Architektur der Seidenstraße: Als die Wüste bunt war
Lange waren die Holzbauten der Seidenstraße kaum bekannt. Das Museum für Asiatische Kunst in Berlin-Dahlem hat Gebäudeteile der alten Tempelstadt Kočo jetzt rekonstruiert und ausgestellt. Ein Rundgang mit Lilla Russell-Smith, Kuratorin für Zentralasiatische Kunst.
13. Dezember 2016. Es herrscht Aufbruchsstimmung in Berlin-Dahlem. Seit Monaten bereitet das Museum für Asiatische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin seinen Umzug ins Humboldt Forum vor. Das Erdgeschoss ist bereits beräumt. Ein Stock weiter oben: eine kleine Sensation. Die Ausstellung „Die Ruinen von Kočo: Spuren von Holzarchitektur der alten Seidenstraße“ zeigt weltweit einzigartige Artefakte aus dem 5.-10. Jahrhundert: Säulenteile, die Häuser stützten, reich bemaltes Gebälk mit noch immer satten Farben, und Pfeiler, die das Fundament neuer Tempel markierten, dazu Textfragmente in längst toten Sprachen, Skulpturen und seltene Malereien auf Seide. Viele der Objekte stammen aus Kočo, einst eine der großen Städte der Seidenstraße am nordwestlichen Rand Chinas. Und: Viele von ihnen sind erstmals öffentlich zu sehen.
Kulturelle Schmelztiegel in der zentralasiatischen Wüste
Von 1902 bis 1914 hatten Berliner Forscher in vier „Turfan-Expeditionen“ die Objekte auf ihrer Suche nach Spuren der alten Seidenstraße geborgen. 100 Jahre später hat sie das Museum für Asiatische Kunst, finanziert durch die Gerda Henkel Stiftung, in einem Projekt erstmals wissenschaftlich erschlossen. Die untersuchten Stücke zeugen von einer wohlhabenden Region. Obwohl in einem der unwirtlichsten Flecken der Welt gelegen, sprudelte dort das Leben in imposanten Städten und Tempelanlagen, verbanden sich Sprachen, Kulturen und Religionen. Kočo war ein solcher Glanzpunkt am Rand der Wüste Taklamakan: Hier trafen chinesische Siedler und Soldaten auf Sogdische Händler und verewigten sich Uighuren als buddhistische Tempelstifter.
Lilla Russell-Smith bleibt vor einem verzierten Kapitell aus dem 8.-10. Jahrhundert stehen: Eingeschnitzt in das helle Holz zeichnen sich die Windungen des Akanthusblattes ab, einem Erfolgsdesign der Geschichte: Varianten des Motivs benutzten Handwerker in Athen, Palmyra, Byzanz und eben auch in Kočo. „Materielle Zeugnisse wie diese Holzkapitelle zeigen, wie verschiedene kulturelle Einflüsse genutzt und an die lokalen Gegebenheiten anpasst wurden“, sagt die Kuratorin und blickt in den letzten Raum, das Herzstück der Ausstellung: hier sind Balken- und Deckenkonstruktionen aus ca. dem 10. bis 11. Jahrhundert wiedererstanden – wahre Kulturkonglomerate mit farbigen Blumenranken im uighurischen Stil, errichtet nach chinesischer Bauweise, aber vermutlich wie in Zentralasien üblich fest verbunden mit Lehmwänden.
Die Holzarchitektur der Seidenstraße – heute ein Phantom
Als zwischen 1902-1914 die Expeditionen unter der Leitung von Albert Grünwedel und Albert von Le Coq die Seidenstraße erreichten, so erzählt Russell-Smith, war Kočos Hochphase schon lange vorbei und viele Gebäude nur noch Ruinen. Unter den Objekten, die sie vor Ort bergen konnten, waren auch jene Balken, Kapitelle und Fragmente, die sie später nach Berlin brachten. Die Arbeit früher Expeditionen betrachte die heutige Forschung aber mit gemischten Gefühlen, so die Kuratorin: Grünwedel, Le Coq und auch britische, japanische, russische und amerikanische Forscher gingen nicht immer zimperlich mit den alten Stätten um. Malereien aus verlassenen Tempeln wie im benachbarten Bezeklik wurden kurzerhand aus den Wänden gesägt.
„Das ist für uns heute ein schmerzlicher Anblick“, kommentiert die Kuratorin, „Im Fall der Holzobjekte war der Abtransport aber ein Glücksfall. Andernorts ist die Holzarchitektur der alten Seidenstraße kaum erhalten. Was blieb sind bloße Spuren: Abdrücke von verschwundenem Holz im umgebenden Gestein oder Rußablagerungen nach Bränden. Dass wir heute noch diese Fragmente haben mit Farben als wären sie gestern erst bemalt worden, ist unglaublich.“
Anfang des 20. Jahrhunderts nutzen die Menschen der Region die Stätte: Bei winterlichen Temperaturen von bis zu -50°C dienten die Holzreste als Brennstoff. Da sie Minerale und Stroh enthielten, wurden Tempelmauern zu Düngemittel zerrieben. „Wollen wir verstehen, wie die Stadt vor 100 Jahren aussah, kommen wir um Grünwedels Notizen nicht herum“, meint Russell-Smith. Anders als andere Stätten der Seidenstraße genießt Kočo erst seit den 1980er Jahren den Schutz der örtlichen Behörden. Die archäologische Erschließung läuft gerade an.
Wie ein gigantisches 3D-Puzzle
Zwei Weltkriege, geteilte Sammlungen und lange fehlende Ressourcen zollten allerdings auch in Berlin ihren Tribut, fügt die Kuratorin hinzu: „Grünwedel und Le Coq konnten die Sammlung nur ansatzweise erforschen. Die letzte Turfan-Expedition endete zum Beginn des Ersten Weltkriegs. 1943 evakuierte das Museum die Depots. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Teile der Sammlung nach Russland abtransportiert. Was in Berlin blieb, war 1977 erstmals Thema einer Doktorarbeit. Im gleichen Jahr wurden 226 Objekte restituiert, aber in Leipzig ungeöffnet eingelagert. Zurück nach Berlin gelangten sie erst 1992. Von Ausstellen konnte so lange nicht die Rede sein.“
Die Vorbereitungen für das Humboldt Forum haben das geändert. Mit dem Umzug des Museums von Dahlem in Berlins Mitte geht ein verändertes Ausstellungskonzept einher. „Dazu werden auch solche Objekte restauriert und neu erforscht, die lange im Depot lagern mussten“, betont Russell-Smith. Mit Klaas Ruitenbeek, dem Direktor des Museums, habe sie deshalb zunächst versucht zu rekonstruieren, wie die Holzfragmente und Gebälkteile ursprünglich aufgebaut gewesen sein mussten. „Nachdem wir zum ersten Mal zusammengehörige Teile identifiziert und im Depot arrangiert hatten, waren wir elektrisiert“, erinnert sie sich. Die Euphorie jenes Moments sieht man ihr noch immer an.
Realitätscheck in Kočo
Gefördert von der Gerda Henkel Stiftung initiierte das Berliner Team ein zweijähriges Projekt, das auch nach Kočo führte. „Grünwedels Karte der Ruinen wird bis heute auch in China benutzt. Allerdings hat er die Fundorte der Objekte nicht immer genau beschrieben und auch keine exakten Messungen durchgeführt. Es sind lediglich topologische Zeichnungen. Man muss sich das vorstellen wie einen U-Bahn-Plan, der Stationen aufzählt aber nicht die Distanzen zentimetergenau wiedergibt. Wo welches Gebäude genau stand, ist nicht immer leicht zu sagen.“
Als wichtige Korrektive dienten verbesserten Satellitenkarten von Kočo, die am Japanese National Institute of Informatics 2013 von Yoko Nishimura und Erika Forte angefertigt worden waren. Auf dieser Basis erarbeiteten die Berliner eine Bestandsaufnahme der Bauten in der Ruinenstadt. Essentiell waren dabei Grünwedels Fotografien, aus Kočo. „Grünwedel arbeitete mit Glasnegativen. Dazu transportierte er hunderte Glasplatten durch die Wüste und baute sich vor Ort ein Fotolabor auf. Die dazu nötigen Chemikalien hatte er eigens aus Deutschland mitgebracht“, so Russell-Smith. Eine dieser Glasplatten liegt dezent in einer kleinen Vitrine am Eingang der Ausstellung. Doch die Qualität der Aufnahmen ist so gut, dass sich einzelne Bauteile problemlos erkennen lassen.
Abzüge von damals und heute in der Ausstellung verdeutlichen den Wandel: Viele Gebäude, die Grünwedel noch um 1914 fotografieren konnte, sind weiter verfallen oder bereits verschwunden. Restauratoren aus China versuchen, das Übrige zu retten. Gemeinsam mit Forschern der örtlichen Turfan Research Academy und dem Archäologen Giuseppe Vignato (Peking Universität) war es dennoch möglich, Grünwedels alte Grundrisszeichnungen zu verfeinern. Vignato konnte zudem einige Gebäude in Kočo identifizieren, die noch Spuren von Holzanbauten zeigen.
Ein Sprungbrett für Kooperation
Wie vielfältig das Leben in und um diese Gebäude war, zeigen Manuskripte, beschriftete Holzobjekte und Malereien in der Ausstellung. Mit Experten der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen und der Turfan-Forschungsgruppe der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften konnten Inschriften entschlüsselt und getrennte Fragmente einander zugeordnet werden.
„Weltweit ist die Zahl derer, die die alten Sprachen der Seidenstraße noch beherrschen äußerst überschaubar“, betont Russell-Smith. Gleichzeitig befänden sich bedeutende Sammlungen etwa in China, Indien, Japan, Korea, Deutschland, Russland, den USA, Großbritannien, und Frankreich. Ohne enge internationale Kooperation sei die Erforschung der Region deshalb unmöglich. In den Augen Russell-Smiths sei es deshalb essentiell, sich zu vernetzen: „Wir möchten den internationalen Austausch ausbauen. Während des Projekts hatten wir beispielsweise Chen Aifeng von der Turfan Research Academy in Westchina für drei Monate zu Gast und an Workshops 2015 und 2016 nahmen weitere Mitglieder seines Teams teil. Das war ein guter Anfang.“ Das Auswärtige Amt hilft nun dabei, die Beziehungen zu chinesischen und indischen Behörden und Institutionen zu vertiefen. Weitere gegenseitige Besuche sind in Vorbereitung. Gemeinsame Publikationen sind geplant.
Blaupause für das Humboldt Forum
Dank des Projekts werden die rekonstruierten Holzkonstruktionen dauerhaft unterhalb der Kuppel des Stadtschlosses zu sehen sein – ergänzt um weitere Architekturteile, auf die man nun aus Platzgründen verzichten musste. Damit nicht genug: „Ein Museum muss forschen, damit es die Geschichte der Objekte adäquat beleuchten kann, aber Forschung zu vermitteln ist ebenfalls wichtig“, meint die Kuratorin. Für die Seidenstraßen-Ausstellung im Humboldt Forum konzipiert sie derzeit ein „Labor“, in dem laufende Untersuchungen und neueste Ergebnisse vorgestellt werden sollen.
„Wir haben uns bei unserer letzten Ausstellung bewusst für eine Forschungsausstellung entschieden. Das Informationsvolumen rund um die Objekte ist gewaltig und nur schwer mit konventionellen Wandtexten zu vermitteln. Wir haben ein gutes Gefühl bekommen, was funktioniert und was nicht. Aus den Ergebnissen speist sich ein guter Teil der Inhalte, die wir für Apps und Medienstationen im Humboldt Forum verarbeiten werden.“
Beim Blick in ihre letzte Ausstellung am alten Standort, aber in Gedanken bereits in Berlin-Mitte, kommt sie dann noch ins Schwärmen: Wirklich bahnbrechend wäre es, wenn man durch engere internationale Kooperation erreichen könnte, dass Objekte aus den weltweit verteilten Sammlungen im Museum digital abgerufen und mit dem jeweiligen Exponat verglichen werden könnten. Erst so käme man der Dynamik und Komplexität dieser einzigartigen Kulturregion ein Stück näher.
Das Gespräch führte Silvia Faulstich.
Projektdaten
„Medieval pre-Islamic architecture in Qočo on the Northern Silk Road: architectural, archaeological, art historical and scientific evaluation of a unique and unknown collection of wooden architectural elements in the Museum für Asiatische Kunst” (2013-2015)
Förderung: Gerda Henkel Stiftung
Projektverantwortliche: Prof. Dr. Klaas Ruitenbeek, Dr. Lilla Russell-Smith (Museum für Asiatische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin)
Der Begleitband zum Projekt ist ab sofort erhältlich: Lilla Russell-Smith, Ines Konczak-Nagel (hgg.): „The Ruins of Kocho: Traces of Wooden Architecture on the Ancient Silk Road““ Berlin: SMB, 2016, ISBN 978-3-88609-786-9.
Die zugehörige Ausstellung „Die Ruinen von Kočo: Spuren von Holzarchitektur der alten Seidenstraße“ ist im Museum für Asiatische Kunst, Lansstraße 8 zu sehen. Ab dem 8. Januar 2017 schließt das Museum für den Umzug ins Humboldt Forum. Zum Abschluss werden die Öffnungszeiten von Freitag, 6. Januar, bis Sonntag, 8. Januar 2017, auf täglich 10 bis 20 Uhr ausgeweitet.
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