35 mal göttlicher Schutz: Ein Alt-Ägyptisches Jochgehänge

Manche Dinge sind nicht, wonach sie zuerst aussehen – das wissen besonders AltertumsforscherInnen nur allzu gut. So auch Christina Hanus, die 2012 als wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Ausstellungsprojekt „Im Licht von Amarna – 100 Jahre Fund der Nofretete“ ein ganz besonderes Objekt kennenlernte.

Keine monumentale Königsstatue oder Figurine aus purem Gold ist für mich eine der außergewöhnlichen „Perlen“ des Ägyptischen Museums und Papyrussammlung, sondern eine Kette, die auf den ersten Blick vielleicht eher unspektakulär wirkt. Die große Sonderausstellung „Im Licht von Amarna – 100 Jahre Fund der Nofretete“, an der ich 2012 als wissenschaftliche Mitarbeiterin mitgearbeitet habe, rückte sie im Neuen Museum erstmalig ins Scheinwerferlicht.

Die altägyptische Kette datiert in die 18. Dynastie, um 1351–1334 v. Chr., und somit in die Regierungszeit Pharao Echnatons. Sie wurde 1911 während der Grabungen der Deutschen Orientgesellschaft unter der Leitung von Ludwig Borchardt in Tell el-Amarna gefunden. Der moderne Ort befindet sich auf den Überresten der antiken Siedlung Achet-Aton (übersetzt: Horizont des Lichts), der durch Pharao Echnaton gegründeten neuen Residenz, die heute durch das Amarna Project unter der Leitung des britischen Ägyptologen Barry Kemp wissenschaftlich erforscht wird.

Jochgehänge und Pferdeschmuck
Die Kette von 95 cm Gesamtlänge besteht aus 35 Perlen mit einem Durchmesser von 2,5 bis 3,1 cm. Mit schwarzer Farbe wurden Schutz-Symbole auf die Kugeln aufgemalt. Dabei tragen elf Perlen das so genannte „Udjat-Auge“, 24 Perlen zeigen eine stilisierte Darstellung einer Iris mit Pupille – auch als „Fischauge“ bezeichnet. Die moderne Fädelung der aneinandergereihten Udjat-Augen kann als gesichert gelten. Eine weitere Perle sticht als einzige in ihrer Erscheinung heraus. Sie zeigt auf einer Seite ein Anch-Zeichen, das „Leben“ und „Macht“ symbolisiert. Dieses befindet sich zwischen zwei Was-Zeptern, altägyptischen Zeichen in Form eines Stabes mit einem abstrakten Tierkopf am oberen und einer Gabelung am unteren Ende, die meist von den Göttern an die Könige übergeben werden und die als Symbol für Macht oder Glück stehen. Auf der anderen Seite weist diese Perle einen Djed-Pfeiler (für „Stabilität“ und „Macht“) auf, der erneut von zwei Was-Zeptern flankiert ist.

Jochgehänge aus Perlen mit aufgemalten Udjat-Augen (ÄM 21944/03, Neues Reich, 18. Dynastie, Amenophis IV. / Echnaton, 1351–1334 v. Chr., Fayence, bemalt, Tell el-Amarna, Gehöft N 51.03, Stall) © Staatliche Museen zu Berlin, Ägyptisches Museum und Papyrussammlung / S. Steiß
Jochgehänge aus Perlen mit aufgemalten Udjat-Augen (ÄM 21944/03, Neues Reich, 18. Dynastie, Amenophis IV. / Echnaton, 1351–1334 v. Chr., Fayence, bemalt, Tell el-Amarna, Gehöft N 51.03, Stall)
© Staatliche Museen zu Berlin, Ägyptisches Museum und Papyrussammlung / S. Steiß
Detail des Jochgehänges: Perlen mit Udjat-Augen sowie Anch-Zeichen und Was-Zeptern (ÄM 21944/03, Neues Reich, 18. Dynastie, Amenophis IV. / Echnaton, 1351–1334 v. Chr., Fayence, bemalt, Tell el-Amarna, Gehöft N 51.03, Stall) © Staatliche Museen zu Berlin, Ägyptisches Museum und Papyrussammlung / C. Hanus
Detail des Jochgehänges: Perlen mit Udjat-Augen sowie Anch-Zeichen und Was-Zeptern (ÄM 21944/03, Neues Reich, 18. Dynastie, Amenophis IV. / Echnaton, 1351–1334 v. Chr., Fayence, bemalt, Tell el-Amarna, Gehöft N 51.03, Stall)
© Staatliche Museen zu Berlin, Ägyptisches Museum und Papyrussammlung / C. Hanus
Vitrine mit Funden aus Tell el-Amarna im Mythologischen Saal des Neuen Museums: Jochgehänge aus Perlen mit aufgemalten Udjat-Augen (ÄM 21944/03, Neues Reich, 18. Dynastie, Amenophis IV. / Echnaton, 1351–1334 v. Chr., Fayence, bemalt, Tell el-Amarna, Gehöft N 51.03, Stall) © Staatliche Museen zu Berlin, Ägyptisches Museum und Papyrussammlung / C. Hanus
Vitrine mit Funden aus Tell el-Amarna im Mythologischen Saal des Neuen Museums: Jochgehänge aus Perlen mit aufgemalten Udjat-Augen (ÄM 21944/03, Neues Reich, 18. Dynastie, Amenophis IV. / Echnaton, 1351–1334 v. Chr., Fayence, bemalt, Tell el-Amarna, Gehöft N 51.03, Stall)
© Staatliche Museen zu Berlin, Ägyptisches Museum und Papyrussammlung / C. Hanus

Wer bei dieser Kette an den Zierrat für eine Prinzessin oder Dame eines wohlhabenden Hauses denkt, der irrt. Schon der Fundort gab Hinweise auf die Funktion der Kette. Unter dem Grabungskürzel „N 51.3“ verbirgt sich ein Gehöft mit angegliederten Stallungen. Und in eben jenen fanden die Grabungsmitarbeiter am 12. Februar 1911 die Kette aus durchbrochenen Kugeln. Schon damals bemerkte Borchardt in seinen Grabungsunterlagen, dass es sich vermutlich um „Pferdeschmuck“ handele. Tatsächlich fanden wir bei unseren Recherchen für die „Im Licht von Amarna“-Ausstellung diese Vermutung durch den Ägyptologen Ulrich Hofmann bestätigt. Ihm zufolge handelte es sich bei der Kette um ein Jochgehänge. In einer Keilschriftkorrespondenz mit dem Fürsten Tuschratta, einem mitannischen König, der im 14. Jahrhundert v. Chr. regierte und zur Zeit Amenophis III. und Amenophis IV./Echnatons intensiven diplomatischen Kontakt mit Ägypten pflegte, wird ein solches als „maninnu sa sisi“ („Kette für Pferde“) bezeichnet.

Haus N 51.3, mit rot markierten Ställen (Abbildungs-Quelle: L. Borchardt; H. Ricke: Die Wohnhäuser in Tell el-Amarna, Wissenschaftliche Veröffentlichung der Deutschen Orient-Gesellschaft 91, Berlin 1980, Plan 110)
Haus N 51.3, mit rot markierten Ställen (Abbildungs-Quelle: L. Borchardt; H. Ricke: Die Wohnhäuser in Tell el-Amarna, Wissenschaftliche Veröffentlichung der Deutschen Orient-Gesellschaft 91, Berlin 1980, Plan 110)

Ein tatkräftiger Schutz-Talisman
Im Vordergrund stand bei einem solchen Jochgehänge die Verzierung mit Augen, wie dem Udjat-Auge. Es besteht aus einem vereinfacht wiedergegebenen menschlichen Auge in Kombination mit einem senkrechten Strich und einer Spirale, welches Elemente des Falken- und des Pantherauges sind. Dem mit Abstand beliebtesten Schutzsymbol des Alten Ägypten liegt der Mythos zu Grunde, dass es sich dabei sinnbildlich um das Auge des Gottes Horus handelt, welches ihm durch seinen verfeindeten Onkel Seth mit Gewalt entfernt wurde. Der Überlieferung nach vermochte der Mondgott Thot das Auge zu heilen, so dass es anschließend als „udja“ („heil/gesund“) bezeichnet wurde. Wie bei Udjat-Augen auf Fingerringen oder Amuletten für Menschen, sollte die symbolische Funktion des Auges den Träger – hier also das Pferd und den Wagenlenker – vor Unheil schützen und seine Gesundheit auf magischem Wege garantieren.

Ein weniger häufiges Motiv stellte die Iris mit Pupille auf den Perlen dar. Es findet sich zum Beispiel auch auf Glasgefäßen zum Schutz des jeweiligen Inhaltes. Es ist anzunehmen, dass solch eine stilisierte Widergabe des Augenmotivs durch die einfache und schnelle Fertigung begründet ist: Einen Kreis mit einem mittigen Punkt in Glas herzustellen, war wesentlich unkomplizierter als ein Udjat-Auge mit seinen vielen Strichen.
Die magischen Symbole auf der bereits erwähnten, einzigen Perle mit Anch, Djed-Pfeiler und Was-Zepter sollten den Träger mit Lebenskraft, dauerhafter Stärke und Macht ausstatten. Befestigt am Joch des Pferdes diente das Perlengehänge demnach nicht nur als Zierde, sondern insbesondere als tatkräftiger Schutz-Talisman, der Pferd, Wagen und in diesem Zuge auch den Besitzer unterwegs behütete, ganz gleich ob es auf eine Spazierfahrt, auf die Jagd oder in eine Schlacht ging.

Amenophis IV. und Nofretete auf dem Streitwagen: das am Geschirr des Pferedes befestigete Jochgehänge ist rot markiert. (Abbildungs-Quelle: N. Davies, The Rock Tombs of El Amarna. Part III. The Tombs of Huya and AHmes (Archaeological Survey of Egypt. Fifteenth Memoir), London 1905, Pl. 32A.)
Amenophis IV. und Nofretete auf dem Streitwagen: das am Geschirr des Pferedes befestigete Jochgehänge ist rot markiert. (Abbildungs-Quelle: N. Davies, The Rock Tombs of El Amarna. Part III. The Tombs of Huya and AHmes (Archaeological Survey of Egypt. Fifteenth Memoir), London 1905, Pl. 32A.)

Keine schlechte Sache also, so ein Jochgehänge mit 35-fachem Schutz bei seiner Fahrt dabei zu haben. Vielleicht sollte man die Produktion solcher Ketten wieder neu auflegen, denn als dekorativer Glücksbringer an Auto-Rückspiegeln würden sie sicher einen neuen Trend auslösen!

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