Wikipedia zu Gast im Museum

Am letzten Novemberwochenende fand im Museum Europäischer Kulturen das erste gemeinsame Event mit freiwilligen Autoren und Fotografen der Wikipedia und den Staatlichen Museen zu Berlin statt. Der Wikipedianer Julius Redzinski hat das Event von Wikipediaseite aus organsiert.

Text von Julius Redzinski

Im Sommer 2017 besuchten uns Mitarbeiterinnen des Museums Europäischer Kulturen und der Generaldirektion der Staatlichen Museen zu Berlin im WikiBär, dem lokalen Stützpunkt der Berliner Wikipedia-Community. Die Museumsleute wollten ihr Haus vorstellen und eine mögliche Kooperation besprechen. Damals dachte ich noch, dass ich irgendwann gegen Ende des Jahres ein entspanntes Wochenende zum Artikelschreiben im Museum verbringen würde. Bereits seit einigen Jahren finden unter dem Namen „GLAM on Tour“ – GLAM steht für Galleries, Libraries, Archives und Museums – Veranstaltungen statt, bei denen Wikipedianer mit Institutionen aus dem Kulturbereich und deren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen zusammenkommen. Man lernt sich gegenseitig kennen und nutzt die Gelegenheit auch, um Artikel und Fotografien neu zu generieren oder bestehende zu verbessern. Das erste „GLAM on Tour“-Event im deutschsprachigen Raum fand 2013 in einer Ausstellung zum „Harzhornereignis“, einer spätantiken Schlacht zwischen Römern und Germanen, im Braunschweigischen Landesmuseum statt. Es folgten unter anderem Kooperationen mit dem Von der Heydt-Museum in Wuppertal, dem Kirchner Museum in Davos oder der Universitätsbibliothek Heidelberg.

Ein Objekt wurde für das
Ein Objekt wurde für das „Wiki goes MEK!“ Event vorübergehend aus dem Depotschrank entfernt © Staatliche Museen zu Berlin, Museum Europäischer Kulturen / Anna Mosig

Ich hatte es terminlich nie zu einer dieser Veranstaltungen geschafft, doch nun, direkt vor der Haustür in Berlin, war die Gelegenheit, das endlich zu ändern. Bereits an diesem Juniabend im WikiBär wurde deutlich, dass das Museum und seine Direktorin Elisabeth Tietmeyer uns Wikipedianern gegenüber sehr aufgeschlossen war. Die Idee zu der Kooperation war auch vom Museum selbst ausgegangen, angeregt durch eine Wikipedianerin, die bei den Staatlichen Museen zu Berlin arbeitet und sogar für mich, der seit 2005 in der Wikipedia Artikel schreibt, mit ihrem noch zwei Jahre älteren Account ein wahres Urgestein ist. Nachdem die Museumsleute uns verschiedene Themen aus der Sammlung vorgestellt hatten, verabredeten wir einen gemeinsamen Ausflug ins Museum, um die Sammlung schon einmal aus der Nähe kennenzulernen.

Wikipedianer beim MEKern - gemeinsamer Rundgang mit Wikipedianern im Museum Europäischer Kulturen
Wikipedianer beim MEKern – gemeinsamer Rundgang mit Wikipedianern im Museum Europäischer Kulturen

So trafen wir uns am Abend des 1. August draußen in Dahlem zur Vorbereitung auf das bevorstehende GLAM-Event das unter dem Motto „Wiki goes MEK!“ stand. Im Gegensatz zu den meisten interessierten WikipediarInnen kannte ich als langjähriger Jahreskartenbesitzer das Museum Europäischer Kulturen bereits, aber wie oft hat man schon Gelegenheit, von der Direktorin persönlich durch die Ausstellung geführt zu werden? Zudem besuche ich den Erzgebirgischen Weihnachtsberg – eines meiner Lieblingsobjekte in den Berliner Museen überhaupt – immer wieder gern. Aufgrund der Ferienzeit und anderer Umstände ergab es sich an diesem Abend, dass ich die Organisationen von Seiten Wikipedias übernahm.

Ohne jemals zuvor auch nur Teilnehmer gewesen zu sein, durfte ich also tief hinter die Kulissen einer solchen Kooperation blicken. Um die Veranstaltung, die vom 24. bis 26. November stattfand, vorzubereiten, konnte ich zum einen eng mit den Mitarbeiterinnen der Staatlichen Museen zu Berlin zusammenarbeiten und wurde zudem bei Teilen der Planung durch das Team von Wikimedia Deutschland unterstützt, was mir die ganze Angelegenheit sehr erleichterte. Bei mehreren Treffen im Museum Europäischer Kulturen nahm das Programm Gestalt an und alle möglichen Fragen mussten geklärt werden: Von der Suche nach einem Oberthema über die Voraussetzungen zum Fotografieren an dem Projektwochenende, bis zur Auswahl der Objekte, mit denen unsere Fotografen würden arbeiten können.

Besuch im Depot
Mein Highlight war dabei definitiv der Besuch im Depot, bei dem wir Objekte für das Projektwochenende auswählten. Ich war erstaunt, wie viel Aufwand eigentlich hinter so einer Kooperation steckt, gleichzeitig war es für mich eine wundervolle Erfahrung, mit welcher Motivation die Mitarbeiterinnen des Museums bei den Planungen dabei waren. So war es schon vor der eigentlichen Veranstaltung ein großer Erfolg, dass das Museum uns eine unbeschränkte Erlaubnis erteilte, an diesem Wochenende Fotografien anzufertigen, die dann unter freier Lizenz Nachnutzern gebührenfrei zur Verfügung stehen. Für mich als Wikipedianer sind freie Lizenzen der (wünschenswerte) Standard, aber für eine so große Institution wie die Staatlichen Museen zu Berlin bedeutet eine Öffnung, wie begrenzt sie auch ausfallen mag, einen großen Schritt.

Besuch im Depot des Museums Europäischer Kulturen
Besuch im Depot des Museums Europäischer Kulturen

Die zur Teilnahme entschlossenen Wikipedianer entschieden sich für das Oberthema „Spielzeug“, das am Ende für unser Projektwochenende aber eine untergeordnete Rolle spielen sollte. Denn im Austausch mit den Mitarbeiterinnen des Museums ergab es sich, dass am Ende eher „Probebohrungen“ in den Bereich der Alltagskultur unternommen wurden, der in der Wikipedia mit einem recht dürftigen Artikelbestand repräsentiert ist. Neben einzelnen herausragenden Beispielen wie dem „Pizzakarton“ oder der „Zitronenpresse“, die ihre Qualität der speziellen Leidenschaft einzelner Autorinnen und Autoren verdanken, ist der Bereich der Esskultur insgesamt gut entwickelt. Andere Artikel wie der „Zinnsoldat“ oder das „Glanzbild“ hinterlassen hingegen einen eher traurigen Eindruck.

Bekanntmachung mit der Alltagskultur
Dies liegt daran, dass dieser Artikelbereich in der Wikipedia bisher nur über wenige engagierte Autoren und Fotografen verfügt. Daran wird sich auch mit einer Veranstaltung im Museum Europäischer Kulturen nur wenig ändern, aber sie bot Gelegenheit für rund 20 Wikipedianer, sich mit Themen der Alltagskultur vertraut zu machen und die umfangreiche Literatur kennen zu lernen, die gute Artikelarbeit erst ermöglicht. Ich verbinde deshalb mit der Veranstaltung vor allem die Hoffnung, dass sie nachhaltig zur Entwicklung eines stiefmütterlich behandelten Themenbereichs beiträgt.

Wikipedianer bei der Arbeit im Museum Europäischer Kulturen
Wikipedianer bei der Arbeit im Museum Europäischer Kulturen

Über das Veranstaltungswochenende kann ich selbst nur wenig berichten, da ich – ironischerweise – am Samstag, an dem der Hauptteil des Programms mit dem Scannen und Fotografieren sowie mit Führungen durch das Depot und die Schreibwerkstatt stattfand, wegen einer Tagung verhindert war. Umso erfreuter war ich, als ich am Sonntagmorgen erfuhr, dass sowohl die WikipedianerInnen begeistert als auch die Mitarbeiterinnen des Museums zufrieden waren. Unter anderem arbeitete ein Wikipedianer, der auch das Wikipedia-Projekt „Wikipedia spielt“ angestoßen hat, um den Bereich der Gesellschaftsspiele zu verbessern, zu alten Spielen. Ich selbst habe mich des Malers und Ethnografen Wilhelm Kiesewetter angenommen, dessen Artikel bisher noch nicht fertig geworden ist. Von den entstandenen Fotos sind wohl insbesondere die zum Bereich der Esskultur mit Gebäck- und Buttermodel oder Brotstempel hervorzuheben, die sicher von der Redaktion Essen & Trinken, aber auch in anderen Wikipedia-Sprachversionen in Zukunft genutzt werden. Insgesamt stimmen mich die bisherigen Ergebnisse bereits positiv, wobei der gesamte Effekt erst mit einiger Verzögerung sichtbar wird, da eine „GLAM on Tour“-Veranstaltung eher Beginn als Endpunkt der Beschäftigung mit einem Themenbereich ist.

Julius Redzinski ist Kunsthistoriker an der TU Berlin und promoviert derzeit bei Bénédicte Savoy zu Handlungsspielräumen Berliner Künstler im Nationalsozialismus. In der Wikipedia schreibt er unter dem Pseudonym Julius1990 am liebsten Künstlerbiographien wie El Greco oder Diego Rivera sowie Artikel zu Olympischen Spielen und zum mexikanischen Film.

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  • Nachdem sich die Reiss-Engelhorn-Museen aus Mannheim seit Jahren mit der Wikimedia Foundation einen erbitterten Rechtsstreit um Urheberrechte liefern, zeigt doch diese Kooperation, dass man in Berlin erkannt hat, wie zeitgemäße Öffentlichkeitsarbeit funktioniert. Ein Schritt in die richtige Richtung, weiter so!

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