Archäologische Spurensuche: Die Wege der Prussia-Sammlung
Die so genannte „Prussia-Sammlung“ war bis 1945 die bedeutendste archäologische Sammlung des Ostseeraums. Die Archäologen Christoph Jahn und Iza Szter im Gespräch über eine Spurensuche nach den Einzelteilen der im Krieg getrennten Sammlung.
Interview: Birgit Jöbstl und Nikolas Mathey
Welche archäologischen Objekte machten das historische Gedächtnis Ostpreußens aus? Ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördertes internationales Kooperationsprojekt des Museums für Vor- und Frühgeschichte mit dem Museum für Geschichte und Kunst Kaliningrad soll die nach dem Zweiten Weltkrieg verstreute Prussia-Sammlung digital wieder zusammenführen. Wie das konkret aussieht, erzählen Christoph Jahn und Izabela Szter im Interview.
Das Museum für Vor- und Frühgeschichte der Staatlichen Museen zu Berlin besitzt etwa 50.000 Objekte aus der so genannten Prussia-Sammlung. Was hat es mit dieser Sammlung auf sich?
Christoph Jahn & Iza Szter: Die Prussia-Sammlung besteht aus archäologischen Objekten, die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in Ostpreußen ausgegraben worden sind und im Königsberger Prussia-Museum aufbewahrt waren. Das Prussia-Museum war bis 1945 für den Ostseeraum eines der bedeutendsten archäologischen Museen. Es sammelte schwerpunktmäßig Objekte aus der römischen Kaiserzeit, aus der Zeit der Völkerwanderung und dem Mittelalter. Alles in allem stellte es eine Art historisches Gedächtnis Ostpreußens dar.
Wie gelangte die Sammlung von Königsberg in das Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte?
Der Großteil dieser Sammlung ist kurz vor Kriegsende auf abenteuerlichen Wegen in den Westen evakuiert worden und liegt heute in Berlin. Ein weiterer Teil der Sammlung ist in Königsberg, dem heutigen Kaliningrad geblieben und ein letzter kleinerer Teil ist im polnischen Allenstein, dem heutigen Olsztyn gelandet. Durch diese Verlagerungsgeschichte ist die Sammlung schwer in Mitleidenschaft gezogen worden.
Sie erforschen die Prussia-Sammlung am Museum für Vor- und Frühgeschichte seit 2016. Worum geht es dabei genau?
Die Hauptfrage des Projektes lautet: Welche archäologischen Objekte befanden sich früher im Königsberger Prussia-Museum? Wir versuchen nun, die erhaltenen archäologischen Objekte aus der Kaiser- und Völkerwanderungszeit wissenschaftlich zu beschreiben und in ihrem archäologischen Kontext zu rekonstruieren. Nur wenige Objekte sind vor 1945 wissenschaftlich veröffentlicht worden und die ehemaligen Inventarbücher sind nur fragmentarisch erhalten. Wir versuchen also, den ehemaligen Bestand zu rekonstruieren, indem wir die erhaltenen Objekte fotografieren, vermessen und beschreiben. Wir erstellen eine Art neues digitales Inventarbuch mit allen relevanten Informationen zu den jeweiligen Objekten. Diese verschiedenen Arbeitsschritte laufen unter dem Gesamtbegriff „Erfassung“. In ähnlicher Weise haben wir schon von 2011 bis 2014 ein Vorgängerprojekt zu den mittelalterlichen Objekten der Sammlung erfolgreich abgeschlossen.
Kann man das digitale Inventarbuch schon online einsehen?
Wir veröffentlichen diese Informationen schrittweise online unter smb-digital.de. Für die archäologische Forschung ist diese Datenbank sehr wichtig, da jede wissenschaftliche Analyse stets mit der Suche nach Vergleichsstücken beginnt. Daher ist es unbedingt erforderlich, dass die internationalen Kollegen überhaupt wissen, welche ostpreußischen Objekte in Berlin vorhanden sind und wie diese aussehen.
Sie erwähnten bereits, dass sich weitere Bestandteile der Prussia-Sammlung in Kaliningrad im heutigen Russland befinden. Wie kommen Sie an genauere Informationen zu den dort vorhandenen Objekten?
Unser Hauptaugenmerk liegt zwar auf den Beständen, die sich in Berlin befinden, aber für die Forschung ist es natürlich auch wichtig zu wissen, welche Objekte in Kaliningrad liegen. Deshalb haben wir dieses wissenschaftliche Kooperationsprojekt auf den Weg gebracht. Diese Kooperation besteht zwischen dem Museum für Geschichte und Kunst Kaliningrad und dem Museum für Vor- und Frühgeschichte bzw. der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Angesichts der aktuellen politischen Situation zwischen Deutschland und Russland war diese Zusammenarbeit nicht immer einfach, aber letztlich doch sehr produktiv.
Wie verläuft die länderübergreifende Zusammenarbeit?
Zunächst haben wir zusammen mit den Kaliningrader Kollegen eine Auswahl wissenschaftlich relevanter Funde aus dem dortigen Bestand getroffen. Diese Auswahl wurde dann von den russischen Kollegen wie oben beschrieben „erfasst“. Es ist in diesem Projekt schon eine besondere Herausforderung, sowohl die wissenschaftlichen als auch die organisatorisch-administrativen Aufgaben in einer solchen internationalen Kooperation voranzubringen und zu lösen. Der internationale Austausch mit den Kollegen aus Polen, Litauen und Russland, die im heutigen Gebiet Ostpreußens archäologisch tätig sind, ist ein ganz wichtiger Bestandteil unserer Arbeit. Gerade dieser Aspekt macht das Projekt über den rein wissenschaftlichen Anteil hinaus so spannend.
Welche Perspektiven sehen Sie abschließend für die Prussia-Sammlung?
Die in Russland und Polen vorhandenen Stücke bildeten vor 1945 mit dem Berliner Bestand eine gemeinsame Sammlung. Durch die digitale Erfassung sollen diese Bestände langfristig über die Grenzen hinweg zumindest virtuell wieder zusammengeführt werden. Unsere Arbeit hier am Museum für Vor- und Frühgeschichte in Berlin ist ein erster Schritt in diese Richtung und die Grundlage für eine zukünftige, länderübergreifende wissenschaftliche Auswertung. Die Forschung zur Prussia-Sammlung wird auch in der Zukunft weitergehen.
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