Wenn es um Kunstraub in der Zeit des Nationalsozialismus oder um koloniales Unrecht des Kaiserreiches geht, ist immer wieder von Provenienzen die Rede. Doch was genau verbirgt sich hinter dem Begriff? Petra Winter, Leiterin des Zentralarchivs, weiß mehr.
Text: Petra Winter
Jedes Kunstwerk hat eine eigene Biografie. Die vergessenen, versteckten und manchmal auch bewusst verborgenen Geschichten der Objekte in Museen aufzuklären, ist das Ziel der Provenienzforschung. Um die Biografie eines Objekts möglichst vollständig zu rekonstruieren, müssen wir uns einige grundlegende Fragen stellen: Woher kommt es und wie gelangte es ins Museum? Wem gehörte das Objekt vorher? Die zentrale Frage, die wir mit der Provenienzforschung zu klären hoffen, ist aber diese: Gehört das Objekt, das sich heute im Museum oder einer Sammlung befindet, vielleicht eigentlich noch jemand anderem, dem es einst unrechtmäßig genommen wurde?
Die Tätigkeit der Provenienzforscher ist in erster Linie eine klassische historische Recherche, also die Suche nach schriftlichen Hinweisen und Belegen zur Biographie eines Objekts in Archiven und Bibliotheken. Auch das Objekt selber muss unter die Lupe genommen werden, denn manchmal sind an und auf ihm Spuren überliefert: Zum Beispiel Stempel oder Aufkleber auf der Rückseite eines Gemäldes. Sie können wichtige Hinweise auf den Weg des Objektes geben und helfen, seine Besitzgeschichte zu rekonstruieren.
Eine internationale Spurensuche
Die meisten Objekte haben eine internationale Biographie: Sie sind durch viele Hände gegangen und hatten etliche Vorbesitzer, die auf der ganzen Welt unterwegs gewesen sein könnten. Daher ist die internationale Zusammenarbeit bei der Provenienzforschung sehr wichtig und gute Kontakte zu Archiven in anderen Ländern machen eine sinnvolle Recherche oft erst möglich. Einen besonderen Fall stellen Kunstwerke dar, die früher einmal jüdischen Besitzern gehört haben könnten. Sie wurden oftmals gewaltsam entwendet und ihre Besitzer sind oft bereits vor Jahrzehnten ins Ausland emigriert. Nicht selten liegen dann etwa in Amerika die schriftlichen Nachlässe von emigrierten Privatsammlern oder Kunsthändlern, die wertvolle Informationen zu Kunstwerken in Europa und andernorts enthalten.
Wenn durch Provenienzforschung Werke ausfindig gemacht werden, die einem privaten Eigentümer unrechtmäßig entzogen wurden, dann wird nach juristischer Prüfung der Kontakt zu möglichen Erben gesucht und eine Einigung angestrebt.
Erinnerungsprojekt gestartet
In den letzten Jahren konnten zahlreiche Restitutionen – also Rückgaben von unrechtmäßig enteigneten Kunstwerken – an Geschädigte und deren Erben umgesetzt werden. Um die vielen Geschichten zu erzählen, die sich hinter Stichworten wie „verfolgungsbedingt entzogen“ verbergen, wurde nun das Kooperationsprojekt „Kunst, Raub und Rückgabe – Vergessene Lebensgeschichten“ ins Leben gerufen. Die gemeinsame Initiative der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen wird von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien gefördert und erinnert an die Opfer des nationalsozialistischen Kunstraubs. Es erzählt von jüdischen Menschen, die einst das Kulturleben Deutschlands maßgeblich geprägt haben, dann aber von den Nationalsozialisten verfemt, entrechtet, verfolgt, beraubt und ermordet wurden.
Es sind oftmals unbekannte Namen, auf die die Provenienzforschenden bei ihrer Arbeit stoßen. Wer waren diese Menschen? Und was bedeutet es ihren Nachkommen, wenn ein verfolgungsbedingt entzogenes Kunstwerk zurückgegeben wird? Hinter jedem wieder aufgespürten Werk stehen die Geschichte und das Schicksal von Menschen und ganzen Familien.
Multimediales Storytelling
Im Frühsommer 2023 wird im Rahmen des Projektes eine Mediathek mit den ersten fünf Lebensgeschichten online gehen, die anhand von Texten, Bildern, Filmen, Karten und Audioelementen multimedial erzählt und im weiteren Projektverlauf sukzessive um weitere Lebensgeschichten ergänzt werden. Bis Ende 2024 sollen 30 Persönlichkeiten in der Mediathek vorgestellt werden. Einige der Filme sind bereits jetzt in der Mediathek des rbb verfügbar.
Das Projekt schließt eine wichtige Lücke in der Beschäftigung der Museen mit dem Thema. Bisher fokussierte die öffentliche Diskussion eher auf die Kunstwerke als auf die ehemaligen Eigentümer*innen. Selten geht es in einschlägigen Artikeln um die Personen und ihre Familien, besonders um solche, die nicht einschlägig im Kunstmarkt etabliert waren. An all diese Menschen zu erinnern, ob Sammler*in, Gelegenheitskäufer*in oder Laie, soll ein Schwerpunkt des neuen Projektes sein. Darüber hinaus zeigt es eine ganze Bandbreite der damaligen jüdischen Bevölkerung in Deutschland – die durchaus kein homogener Querschnitt ist. Diesen Schatz an Wissen, der in musealen Sammlungen verborgen ist, auf neue Weise in die Öffentlichkeit zu bringen, wird eine der zentralen Aufgaben der Provenienzforschung in der Zukunft sein.
Am 12. April 2023 findet der internationale „Tag der Provenienzforschung“ mit besonderen Veranstaltungen und Informationsangeboten statt.
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