Anknüpfen an aktuelle Debatten: Interview mit Dagmar Hirschfelder
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Seit November 2021 ist Dagmar Hirschfelder neue Direktorin der Gemäldegalerie. Wir sprachen mit ihr unter anderem über ihre Visionen für das Museum, bevorstehende Ausstellungen und darüber, wie man Alte Meister in die Gegenwart bringt.
Interview: Tobias Renner
Liebe Frau Hirschfelder, Sie sind noch relativ frisch in Berlin. Wie fühlt es sich an, von Heidelberg nach Berlin zu ziehen und wie verlief der Umzug in Corona Zeiten?
Es war aufregend, aus dem beschaulichen Heidelberg in die Metropole zu ziehen, und ich bin sehr gespannt auf das vielfältige kulturelle Leben in Berlin. Ich mochte Berlin schon immer und war häufig hier, um die Museen zu besuchen, aber auch Freunde und Familie. Zum Glück haben wir für unsere Familie eine Wohnung in Schöneberg gefunden, wo wir uns sehr wohl fühlen.
Sie sind seit Mitte November 2021 in der Gemäldegalerie. Wie war ihr Empfang, was waren Ihre ersten Eindrücke?
An der Gemäldegalerie wurde ich offen und herzlich empfangen. Es war ein schöner und auch sehr intensiver Start, da ich sofort in viele Gremien eingebunden war und der Kosmos der Staatlichen Museen zu Berlin und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz ja sehr weit verzweigt ist. Gleich zu Beginn meiner Tätigkeit war ich häufig in den Ausstellungsräumen der Gemäldegalerie: unter anderem für Pressetermine, im Rahmen der Eröffnung unserer Ausstellung „Anna Dorothea Therbusch. Eine Berliner Künstlerin der Aufklärungszeit“ oder zur Begutachtung der Neuinstallation der Beleuchtung in den Sälen der Galerie. Dabei war ich jedes Mal von neuem beeindruckt vom Reichtum, von der Qualität und Spannbreite der Sammlung, obwohl ich sie seit vielen Jahren gut kenne.
Sie kommen ja in Zeiten des Umbruchs zu den Museen, die SPK befindet sich mitten in einem historischen Reformprozess. In welche Richtung werden sich Ihr Haus und seine Sammlung in Zukunft entwickeln? Was schwebt Ihnen vor, welche Ideen haben Sie?
Ich möchte die Gemäldegalerie noch stärker zu einem Ort des Dialogs und des Austausches machen und auch neue Besucher*innengruppen für unser Haus interessieren. Mir ist das Anknüpfen an aktuelle gesellschaftliche Debatten und Diskurse wichtig. Ich möchte zentrale Themen, die unsere Gesellschaft bewegen, in unserem Ausstellungs- und Vermittlungsprogramm aufgreifen. Themen wie Identität, Gender, Umwelt oder Fremdheitserfahrung, um nur ein paar Schlagworte zu nennen. Hierbei geht es darum, in größeren Zusammenhängen zu denken, um auch längere Entwicklungen nachzeichnen zu können.
Ebenso wichtig sind Ausstellungen zu den herausragenden Künstler*innen unserer Sammlung und die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit unseren Beständen. Um Werke früherer Jahrhunderte verstehen und wertschätzen zu können, ist ihre intensive Erforschung entscheidend. Nur so können wir zu einem tieferen Verständnis von Genese, Zustand, ursprünglicher Funktion und Bedeutung der Werke gelangen und letztlich auch tragfähige Ausstellungen realisieren. Die Kunsthistoriker:innen und Restaurator:innen der Gemäldegalerie verfügen über ein hohes Maß an Expertise und tragen mit ihren Forschungen zur internationalen Reputation und Sichtbarkeit des Hauses bei. Diesen Weg gilt es fortzuführen.
Im Zuge der Reform halte ich eine enge Zusammenarbeit mit den anderen Häusern der Staatlichen Museen zu Berlin für zentral. Im Reichtum der Sammlungen und der Bündelung unserer Kräfte liegt großes Potential, das wir gemeinsam nutzen wollen. Darüber hinaus ist eine bessere finanzielle und personelle Ausstattung der dramatisch unterfinanzierten Museen essentiell und ich hoffe, dass der Reformprozess in dieser Hinsicht viel bewegen wird. Damit ein Haus wie die Gemäldegalerie die Strahlkraft entfalten kann, die dem Weltrang ihrer Sammlung entspricht, ist eine personelle Aufstockung, etwa in den Bereichen Kommunikation, Vermittlung, Social Media, Marketing dringend geboten.
Gibt es schon konkrete Projekte, an denen Sie gerade arbeiten?
Im Augenblick beschäftigt mich die Steuerung der Projekte der nächsten zwei Jahre. Ein großes internationales Highlight wird unsere Donatello-Ausstellung sein, die im September dieses Jahres eröffnet. Es ist eine Kooperation mit dem Bargello und dem Palazzo Strozzi in Florenz sowie dem Victoria & Albert Museum in London und die erste große Donatello-Ausstellung in Deutschland. Donatello gehört zu den wichtigsten Wegbereitern der italienischen Renaissance. Wir zeigen das ganze Spektrum seines Werkes, seine technischen Innovationen und auch seinen tiefgreifenden Einfluss auf die italienische Kunst des 15. Jahrhunderts.
Außerdem werden wir im Frühjahr in einer Ausstellung vier monumentale Jahreszeitenbilder David Hockneys aus der Sammlung Würth präsentieren und sie mit Werken von Meistern wie Rembrandt, Gainsborough, Constable und Van Gogh in Dialog treten lassen. Darüber hinaus möchte ich im nächsten Jahr eine Kooperation mit der Berlin Biennale realisieren. In der Gegenüberstellung von Werken der Alten Meister mit Positionen zeitgenössischer Künstler*innen können sich vielfältige Bezüge offenbaren, die eine neue Perspektive auf die Werke ermöglichen und lebendige Diskussionen anregen können.
Für 2023 ist eine Ausstellung zu Hugo van der Goes, einem herausragenden niederländischen Maler der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, geplant. Ich freue mich persönlich sehr auf diese einzigartige Schau, die es in dieser Form noch nicht gab und die eine neue Würdigung der außergewöhnlichen Kunst des Malers bedeutet.
Sie haben gesagt, dass es bei der Konzeption von Ausstellungen immer auch um die Relevanz historischer Zusammenhänge für die heutige Lebens- und Erfahrungswelt der Besucher*innen geht. Wie schafft man das bei Gemälden, etwa aus der altniederländischen Malerei oder der italienischen Renaissance? Wie macht man diese einem jungen Publikum zugänglich, das sich fast nur noch auf Social-Media bewegt?
Ich glaube, dass von den Werken der Alten Meister eine hohe Faszination ausgehen kann, die mit vielen Faktoren zusammenhängt, etwa mit dem beeindruckenden Können von Künstler*innen wie van Eyck, Botticelli, Caravaggio, Rembrandt, Ruysch oder Kaufmann. Gerade in der Pandemie wurde der hohe Wert deutlich, der in der Begegnung mit den Originalen liegt.
Um die Alten Meister auch einem jungen Publikum zugänglich zu machen, wird es immer wieder darum gehen, Bezüge zur Gegenwart herzustellen. Hier gibt es viele Anknüpfungspunkte. Unsere Denk- und Sichtweisen sind ja nicht zuletzt von unserer Vergangenheit geprägt, auch gesellschaftliche Veränderungen sind immer eine Reaktion auf vorhergehende historische Zustände. Viele existentielle Fragen, die etwa um Identität, Körper, Glauben, Liebe oder Gewalt kreisen, beschäftigten die Menschen und natürlich die Künstler*innen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit ebenso intensiv wie uns heute. Es ist ungeheuer faszinierend, Bezüge und Beziehungen unserer heutigen Lebens- und Erfahrungswelt zu vergangenen Jahrhunderten herzustellen und dabei sowohl Kontinuitäten als auch radikale Brüche festzustellen.
Ist das der Weg, den Sie bereits mit Ihrer Ausstellung “Frauenkörper. Der Blick auf das Weibliche von Albrecht Dürer bis Cindy Sherman” in Heidelberg eingeschlagen haben?
Definitiv. Diese Ausstellung verdeutlicht nicht nur den Wandel von Schönheitsidealen und Weiblichkeitskonzepten über die Jahrhunderte, sondern macht auch sichtbar, wie stark Denkmodelle und Sehgewohnheiten in Moderne und Gegenwart von Bildformeln bestimmt sind, die sich bereits in Renaissance und Barock herausbildeten. Um solche Zusammenhänge offenzulegen, aber auch, um Inhalt und Bedeutung der Werke, gerade auch der Werke der ständigen Sammlung, überhaupt erst verständlich zu machen, halte ich es für zentral, unseren Besucher*innen in der Gemäldegalerie mehr Informationen an die Hand zu geben und dabei auch verstärkt die Sozialen Medien und digitale Formate zu nutzen.
Sie wollen Soziale Medien gerne stärker in den Museumsalltag integrieren und spielerischer werden. Was ist damit konkret gemeint?
Wichtig scheint mir, für die Gemäldegalerie ein durchdachtes Konzept für die gezielte Nutzung der Sozialen Medien zu entwickeln, aber auch für einen breiteren Einsatz digitaler Anwendungen, sowohl mit Blick auf den Museumsbesuch selbst als auch auf die Beschäftigung mit der Sammlung im Internet. Für beide Bereiche bedarf es ganz dezidiert einer personellen Verankerung.
Augmented Reality-Anwendungen oder interaktive Websites und Apps laden zur spielerischen Interaktion ein. Sie ermöglichen ein neues Erleben und eine intensivere Auseinandersetzung mit den Kunstwerken. Hier können wir von den Ergebnissen und Erfahrungen profitieren, die in dem Verbundprojekt museum4punkt0 gewonnen wurden. Es wird nun darum gehen, diese Erfahrungen auch anzuwenden und zu implementieren.
In diesem Zusammenhang geht es auch um das Thema Outreach: Die Gemäldegalerie hat ja eher ein akademisches, älteres Publikum. Wie erreicht man andere Zielgruppen?
Ich möchte neue Wege gehen, um ein breites und diverses Publikum anzusprechen und zur Auseinandersetzung mit den alten Meistern anzuregen. Erfreulicherweise ist an der Gemäldegalerie und am Bode-Museum eine Kuratorin tätig, die sich gezielt mit Outreach und Publikumsentwicklung beschäftigt. Derzeit arbeitet sie an einem sehr interessanten Kooperationsprojekt mit dem King‘s College London: In einer Multimedia-Anwendung werden die christlichen Inhalte unserer religiösen Werke auch für Menschen verständlich gemacht, die keinen christlichen Hintergrund haben.
Themawechsel: Sie sind die erste weibliche Direktorin der Gemäldegalerie. Wie fühlt sich das an, ist es mit besonders viel Druck verbunden? Wie ist das generell im Museumsbetrieb als Frau und Wissenschaftlerin?
Ich bin die erste weibliche Direktorin der vereinten Gemäldegalerie, während der deutschen Teilung war Irene Geismeier von 1960 bis 1990 Direktorin der Gemäldegalerie im Bode-Museum in Ost-Berlin. Ich bin sehr glücklich darüber, dass sich die Stiftung für mich entschieden hat, und finde es ein gutes Signal, die Stelle weiblich zu besetzen. Mein Eindruck ist, dass sich seit einigen Jahren im Wissenschafts- und Museumsbetrieb viel verändert und hohe Leitungspositionen zunehmend sehr erfolgreich von Frauen ausgefüllt werden. Dennoch besteht gerade mit Blick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein hoher Druck auf Frauen in Führungspositionen, die wie ich Kinder haben. Das Ziel einer guten Vereinbarkeit ist aus meiner Sicht in vielen Bereichen noch nicht eingelöst. Umso wichtiger finde ich es, diesen Weg zu gehen und damit vielleicht auch eine Vorbildfunktion zu haben.
Und zum Abschluss: Haben Sie schon ein Lieblingswerk in der Gemäldegalerie, dass Sie unseren Leser*innen verraten würden und wenn ja, warum dieses Werk?
Aufgrund meiner breiten Spezialisierung verbinde ich viel mit den Werken der Gemäldegalerie. Ich habe unter anderem zur niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts, zur deutschen Kunst der Dürerzeit und zu spätmittelalterlichen Tafelgemälden geforscht. Daher finde ich es nicht leicht, ein bestimmtes Lieblingswerk zu benennen.
Ich bin beeindruckt von der Ästhetik der ungezähmten Landschaften Jacob van Ruisdaels, von Caravaggios Verismus oder von dem flotten Pinselstrich, mit dem Frans Hals den Gefühlsausdruck und die Bewegung seines „Singenden Knaben mit Flöte“ einfängt, ich bewundere Rembrandts verdichtende Erzählkunst, etwa in seinem Gemälde der „Susanna mit den beiden Alten“, mich fasziniert die koloristische Raffinesse der „Anbetung der Könige“ von Hugo van der Goes, die präzise Beobachtungsgabe in Dürers Porträt des „Hieronymus Holzschuher“ oder die eindringliche Charakterschilderung in den Bildnissen Sofonisba Anguissolas und Anna Dorothea Therbuschs. Und es gibt noch viele andere Werke, die mich ebenso in ihren Bann ziehen.
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Kommentare
Ich finde es gefährlich sich an alle Mode- und elitäre Trenddebatten auszurichten und
den treuen Stammbesucher damit abzuschrecken