Ein Mangaaka geht auf Reisen. Afrikanische Kunst im Bode-Museum
Was haben eine Marienskulptur und eine Kraftfigur aus dem Kongo gemeinsam? In der neuen Ausstellung im Bode-Museum begegnen afrikanische Kunstwerke europäischen Bildwerken – und offenbaren überraschende Parallelen.
Text von Elisabeth Mortier
Er liegt in seiner Kiste wie in einem Sarg – mit weit aufgerissenen Augen, der Körper mit Nägeln übersät, furchterregend noch immer. Er, der einst ein afrikanisches Dorf vor Kolonialmächten schützen sollte; er, dessen Körper immer bedeutsamer wurde mit jedem Nagel, der in ihn geschlagen wurde: Jetzt liegt er in einer Kiste aus dünnen Spanplatten in der Restaurierungswerkstatt des Ethnologischen Museums in Dahlem.
Schutz vor feindlichen Mächten
Bis vor kurzem war der „Mangaaka“, eine Kraftfigur aus dem Kongo-Gebiet, noch in der Afrika-Ausstellung des mittlerweile geschlossenen Ethnologischen Museums zu sehen. Nun liegt er gebettet auf Styropor und wartet auf seinen nächsten großen Auftritt, der ihn in eine ganz und gar ungewohnte Umgebung führen wird: ins Bode-Museum, zu den Kunstwerken des christlichen Mittelalters. Dort wird er ab Ende Oktober in der Ausstellung „Unvergleichlich: Kunst aus Afrika im Bode-Museum“ zu sehen sein.
Jonathan Fine, ein Kurator der Afrika- Abteilung des Ethnologischen Museums, streift dünne Plastikhandschuhe über, bevor er den Deckel der Kiste öffnet. Die mächtige und schützende Skulptur, eine von weltweit nur noch 17 Mangaaka-Figuren, starrt ihn aus ihren riesigen weißen Porzellan-Augen an. Fine deutet auf ein handtellergroßes Loch in der Höhe des Nabels: „Hier wurden die Substanzen eingeführt, dann wurde das Loch mit einem Spiegel oder einer Kauri-Muschel verschlossen“, erklärt er. „In dieser Figur sind keine Substanzen mehr enthalten. Offenbar wurden sie entfernt, damit die Skulptur verkauft werden konnte.“
Substanzen? Das waren Naturstoffe pflanzlichen, tierischen oder mineralischen Ursprungs, die der Skulptur Kraft verleihen sollten, um das Dorf an der Kongo-Mündung vor feindlichen Mächten zu schützen. Auch die Nägel im Körper der Skulptur hatten eine Funktion. „Wenn etwa Verträge geschlossen wurden oder Urteile gesprochen wurden, hieb man zur Bekräftigung einen Nagel in die Schutzfigur.“
Mangaaka-Kraftfigur trifft Schutzmantelmadonna
Entstanden sind diese martialischen Figuren in der Auseinandersetzung mit den Kolonialherren, an der westafrikanischen Loango-Küste. Europäer waren bereits seit 1500 in der Region anwesend. Die Mangaaka-Kraftfigur, gefertigt um 1880, wurde von Robert Visser erworben, einem deutschen Angestellten bei einer niederländischen Handelsgesellschaft. Er schenkte sie 1904 dem Berliner Museum.
Ausdrucksstarke Skulpturen wie der Mangaaka waren bei europäischen Sammlern beliebt. Die Einheimischen schrieben dagegen mitunter anderen Werken größere Wirkungskraft zu: Auf dem Tisch in der Dahlemer Restaurierungswerkstatt steht eine Skulptur aus Ästen, Wurzeln, Pflanzenfasern, ein Knäuel, das entfernt an einen Hund erinnert. „Diese Skulptur wirkt auf Europäer weniger attraktiv, könnte aber genauso wichtig gewesen sein“, sagt Fine.
Rund zehn Kilometer Luftlinie entfernt von der Restauratorenwerkstatt in Dahlem steht Julien Chapuis zwischen christlichen Bildwerken im Bode- Museum und sagt: „Auf diese Gegenüberstellung freue ich mich besonders: Die Mangaaka-Kraftfigur und die Schutzmantelmadonna.“ Hier wird die afrikanische Skulptur ab dem 27. Oktober zu sehen sein: neben einer sanften Madonna aus Lindenholz, um 1480 von dem Ulmer Bildhauer Michel Erhart geschaffen. Sie breitet ihren blauen Mantel schützend über zehn kleine menschliche Figuren, die langen Haare fallen ihr über die Schulter, sie blickt in die Ferne – ein tröstendes Werk, ganz anders als der kämpferische Mangaaka.
„Sie behandeln dieselben großen Menschheitsthemen“
Gar nicht zu vergleichen? „Unvergleichlich“ wird die Ausstellung heißen, denn in der Tat: Die 22 Kunstwerke aus Afrika und die 22 weiteren aus dem christlichen Mittelalter, die einander in Paaren gegenübergestellt werden, unterscheiden sich in Ausführung, Funktion, Kunstfertigkeit, Entstehungsdatum und vielem mehr, so dass sie sich eigentlich nicht vergleichen lassen.
Und doch: „Sie behandeln dieselben großen Menschheitsthemen“, sagt Chapuis, der seit 2008 Leiter der Skulpturensammlung im Bode-Museum ist. „Beim Mangaaka und bei der Madonna geht es um Schutz: Beide sollen ihre Gemeinschaften vor Gefahren bewahren.“ Julien Chapuis, Jonathan Fine und Paola Ivanov, ebenfalls Kuratorin der Afrika-Abteilung, haben lange überlegt, welche Objekte aus den Sammlungen beider Museen zueinanderpassen, einander bereichern: zum Beispiel die Gedenkfigur des Königs Fosia aus Kamerun und die Statue der französischen Königin Jeanne de Navarre – oder zwei bronzene Aquamaniles (Handwaschgefäße) aus dem Königreich Benin und aus Norddeutschland, in Form eines Leoparden bzw. eines Löwen.
Dabei steht auch die Frage nach den „großen Menschheitsthemen“ – Schutz, Tod, Geschlecht, Macht – im Raum. Wo liegen Parallelen in der künstlerischen Bearbeitung dieser Themen, wo Unterschiede? „In der europäischen Kunst wird der Tod als endgültiger Abschied dargestellt, in afrikanischen Kulturen sieht man ihn eher als einen Übergang, die Verstorbenen bleiben präsent“, sagt Chapuis, der sich seit langem für afrikanische Kunst begeistert.
Fragwürdige Einordnung
Die 22 Paare werden voraussichtlich bis Ende 2019 im Bode-Museum bleiben, wenn das Humboldt Forum eröffnet, das ein Ort sein möchte, an dem sich die Kunstwerke der Weltkulturen auf Augenhöhe begegnen. Ein solches afrikanisch-europäisches Paar ist jetzt schon im Bode-Museum zu sehen, als Teil der Ausstellung „Neue Nachbarn“, die seit Juni 2017 in den Häusern der Museumsinsel Paarungen aus aller Welt präsentiert. Julien Chapuis zeigt das kleine, feine Paar zuerst von vorne: Die Statuette einer Göttin oder Prinzessin aus dem Königreich Benin (Nigeria, 16./17. Jahrhundert) steht neben dem „Putto mit Tamburin“ von Donatello (1429, Florenz). Interessant sind die beiden auch von hinten: Auf dem Rücken der Benin-Prinzessin prangt, unübersehbar groß, eine Inventarnummer, beim Putto dagegen ist die Nummer nicht sichtbar. „Das zeigt: Das afrikanische Kunstwerk wurde als ethnologisches Material quasi gebrandmarkt, der Putto dagegen wurde als Kunstwerk behandelt“, sagt Chapuis. „Dabei sind sie, was Ausführung und Ausstrahlung angeht, durchaus ebenbürtig.“
Auf welch fragwürdige Weise Kunstwerke sortiert und eingeordnet wurden, ist ein Thema, das sich durch die ganze Ausstellung ziehen wird. Die Europäer konnten die Werke der anderen Kulturen nicht als gleichberechtigte Kunstwerke anerkennen, sie stellten sie in die Ecke als exotisch, freigegeben zum Staunen, Wundern, Belächeln und auch Gruseln. Die Ausstellung möchte dagegen zeigen: „Es gibt in allen Kulturen Meisterwerke und andere Werke, die eher aus funktionalen Gründen interessant sind“, sagt Chapuis. Auch die meisten Kunstwerke im Bode-Museum hatten ursprünglich eine konkrete religiöse Funktion, waren Teil der Liturgie, eines Altars und wurden auf Prozessionen herumgetragen.
Und auch diese Werke sind mittlerweile stark erklärungsbedürftig. „Bei Führungen werde ich von jungen Leuten oft gefragt: Wieso stehen hier so viele Darstellungen einer jungen Frau mit einem Baby?“, erzählt Chapuis. Die Bedeutung christlicher Bildwerke, von der Madonna bis zu Märtyrerbildern und Szenen aus der antiken Mythologie, ist nur noch wenigen präsent. Ist es dann auch denkbar, dass Besucher der Ausstellung bei einigen Paarungen fragen werden, welches hier das europäische und welches das afrikanische Kunstwerk ist? Das, sagen Jonathan Fine und Julien Chapuis übereinstimmend, sei dann doch eher unwahrscheinlich.
Dieser Text erschien in der Museumszeitung IV/2017 der Staatlichen Museen zu Berlin.
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