Weltkulturen:

Afrika im Bode-Museum: Dem Richter ins Auge blicken

Eine Ngil-Maske aus Zentralafrika und ein mittelalterliches Christus-Fries zeigen in der Ausstellung „Unvergleichlich: Kunst aus Afrika im Bode-Museum“ unterschiedliche Ausprägungen von Gerichtsbarkeit. Bei genauerer Betrachtung offenbaren sie aber auch überraschende Gemeinsamkeiten.

Text: Karolin Korthase

Seltsam gespenstisch, erhaben und auf eine beunruhigende Weise faszinierend wirkt die Ngil-Maske, die im 19. Jahrhundert von der ethnischen Gruppe der Fang gefertigt wurde. Obwohl die Augen nur aus zwei winzigen Löchern bestehen, scheinen sie den Betrachter mit ihren Blicken förmlich zu durchbohren. Unter der langgezogenen dreieckigen Nase, die sich mit den Augenbrauen zu einer Herzform verbindet, wölbt sich der Mund zu einem schmalen Bogen nach unten. Auf einen Teil der Gesichtsoberfläche wurde Kaolin, eine weiße Tonerde, aufgetragen, die Assoziationen mit einem Totenschädel hervorruft.

Die Fang, die hauptsächlich im zentralafrikanischen Gabun und im Kamerun leben, nutzten diese und ähnliche Masken bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts in so genannten Ngil-Ritualen. Die Rolle, die den Masken bei diesen Ritualen zukam, war komplex. Sie sollten zum Einen vor Vergiftungen und Hexereien schützen und zum Anderen als furchteinflößende Warnungen verstanden werden. Wenn die Mitglieder eines Ngil-Bundes, eine Art geheimer Männerkultbund, durch die Dörfer der Fang zogen, machten sich unter der Bevölkerung Angst und Schrecken breit. Hatte sich jemand der Hexerei schuldig gemacht oder in anderer Sache gegen das geltende Gesellschaftsrecht verstoßen, musste mit hohen Strafen bis hin zum Tod gerechnet werden. Als mächtiges Symbol dieser Gerichtsbarkeit dienten die kunstvoll gestalteten Ngil-Masken.

Ngil-Maske aus Zentralafrika. (c) Staatliche Museen zu Berlin, Ethnologisches Museum / Martin Franken
Ngil-Maske aus Zentralafrika. (c) Staatliche Museen zu Berlin, Ethnologisches Museum / Martin Franken

Das jüngste Gericht
In der Ausstellung „Unvergleichlich: Kunst aus Afrika im Bode-Museum“ wird dem Objekt aus Zentralafrika ein skulpturales Fries aus einer romanischen Klosterkirche zu Gröningen (heutiges Sachsen-Anhalt) gegenübergestellt. Zu sehen ist mittig Christus auf dem Regenbogen mit geöffneten Armen, über denen Spruchbänder hängen. Einst sollen auf den Bändern die bemalten Inschriften „Kommt her, ihr Gesegneten“ und „Gehet hin von mir, ihr Verfluchten“ zu lesen gewesen sein. Links und rechts von Christus sitzen zehn (ursprünglich zwölf) Apostel. Unterhalb der Szenerie waren in der Kirche ursprünglich auch noch die Auferstehung der Toten und ihre Zuweisung ins Paradies oder in die Hölle dargestellt.

Seit dem 12. Jahrhundert waren Abbildungen des Jüngsten Gerichts in Kirchen häufig. Gläubige sollten daran erinnert werden, dass sie nach ihrem Leben Rechenschaft über ihre irdischen Taten ablegen müssen. Erst dann entscheidet sich, wo sie ihr ewiges Leben nach dem Tod verbringen. Im Evangelium des Matthäus steht dazu: „Wenn aber des Menschen Sohn kommen wird […], dann wird er sitzen auf dem Stuhl seiner Herrlichkeit, und werden vor ihm alle Völker versammelt werden. Und er wird sie voneinander scheiden […] Da wird dann der König sagen zu denen zu seiner Rechten: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt! […] Dann wird er auch sagen zu denen zur Linken: Gehet hin von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln! […] Und sie werden in die ewige Pein gehen, aber die Gerechten in das ewige Leben.“

Fries aus einer romanischen Klosterkirche zu Gröningen (c) Staatliche Museen zu Berlin,  Skulpturensammlung / Antje Voigt
Fries aus einer romanischen Klosterkirche zu Gröningen (c) Staatliche Museen zu Berlin, Skulpturensammlung / Antje Voigt

Dem Richter in die Augen schauen
Auf den ersten Blick scheinen die Ngil-Maske aus Zentralafrika und das Mittelalter-Fries aus Sachsen-Anhalt nicht viel mehr gemein zu haben als das Thema der Gerichtsbarkeit. Bei genauerem Hinschauen und vor allem beim räumlichen Erleben der Exponate zeigt sich aber eine entscheidende Parallele: Beide Werke wirken nur in der Frontalsicht. Die Maske verliert in der Seitenansicht sogar jegliche Ausstrahlung und wirkt auf seltsame Weise flachgezogen. Auch wenn sie wahrscheinlich im Tanz Anwendung fand und dadurch immer in Bewegung war, sollte sie von vorne gelesen werden, denn nur aus diesem Blickwinkel heraus konnten sich die Macht des Richters und die furchteinflößende Wirkung am besten entfalten.

Auch der richtende Christus wendet sich frontal an die Betrachtenden und fällt sein Urteil geradeheraus. Dass wir unserem Richter in die Augen schauen müssen, wenn wir zur Urteilsverkündung erscheinen, ist demnach ein Motiv, das verschiedene Kulturen kennen.

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