Abenteuer in der Gipsformerei: Die Geburt des Großen Kurfürsten

Die Gipsformerei hat kürzlich einen ihrer größten Aufträge abgeschlossen: Eine originalgetreue Replik des „Großen Kurfürsten“ von Andreas Schlüter. Wir haben die Werkstattleiter Thomas Schelper und Stefan Kramer besucht und uns den Arbeitsprozess von ihnen genau erklären lassen.

Am vergangenen Dienstag haben Thomas Schelper und Stefan Kramer drei Kreuze gemacht. Denn da konnten die beiden Werkstattleiter der Gipsformerei ganz offiziell ein Mammutprojekt abschließen, an dem sie und ihr Spezialistenteam die letzten 14 Monate intensiv gearbeitet hatten: Einen vollständigen und maßstabsgetreuen Abguss des „Großen Kurfürsten“. Das monumentale Reiterstandbild war ab 1696 von Andreas Schlüter für Friedrich Wilhelm von Brandenburg entworfen worden und ist eines der größten Objekte im Katalog der Gipsformerei. 2015 hatte das Museo Internacional del Barroco in Mexiko eine Replik bestellt.

Als letzten Schliff bekommt die Replik des
Als letzten Schliff bekommt die Replik des „Großen Kurfürsten“ eine Bronzefassung © Staatliche Museen zu Berlin, Gipsformerei / Anna Mosig

Spurensuche im Keller
„Das größte Abenteuer war der Beginn“, erzählt Thomas Schelper. „Die Abgussformen lagerten seit Jahrzehnten verpackt in staubigen Kisten im Keller. Wir wussten gar nicht, ob überhaupt alle Einzelteile da sind.“ Doch Schelper und seine KollegInnen waren optimistisch, denn die Erfahrung hat gezeigt, dass sie sich in der Regel auf die Sorgfalt ihrer Vorgänger verlassen können. So war es auch dieses Mal: Als sie die alten Kisten öffneten, erkannten die Fachleute erleichtert, dass alle Formen vorhanden und mit Zetteln versehen waren.

Die Formen der Monumentalskulptur sind seit 1902 im Bestand der Gipsformerei. Sie wurden damals direkt vom Bronze-Original abgenommen, das heute vor dem Schloss Charlottenburg steht, und sind seither nur dreimal zur Anwendung gekommen: Einmal für die Galvanoplastik von 1904, die Besucher im Foyer des Bode-Museums begrüßt; ein weiteres Mal in den 1920er Jahren, als ein Abguss für das auf deutsche Kunst spezialisierte Busch-Reisinger Museum bei Boston gemacht wurde; und schließlich für den aktuellen Auftrag des Barock-Museums in Mexiko, das neben dem Meisterwerk noch mehrere kleine Büsten und Objekte geordert hat.

„Es war ein ziemliches Chaos“
Nach der ersten Erleichterung über den Kellerfund ging es für das Team der Gipsformerei direkt an die Arbeit. Denn die Formen waren zwar vorhanden, sie waren jedoch nirgends verzeichnet oder inventarisiert – offenbar hatte man beim Verstauen nicht damit gerechnet, dass jemals wieder ein Abguss der riesigen Skulptur gemacht werden würde. Oder der ungeordnete Zustand deutet auf eine überstürzte Rettungsaktion in Kriegstagen hin. „Es war jedenfalls ein ziemliches Chaos“, erzählt der Werkstattleiter, „denn insgesamt besteht die Form des Großen Kurfürsten aus 20 Teilabformungen bestimmter Bereiche der Skulptur, die selbst wiederum aus bis zu 100 einzelnen Teilen bestehen – ein gigantisches Puzzle.“

Die Teile der monumentalen Skulptur werden für den Transport einzeln verpackt © Staatliche Museen zu Berlin, Gipsformerei / David von Becker
Die Teile der monumentalen Skulptur werden für den Transport einzeln verpackt © Staatliche Museen zu Berlin, Gipsformerei / David von Becker

Der Grund für die vielen Einzelteile liegt in der spezifischen Abgusstechnik mit starren Formen, die in historischen Zeiten üblich war. Die so genannten „Gipswachsstückformen“ sind zwar sehr robust und erlauben die genaue Wiedergabe aller Details eines Originals; anders als moderne, flexible Silikonformen kann man die Formen jedoch nicht einfach dehnen und vom gegossenen Stück abziehen. Um die Formen nach dem Abbinden des Gipses ohne Beschädigung wieder von Überschneidungen, also überstehenden Teilen und Aussparungen, abnehmen zu können, musste man sie in einzelne Klein- und Kleinstformen zerlegen.

Hunderte Einzelteile
Die „Bergung“ der Formen war der erste Schritt eines langen Arbeitsprozesses, der im November 2015 begann. In der Werkstatt der Gipsformerei wurden die Formen zunächst gesichtet und gereinigt, bevor die einzelnen Teilabformungen mit einem Trennmittel aus Wachs versehen, zusammengesetzt und schließlich mit Gips ausgegossen wurden.

Wenn alle Einzelteile einer Replik in Gips gegossen und durchgetrocknet sind, werden die Nähte gesäubert, die die Fugen der Einzelformen hinterlassen, und es folgt eine aufwendige Nacharbeit. „Die Retusche macht etwa 80 Prozent des Arbeitsprozesses aus“, sagt Schelper, “während das eigentliche Abgießen und die Bemalung jeweils etwa 10 Prozent ausmachen.“

Der Rock des Kurfürsten war eines der kompliziertesten Teile. Er bestand aus über 100 Teilformstücken, die korrekt zusammengesetzt werden mussten. Man kann sich vorstellen, was für einen immensen Aufwand allein die Retusche der vielen Nahtstellen und filigran ausgearbeiteten Einzelheiten bedeutete.

Sandro di Michele und Praktikantin Nina von der Gipsformerei arbeiten an der Feinretusche des Rockes des Kurfürsten © Staatliche Museen zu Berlin, Gipsformerei / Fabian Fröhlich
Sandro di Michele und Praktikantin Nina von der Gipsformerei arbeiten an der Feinretusche des Rockes des Kurfürsten © Staatliche Museen zu Berlin, Gipsformerei / Fabian Fröhlich

Die Skulptur ist zu groß für die Werkstatt
Neben der eigentlichen Skulptur stellte auch der Sockel des Standbildes eine besondere Herausforderung für das Team der Gipsformerei dar: Er war nämlich nicht vorhanden. „Es gab keine Form für den Sockel, also haben wir improvisiert“, erzählt Stefan Kramer. „Wir haben hier vor Ort in alter Stuckateurtechnik eigens eine Ziehschablone für das Profil der Sockelkanten gebaut.“

Erst nach Abschluss all dieser Arbeitsprozesse konnte die Skulptur erstmals komplett zusammengesetzt werden. Für die Endmontage mussten die Gipskunstformer mit ihrem Werkstück in die Modellhalle der Gipsformerei umziehen, erklärt Schelper: „Die Skulptur ist mit 4,20 Metern Höhe schlicht zu groß, um sie in der Formerwerkstatt im Hauptgebäude zusammenzusetzen.“

Die gesamte Skulptur besteht aus vier großen Einzelteilen: dem Pferdekopf, dem Oberkörper des Kurfürsten sowie dem Schweif und dem Rumpf des Pferdes. Alle Einzelteile wurden erst grob angepasst und dann mit Gips verklebt. „Für das beste Ergebnis werden die Einzelteile laminiert“, erklärt der Profi, „dazu tränken wir Jute in Gips und verkleben damit die einzelnen Elemente – so können wir auch noch einzelne Stellen modellieren und produktionsbedingte Fehlstellen kaschieren.“

Ein letzter Blick - der
Ein letzter Blick – der „Große Kurfürst“ darf erst im Museo Internacional del Barroco wieder auf sein Pferd steigen © Staatliche Museen zu Berlin, Gipsformerei / David von Becker

Metallrohre sorgen für Stabilität
Eine weitere Herausforderung für das Team war die Statik des Objektes, denn obwohl das Reiterstandbild hohl ist wiegt es dennoch gute 1,5 Tonnen. „Die anderthalb Tonnen Gips ruhen allein auf den drei Pferdefüßen, die ein kleines Dreieck bilden“, erklärt Stefan Kramer, der mit Thomas Schelper gemeinsam die Werkstatt leitet. „Eine Konstruktion zu entwickeln, die das Gewicht halten kann, ohne nach außen sichtbar zu sein, war nicht einfach.“

Die Lösung des Problems: In der gesamten monumentalen Skulptur sorgen eingelassene Metallrohre für Stabilität. Sie sind deutlich robuster als die geschmiedeten Vierkanteisen, die etwa noch bei der 1920er-Version in Boston eingesetzt wurden. Dass die Gipsformerei eine hauseigene Schmiede und einen eigenen Schlosser beschäftigt, erleichterte die Konzeption des Metallgerüsts enorm.

Im letzten Schritt bekommt die Skulptur Farbe: Die Skulpturenmaler tragen in mehreren Schichten eine Bronzefassung auf. Zunächst wird dafür eine Grundierung aufgelegt, die den Grundton bestimmt. Darüber wird die eigentliche Farbe aufgebracht, die aus Schelllack mit Pigmenten und Bronzepulver besteht. Schließlich folgt eine finale Patina, die den Grünspan des Originals simuliert.

Der Kopf des Pferdes wird für den Transport separat verpackt © Staatliche Museen zu Berlin, Gipsformerei / David von Becker
Der Kopf des Pferdes wird für den Transport separat verpackt © Staatliche Museen zu Berlin, Gipsformerei / David von Becker

„Es wird nicht weniger aufwendig“
Die Reproduktion ist so konzipiert, dass man sie auseinandernehmen kann, denn als komplettes Stück ließe sie sich kaum transportieren. So können Pferdekopf, Oberkörper des Kurfürsten, Schweif und Rumpf des Pferdes in kleineren Kisten getrennt verpackt werden. „Klein“ ist hier relativ, denn die Kisten sind trotzdem noch so groß, dass man einen Tieflader braucht, um alles abzutransportieren.

In jeder Holzkiste wird beim Verpacken eine individuelle Dämpfung eingebaut, sodass die einzelnen Elemente absolut stoßsicher verpackt sind. Diese Arbeiten wurden am Montag und Dienstag von der Firma Hasenkamp erledigt, bevor die Bestellung auf den weiten Weg nach Mexiko gebracht werden konnte.

Der Rumpf des Pferdes in der Holzkiste © Staatliche Museen zu Berlin, Gipsformerei / Anna Mosig
Der Rumpf des Pferdes in der Holzkiste © Staatliche Museen zu Berlin, Gipsformerei / Anna Mosig

Die Replik des „Reiterstandbildes des Großen Kurfürsten“ ist die bislang teuerste Figur der Gipsformerei und eine der größten, die hier gefertigt wurden. Für Thomas Schelper, Stefan Kramer und ihre Kollegen der Gipsformerei bleibt aber nicht viel Zeit zum Ausruhen, denn das nächste Projekt hat schon begonnen. Was es ist, wird noch nicht verraten – nur so viel gibt Schelper Preis: „Es wird nicht weniger aufwendig als der letzte Auftrag.“

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