„Traumhäuser rumänischer Migranten“ – Ausstellung in Dahlem
Viele rumänische Migranten arbeiten im westlichen Ausland. Mit dem Geld, das sie hier verdienen, bauen sie in der Heimat pompöse, repräsentative Häuser. Die Ausstellung „Schöne neue Welt. Traumhäuser rumänischer Migranten“ im Museum Europäischer Kulturen beleuchtet dieses Phänomen – Kuratorin Beate Wild kennt spannende Hintergründe.
Certeze in Nordwestrumänien: Mehr als zwei Kilometer durchzieht die Straße das Dorf. Ein großes Haus reiht sich an das andere, geschützt von schmiedeeisernen Gittern, Granitmauern, geschwungenen Inox-Zäunen. Die Häuser blenden durch verspiegelte Fassaden, farbstarken Putz oder opulente Stuckaturen. Palmen auf den Balkonen verweisen auf südliche Gefilde. In der Tat gilt dieses Dorf in den Medien als Monaco Rumäniens. Zweifelsohne strahlt es mehr Wohlstand aus als andere Dörfer im Oascher Land, in der Marmarosch und der Bukowina. Aber auch dort stehen viele der neuen Häuser, oft mit Aufzug und mehr als 25 Zimmern, denen in Certeze in nichts nach.
Wie aber passt das zu den Bildern von Arbeitslosigkeit und Armut, die die öffentliche Wahrnehmung Rumäniens im westlichen Europa bestimmen? Scheinbar unvereinbar, gehören diese Bilder dennoch untrennbar zusammen. Denn nach der politischen Wende 1989 waren es zuallererst die Bewohner der strukturschwachen Regionen im Norden Rumäniens, die sich gezwungen sahen, ihre Heimat zu verlassen, um im westlichen Ausland den Lebensunterhalt für ihre Familien zu sichern. Etliche passierten die Grenzen illegal, wurden oftmals schon auf dem Weg nach Frankreich, Spanien, Italien oder Portugal aufgegriffen und wieder zurück nach Rumänien geschickt. Die Einreise gelang mitunter erst nach etlichen missglückten Versuchen.
Zeichen des modernen Lebensstils
Der Start in die Arbeitswelt der Gastländer gestaltete sich in der Anfangszeit extrem schwierig, denn die Migranten konnten noch nicht auf das umfangreiche Netzwerk zurückgreifen, das inzwischen den Einstieg in den dortigen Arbeitsmarkt erleichtert. Sie nahmen alle Gelegenheitsarbeiten an, schliefen in Zelten, verlassenen Häusern, behelfsmäßigen Hütten außerhalb der Wohngebiete, bis sie sich eine Mietwohnung leisten konnten. In den Städten fanden sie vor allem im Baugewerbe Jobs, auf dem Land auf den Plantagen. Migrierten zunächst meist Männer, so folgten ihnen später Frauen, die sich als Reinigungskraft, Altenpflegerin und Kinderfrau verdingten. Ihre eigenen Kinder mussten sie damals bei Verwandten oder auf sich gestellt zurücklassen.
Ihre sparsame Lebensführung im Ausland erlaubt ihnen, einen Großteil ihres Lohns nach Hause zu schicken, um die Familie zu unterstützen. Darüber hinaus investieren sie in den Bau eines neuen oder den Ausbau eines alten Hauses in ihrem Heimatdorf. Denn nur das vermag ihren Erfolg im Ausland zu zeigen, weithin sichtbar für jedermann. Die neuen Formen und Materialien, die sie außen wie innen verwenden, gelten als Zeichen ihres modernen westlichen Lebensstils, das PS-starke Auto gehört dazu. Sie sind der Schlüssel zu gesellschaftlicher Anerkennung. Das Haus zeugt ebenso vom Mut, in die ungewisse Ferne zu ziehen, sich dort trotz aller Widrigkeiten zu behaupten und von der harten unermüdlichen Arbeit. Einige haben inzwischen ihre eigene kleine Baufirma im Ausland gegründet und stellen wiederum Rumänen aus ihrer Heimat ein.
Bewahrung von Ehre und Respekt
Der zur Schau gestellte Wohlstand wird oftmals als Prahlerei der Neureichen abgetan, von den anderen neidvoll beäugt. Jedoch offenbart sich hinter dem ständigen innerdörflichen Wettstreit, „ein noch schöneres, noch höheres Haus als der Nachbar zu haben“, ein gesellschaftlich tradiertes System zur Verteidigung und Bewahrung von Ehre und Respekt des Individuums und seiner Familie. Heute wetteifert man nicht mehr mit Waffen. Stellvertretend stehen sich die Häuser im gesellschaftlichen Duell gegenüber. Das gegenseitige Überbieten vollzieht sich nach einem unausgesprochenen Kanon, der dorfintern die Höhe des Hauses, die Art der Fassade und die Inneneinrichtung regelt: Überbieten, aber in Maßen und vor allem mit Variationen im Detail. Ist das Haus erst fertiggestellt, beginnt der Umbau, der Ausbau, die Renovierung. Somit dient nicht nur der Bau eines neuen Hauses, sondern sein ständiger Umbau dem Erhalt der Ehre.
Wer sich diesem Wettstreit verweigert, dem ist die gesellschaftliche Anerkennung nicht mehr gewiss. Der Preis, den etliche Familien dafür zahlen, ist hoch. Sie legen den Grundriss ihres Hauses zu groß an, der Ausbau zieht sich über Jahre hinweg. Oftmals ist nur eine Etage mit repräsentativem Eingangsbereich, Salon und Küche fertig. Die oberen Stockwerke hingegen geraten zum dauerhaften Provisorium, weil der Innenausbau und die Einrichtung mehr Geld erfordern als gedacht. Auch die allgemeine Wirtschaftskrise hinterlässt inzwischen deutliche Spuren: Viele müssen länger als geplant im Ausland arbeiten. Der Traum vom eigenen Haus kann so zum Albtraum werden und bis zur Fertigstellung zwei Generationen finanziell binden – ein fataler Teufelskreis.
Die Hausbesitzer bewohnen die Häuser höchst selten. Aus dem Ausland kehren sie nur zu Weihnachten, Ostern und im August zurück. Dann bringen sie ihre Häuser wieder auf Hochglanz, bauen sie um oder bauen sie weiter aus. Sie ernten die Pflaumen für den hausgebrannten Schnaps, tauschen Neuigkeiten aus und nehmen an den zahlreichen pompösen Hochzeitsfeiern teil. Danach wird es wieder still in den Dörfern. Die älteren Menschen leben weiterhin in ihren eigenen Häusern und hüten das Jahr über die unbewohnten Häuser ihrer Kinder.
Die Teaser-Ausstellung „Schöne Neue Welt. Traumhäuser rumänischer Migranten“ im Museum Europäischer Kulturen präsentiert vom 21. November 2015 bis 24. April 2016 in gestalterisch origineller Form die verschiedenen Aspekte von Migration und Bauboom in Nordrumänien und setzt sie zueinander in Beziehung. Sie hinterfragt die Glamour-Seiten, beleuchtet die Auswirkungen auf das Dorf, die Region und die Landschaft. Ein Großteil der gezeigten Arbeiten stammt von dem rumänischen Fotografen Petruƫ Cǎlinescu. Weitere Aufnahmen stellen der rumänische Künstler Matei Bejenaru sowie etliche Wissenschaftler, die das vielseitige Thema in Rumänien und den Gastländern dokumentiert haben. Ein ausführliches Rahmenprogramm vertieft all jene Aspekte, die in der Ausstellung nur streiflichtartig gezeigt werden, wie etwa das Thema der so genannten EURO-Waisen, das Aufeinanderprallen von Kulturen und Erwartungen und mehr.
Ein Gemeinschaftsprojekt der Koordinierung Ostmittel- und Südosteuropa am Museum Europäischer Kulturen und des Rumänischen Kulturinstituts Berlin
Dieser Artikel erscheint ebenfalls im MuseumsJournal 1/2016
Die Ausstellung geht nach ihrer Laufzeit im Museum Europäischer Kulturen auf Wanderschaft und ist ab dem 29. April bis Juni 2016 mit neuem Begleitprogramm im Collaboratorium Berlin zu sehen.
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