Vom Kulturforum nach Oberschöneweide. Wo ist die Kunst aus der Neuen Nationalgalerie?

Was passiert, wenn die komplette Sammlung eines Museums vorübergehend ausziehen muss? Unsere Redakteurin Constanze von Marlin hat sich mit der Restauratorin der Neuen Nationalgalerie, Hana Streicher, über Verpackung, Transport und Unterbringung der wertvollen Kunstwerke unterhalten.
Fast einmal pro Woche fährt die Restauratorin Hana Streicher von ihrem derzeitigen Arbeitsplatz im Hamburger Bahnhof zu einem der Depots, in denen die Kunstwerke der Neuen Nationalgalerie derzeit gelagert werden. Denn mit den 967 Gemälde, 459 Skulpturen und 24 Außenskulpturen der Sammlung der Nationalgalerie wird trotz Schließung des Museums während der Grundsanierung weiterhin gearbeitet.

Die Aufbewahrungsorte standen nach umfangreichen Recherchen und unter Berücksichtigung klimatischer und sicherheitsrelevanter Fragen fest: Eigene Depots der Staatlichen Museen zu Berlin in Haus 9 auf der Museumsinsel, in der Sammlung Scharf-Gerstenberg in Charlottenburg und in Hohenschönhausen beherbergen nun die Gemälde und Skulpturen, außerdem wurden externe Objekte in Großbeeren und Oberschöneweide angemietet. „Genau wie in der Neuen Nationalgalerie, habe ich dank der eigens eingebauten Schiebewandanlage in dem angemieteten Gemäldedepot die Möglichkeit, die überwiegende Anzahl der Bilder offen anzuschauen“, sagt Hana Streicher. Besonders staubempfindliche Gemälde lagern in Transportrahmen.
„Die Verpackung von Gemälden ist im Vergleich Skulpturen ‚einfach‘“
Eine international so bedeutende Sammlung wie die der Nationalgalerie verzeichnet einen hohen Leihverkehr. Gerade bereitet Streicher den Transport eines Gemäldes von Paula Modersohn-Becker nach Paris vor. Das Stillleben wurde auf einer Holztafel gemalt und braucht nun als Schutz eine Verglasung. Das Besondere an der derzeitigen Situation ist, dass das Werk für die transportvorbereitenden Maßnahmen extra aus Oberschöneweide in den Hamburger Bahnhof gebracht werden muss, bevor es sicher verpackt an seinen Ausstellungsort reisen kann.
Ob für den Leihverkehr oder die Auslagerung der Kunstwerke aus den Ausstellungsräumen und dem Depot der Neuen Nationalgalerie: alle Objekte werden einzeln gesichtet, von allen Seiten fotografiert, hinsichtlich erforderlicher transportsichernder Maßnahmen untersucht und es werden individuelle Verpackungen angefertigt. Von einem Team freiberuflicher Restauratoren unter der Begleitung von Hana Streicher wurden transportrelevante Schäden, wie etwa lose Farbpartikel, gefestigt und teilweise die Oberflächen gereinigt. „Gemälde“, so Streicher, „sind in der Regel einfach zu handhaben. Die Verpackung von Gemälden ist im Vergleich zur Verpackung von Skulpturen ‚einfach‘. Mit Schwingschutz und Rückseitenschutz sind auch die großen Formate meist gut verpackt.“ Schwieriger war schon, das Gemälde „Revolution“ (1912/13) des Malers Ludwig Meidner transportfähig zu machen, denn die 80 mal 116 cm große Leinwand ist beidseitig sehr pastos bemalt. Um die stark krakelierte Oberfläche zu schützen, wurde eine Sandwich-Verpackung mit Kunststoff-Kissen gebaut, die genau an das Bild und seinen Rahmen angepasst sind.

Es wird gemischt gepackt, um den Verlust kompletter Werkgruppen auszuschließen
Von November 2014 bis August 2015 wurden die transportvorbereitenden Arbeiten durchgeführt. Von Juli 2015 bis Dezember 2015 wurden die Kunstwerke in der Reihenfolge der Einlagerung an den verschiedenen Standorten in der Neuen Nationalgalerie verpackt. Jeder Transport wurde von Restauratoren begleitet, die sowohl beim Einpacken als auch beim Auspacken die Handhabung der Kunstwerke überwachten. Das Beladen der LKW war wiederum eine eigene logistische Leistung, denn entscheidend für die Anzahl der Kunstwerke auf der Ladefläche war nicht nur ihr Volumen, sondern auch ihr Versicherungswert – so dass zum Teil nur einzelne Gemälde aufgeladen wurden. Bei Fahrten mit mehreren Kunstwerken mussten es wiederum Gemälde oder Skulpturen von unterschiedlichen Künstlern sein, damit bei einem möglichen Schaden beispielsweise nicht alle Werke aus der Sammlung der Nationalgalerie von Ernst Ludwig Kirchner betroffen wären.
Die Beräumung der Kunstobjekte ist Teil der gesamten Instandsetzungsmaßnahme des Gebäudes und wurde auch durch das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung koordiniert und geleitet. Für Planung und Durchführung von der Suche der Lagerorte, der Gestaltung der Transportvorbereitung sowie der Koordinierung der Logistik wurde die Restaurierungsplanerin Cornelia Rüth beauftragt. Die enge Abstimmung mit Hana Streicher und Joachim Jäger, dem Leiter der Neuen Nationalgalerie, war dabei ein wichtiger Baustein des Erfolges.
Der Kran kam bei 7.800 Kilogramm schweren Granitblöcken an die Kapazitätsgrenze
Hana Streicher erinnert sich: „Die Verpackung und der Transport von den äußerst fragilen bis tonnenschweren Skulpturen war eine besondere Herausforderung“. Die Außenskulpturen brauchten neben der Berücksichtigung konservatorischer Aspekte eine ausgeklügelte statische, technische und logistische Planung. So hat etwa die fünfteilige Skulptur „Granit Bleu de Vire“ von Ulrich Rückriem auf der Freifläche neben dem Museum ein Gewicht von 23 Tonnen. Der Kran kam beim Heben der bis zu 7.800 Kilogramm schweren Granitblöcke an seine Kapazitätsgrenze, weil der Arm maximal ausgefahren werden musste, um über die Grünfläche zu reichen.

Für die Festlegung der Lagerungsbedingung wiederum, musste Rückriems künstlerisches Verfahren berücksichtigt werden. Durch Spalten und Sägen zerteilt der Künstler einen Steinblock, um die Teile anschließend passgenau wieder zusammenzufügen. Was sich nach einem einfachen Baukastenprinzip anhört, ist eine zu komplizierte Angelegenheit, um sie im Außendepot in Hohenschönhausen und dann wieder bei der Rückführung am ursprünglichen Standort ein zweites Mal auszuführen, denn eine kleine Verkantung könnte das Kunstwerk schon beschädigen. Warum kann man nicht einfach die wetterfesten Steinblöcke für fünf Jahre nebeneinander auf einem Außengelände lagern? Weil das Wetter mit Regen, Schnee, Kälte und Hitze Witterungsspuren mit bestimmten Verläufen auf der Oberfläche des Granits hinterlässt, die Teil des künstlerischen Konzepts sind. „Deshalb wurden die Blöcke nun eingehaust.“
Hana Streicher ist zufrieden, dass das Holzhaus für die Rückriem-Blöcke eine Tür hat, um nach deren Zustand sehen zu können. Wenn auch nicht mehr in der Nähe ihres Arbeitsplatzes, so hat sie auf diese Weise doch die Kunstwerke, die sie seit 1984 restauratorisch betreut, an jedem Ersatzstandort immer im Blick.
Text: schmedding.vonmarlin.
Titelbild: (c) SPK, Pierre Adenis






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