darin, wie einzelne Techniken umgesetzt werden. Die Reflexion über Kunst in der Kunst selbst unterzubringen – das klingt sehr modern, ist aber bei den Romantikern bereits total en vogue! Sie nutzen zum ersten Mal ihre Instrumente kritisch und arbeiten nicht mehr nur nach Normen aus Lehrbüchern und Traktaten.
Dann folgen flächenbezogene Sepia- und Tuschezeichnungen sowie farbige Arbeiten. Hier zeigen wir zum Beispiel eine Reihe von Wolkenbildern von Carl Blechen. Der hat sich selbst auch immer reflektiert und experimentiert, bis zu dem Punkt, an dem er mit einem einzigen Pinselstrich eine Landschaft skizziert. Oben drauf setzt er eine kleine Rundung – das ist die Kuppel des Petersdoms in Rom, und plötzlich sagt dieses Werk: Ich kann mit einem einzigen Farbstrich eine ganze monumentale historische Landschaft malen. Die Zeichnung dient nicht mehr, sie ist sich selbst genug.
Die dritte Sektion bildet der große Aquarellzyklus von Eduard Hildebrand, einem eher unbekannten Künstler aus dem Humboldt-Kreis. Es handelt sich um ein konzeptuelles Werk, das 1861-63 auf einer Reise um die Welt entstand. Die Zeichnung als mobiles Medium ermöglicht es Hildebrand, überraschende, den jeweiligen Ort charakterisierende Bilder zu erschaffen. Wenn er einzelne Straßenzüge zeichnet und unzählige Werbefahnen in einer Farb-Orgie versammelt, dann kann die Ansicht zu einem sehr modern anmutenden malerischen Allover werden.
Der nächste Raum ist allein Adolph Menzels „Kinderalbum“ gewidmet. Darin ist Menzel seiner Zeit und seinen offiziellen Gemälden weit voraus. Er experimentiert frei mit seinen Mitteln, wählt scharfe Ausschnitte und Blickwinkel und widmet sich ungewöhnlichen Motiven: einer Ratte im Rinnstein, einem Kakadu in luxuriöser Umgebung, einem Abbruchhaus.
Das letzte Kapitel enthält das, was man landläufig als Moderne versteht. Wir zeigen darin seit vielen Jahrzehnten erstmals wieder sämtliche fünf Blätter von van Gogh aus unserem Bestand. Er hat zwischen Malerei und Zeichnung völlig frei gewechselt, für ihn war beides gleichbedeutend. Er übersetzte seine Landschaften in den berühmten Rohrfederzeichnungen vom einen Aggregatszustand in den anderen und erfand dabei eine Grammatik der Natur von ganz eigener, bezaubernder Art.

Direktor Heinrich Schulze Altcappenberg führt während des Aufbaus durch die Ausstellung
Direktor Heinrich Schulze Altcappenberg führt während des Aufbaus durch die Ausstellung „Romantik und Moderne“ im Kupferstichkabinett. Foto: Daniel Hofer

Dies ist Ihre letzte Ausstellung als Direktor des Kupferstichkabinetts. Wie fällt Ihr Blick auf Ihre Zeit bei den Staatlichen Museen zu Berlin aus?
Für meine Zeit hier bin ich überaus dankbar. Die Museen waren und sind mein Leben. Ich kam 1992 aus Düsseldorf nach Berlin, das war kurz nach der Wende, aber noch vor dem tatsächlichen Vollzug der Wiedervereinigung der Museen. So durfte ich vieles miterleben und mitgestalten. Auch die Stationen des Kupferstichkabinetts: in Dahlem, dann im Untergeschoss des Alten Museums und, als der Neubau fertig war, schließlich am Kulturforum. An so einem epochalen Umbruch mitwirken zu dürfen, ist etwas sehr Besonderes.

Die Ausstellung
Die Ausstellung “Romantik und Moderne” im Kupferstichkabinett wird aufgebaut. Foto: Daniel Hofer

Was waren Ihre Highlights in dieser Zeit?
Highlights waren die große Schinkel-Ausstellung 2012 und davor, im Jahr 2000, die von mir konzipierte internationale Präsentation der „Divina Commedia“ von Sandro Botticelli. Das war ein fulminantes Ereignis, ein Erfolg in Berlin, Rom und London. Es war auch inhaltlich sehr bereichernd für mich. Damals war es ein Novum in Berlin und am Kulturforum, dass weit über 1000 Besucher zu einer Eröffnung kamen, dazu mit viel Prominenz aus Diplomatie und Politik.

Was macht eine gute Ausstellung Ihrer langjährigen Erfahrung nach aus?
Ganz wesentlich ist, dass eine Ausstellung als Raumerlebnis und visuelle Gesamterscheinung verstanden wird. Narrative Ausstellungen funktionieren oft nicht gut, weil sie von den Werken verlangen, etwas zu erzählen und gewissermaßen Text nachzuahmen. Eine Ausstellung ist aber kein Roman.

Warum haben Sie „Romantik und Moderne“ als letzte Ausstellung gewählt?
Ich führte seit Jahren eine Liste von Themen, mit denen ich mich noch wissenschaftlich und im Rahmen einer Ausstellung beschäftigen wollte. Darauf standen Hildebrandts „Reise um die Welt“, das Lebenswerk Carl Blechens, Menzels Kinderalbum und unsere frühen Modernen wie van Gogh oder Hans Thoma. Dazu kam die Frage der Kunstform der Zeichnung, ihre Rolle in den Künsten während der spannenden, vielfach gebrochenen Transit-Epoche des 19. Jahrhunderts. Es gab also entsprechende Konzepte im Kopf, die nun in dieser Ausstellung aufgegangen sind, die ich gemeinsam mit Anna Pfäfflin realisiert habe. Es ist zwar nicht meine größte Ausstellung, aber sie enthält viele Facetten, die mich während meiner Zeit beim Kupferstichkabinett immer beschäftigt haben.

Die Ausstellung „Romantik und Moderne“ läuft bis 15. Januar 2017 im Kupferstichkabinett.

Die Ausstellung
Die Ausstellung „Romantik und Moderne“ im Kupferstichkabinett wird aufgebaut. Foto: Daniel Hofer

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