Beispiel an Zivilcourage: Willy Kurth und die Aktion „Entartete Kunst“
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Die Kunsthistorikerin und Autorin Anita Beloubek-Hammer schrieb ein Buch über die Folgen der Aktion „Entartete Kunst“ der Nazis im Kupferstichkabinett. In unserem Blog erklärt sie, wie Kustos Willy Kurth damals Meisterblätter der Moderne rettete
Text: Anita Beloubek-Hammer
Der Kampf gegen die moderne Kunst war das erklärte Ziel von Hitlers Kulturpolitik. 1937 eskalierte dieser Kampf mit der Beschlagnahme von rund 21.000 Werken der Moderne, die den Nationalsozialisten als „entartet“ galt. Aus über 100 Museen in Deutschland wurden damals Gemälde, Skulpturen, Zeichnungen und Druckgraphiken des Expressionismus, Futurismus, Kubismus sowie sozialkritische und von jüdischen Künstlern stammende Werke konfisziert, um sie zu zerstören bzw. ins Ausland zu verkaufen.
In zahlreichen Museen sind diese Ereignisse aufgearbeitet und publiziert. Für das Berliner Kupferstichkabinett, das seinerzeit die beste Sammlung zur modernen Graphik besaß, ist dies jetzt erstmals erfolgt: Die durch den Zweiten Weltkrieg veranlasste Teilung der Berliner Staatlichen Museen in einen Ost- und einen Weststandort, die damit verbundene willkürliche Trennung von Künstlerkollektionen und Erwerbungsunterlagen, dazu das Verbot der Zusammenarbeit durch die Ostbehörden verhinderten bis zur Wiedervereinigung Deutschlands eine gültige Aufarbeitung des historischen Geschehens.
Ausgangspunkt der Recherche war der wichtige Hinweis von Hans Möhle (1903-1976), des Direktors des Westberliner Kupferstichkabinetts, in einem Aufsatz zur Geschichte des Kabinetts 1967 im Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz. Möhle gehörte seit 1934 diesem Museum an und beklagte dessen Verlust von „etwa 650 Blatt hervorragender moderner Druckgraphik“ durch die „Nazi-Aktion“, fügte jedoch hinzu:
„Zu wenig bekannt ist eine bei diesem finsteren Geschehen vollbrachte Tat großen Mutes, kluger List und leidenschaftlichen Bekenntnisses: Willy Kurth entzog zusammen mit dem jungen Wolfgang Schöne, dem heutigen Ordinarius für Kunstgeschichte an der Universität Hamburg, dem barbarischen Zugriff der Kunstfeinde etwa ein halbes Hundert Blätter hervorragender expressionistischer Graphik, insbesondere Ernst Ludwig Kirchners, des bedeutendsten der ‚Brücke‘-Künstler.“
Dass es sich um ein Mehrfaches an geretteten Graphiken handelte, konnte Möhle damals nicht wissen. Er wartete mit seiner Offenbarung bis zum Tod des alten Direktors Friedrich Winkler (1888-1965), der von 1933 ohne Unterbrechung bis 1957 im Amt war, 1965 verstarb und von Kurths Rettungsaktion nie etwas erfahren hat.
Das Berliner Kupferstichkabinett vor und nach 1933
Willy (Wilhelm) Kurth, 1881 als Sohn eines Beamten in Berlin geboren, trat 1913 in das Königliche Kupferstichkabinett im Neuen Museum auf der Museumsinsel ein. Zuvor hatte er je ein Studium der Malerei an der Kunstakademie in Berlin sowie der Kunstgeschichte bei Heinrich Wölfflin an der Universität ebenda absolviert. Seine Dissertation war einem Thema zur italienischen Renaissance gewidmet. 1924 wurde er Kustos der Neuen Abteilung (Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts) als Nachfolger von Curt Glaser (1879-1943), der als Direktor an die Kunstbibliothek gewechselt war.
Auf- und Ausbau der modernen Abteilung, verbunden mit einer intensiven Vortragstätigkeit in ganz Deutschland, stellten das Hauptaufgabengebiet von Kurths Wirken bis 1933 dar. Dem Spektrum der von Glaser bevorzugten Künstler – Edvard Munch, Ernst Ludwig Kirchner, Max Beckmann -, die auch Kurth schätzte, fügte dieser jedoch auch Künstler wie etwa Wassili Kandinsky und Pablo Picasso hinzu, die Glaser als „Dekorateure“ und „Eklektiker“ abgelehnt hatte, ebenso wie die der Sozialkritik verpflichteten Käthe Kollwitz, Otto Dix und George Grosz. Kurths geistig-politischer Standort war links. In diesem Zeichen wirkte er auch neben seinem Museumsamt ein Jahrzehnt bis 1923 als Gründer und Akteur einer „Akademie für Jedermann“ in der Tuchmacherstadt Forst/Lausitz mit populärwissenschaftlichen Vorträgen und Aktivitäten. 1930 erhielt er den Professorentitel.
Eklat um die Erwerbungen
Das Jahr 1933 bedeutete dann mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten einen entschiedenen Bruch der bisherigen Museumspraxis – doch Kurth fand Wege, auch noch in den folgenden Jahren Expressionisten und andere Moderne zu erwerben – was hier schon erwähnt sei. Die progressiven Leiter der Staatlichen Berliner Museen wurden 1933 entlassen: Wilhelm Waetzoldt (1880-1945) als Generaldirektor und Ludwig Justi (1876-1957) als Direktor der Nationalgalerie. Im Kupferstichkabinett wurde im August 1933 Friedrich Winkler als Direktor eingesetzt, ein Experte der alten Kunst mit Distanz zur Moderne. Er war sieben Jahre jünger als Kurth und in vielerlei Hinsicht ein Antipode zu diesem. Ein Mitglied der NSDAP war er nicht, stand aber dem Nationalsozialismus positiv gegenüber, wofür es zahlreiche schriftliche Zeugnisse gibt. Anders Willy Kurth, der seine Opposition zu den Nationalsozialisten mehrfach bezeugt hat: Etwa Hermann Göring gegenüber, dem Kurth Bilder für sein Karinhall verweigert hat, als dieser 1934 dafür das Kupferstichkabinett besuchte. Eine Anfrage Görings an den Generaldirektor der Museen zur politischen Zuverlässigkeit von Kurth war die Folge. Als 1935 Max Liebermann zu Grabe getragen wurde, hat Kurth als Einziger aus den Staatlichen Museen Berlin teilgenommen.
Durch eine Veränderung des Erwerbungsmodus ab 1934 wagte es Kurth noch bis zum Frühjahr 1937, unter Einsatz mancher Tricks Werke der verfemten Moderne zu erwerben. Mit Friedrich Winkler war es sogleich nach dessen Amtsantritt im Kupferstichkabinett zum Eklat gekommen, den Kurth provozierte, als dieser die Neue Abteilung vom Kabinett abtrennen und der Nationalgalerie angliedern wollte, weil er dort mehr Verständnis für die Moderne voraussetzte. Als Winkler heftig dagegen protestierte, denn damit war auch ein spezieller Erwerbungsfonds von 5000 Reichsmark verbunden, verfügte das zuständige Ministerium einen Kompromiss dahingehend, dass Kurth in puncto Erwerbungen dem Direktor der Nationalgalerie, damals Eberhard Hanfstaengl, unterstellt wurde. Seine Erwerbungen sollten jedoch in die Sammlung des Kupferstichkabinetts kommen. Winkler empfand diese Lösung als Affront, verkündete das Ende der Neuen Abteilung im Kupferstichkabinett und ließ den zugehörigen Studiensaal schließen. Trotz dieser Demütigung für Kurth gestaltete sich für ihn die neue Situation positiv, denn Hanfstaengl ließ ihm bei den Neuerwerbungen relativ freie Hand. Dennoch griff Kurth dabei auf manchen Trick zurück, zum Beispiel in dem Erwerbungsprotokoll vom Februar 1936, das unter anderem eine anonyme „Mappe mit Holzschnitten“ verzeichnet. Ein Blick ins Inventarbuch offenbart dann den Eintrag: „E. L. Kirchner, Absalom (sehr selten)“. Die Zivilcourage von Kurth erreichte dann im Jahr 1937, als die Nationalsozialisten ihren Großangriff gegen die moderne Kunst durchführten, einen Höhepunkt.
Das Jahr 1937: Beschlagnahmeaktion „Entartete Kunst“ und Rettungstat von Willy Kurth
Die vom Propagandaministerium (Goebbels) beauftragte Beschlagnahmeaktion erfolgte in zwei Kampagnen. In der ersten Aktion wurden Exponate für die im Juli 1937 in München eröffnete Feme-Ausstellung „Entartete Kunst“ konfisziert. Das Berliner Kupferstichkabinett verlor damals circa 113 Graphiken inklusive der zugehörigen Karteikarten. Weder der Direktor noch Kurth waren im Museum anwesend. Die einen Monat später erfolgte zweite Beschlagnahmewelle zielte auf die Herausgabe aller Werke des sogenannten „Kulturverfalls“. Kurth war im Vorfeld sehr besorgt und befürchtete seine Entlassung – wie es kurz zuvor Direktor Hanfstaengl von der Nationalgalerie geschehen war. Direktor Winkler war in diesen Tagen bei seinen Vorgesetzten bemüht, Kurth aus dem Kupferstichkabinett zu entfernen. An den Generaldirektor schrieb er unter anderem: Kurth „galt von jeher als Fürsprecher und Propagandist des Expressionismus und ist es noch.“
In dieser angespannten Atmosphäre wagte Kurth den von Hans Möhle überlieferten Coup der Rettung. Als die zweite Beschlagnahmekommission am Samstag, dem 14. August 1937, im Kupferstichkabinett erschien, wurde bereits beim Vorlegen der Werke manipuliert, wie der von Kurth herangezogene Volontär der Nationalgalerie Wolfgang Schöne (1910-1989) seinem ehemaligen Vorgesetzten, dem zwangsbeurlaubten Eberhard Hanfstaengl, berichtete:
Schöne erwähnte enttäuscht das unterwürfige Verhalten manches Aufsehers, hob aber auch hervor:
„Es ist aber schön, dazwischen auch Menschen zu treffen, die auch in schwierigen Augenblicken sich selbst treu bleiben. So Prof. Kurth, der alles getan hat, was er nur tun konnte und mit dem zusammenzuarbeiten eine Freude war. Näheres mündlich.“
Hinter diesen kryptischen Andeutungen verbarg sich die Aktion der Rettung, die nach dem Weggang der Kommission erfolgte. Da die Kommission die etwa 600 beschlagnahmten Graphiken nur gezählt hatte, um sie in den nächsten Tagen abholen zu lassen, ohne konkrete Werkangaben zu notieren, tauschten Kurth und Schöne bedeutende der beschlagnahmten Werke – vor allem Figürliches und Farbiges – gegen belanglosere Motive – etwa Landschaften –, zudem setzten sie Dubletten ein und haben augenscheinlich weniger bedeutende Künstler – zum Beispiel Paul Kleinschmidt und Rudolf Grossmann – verstärkt zu den beschlagnahmten Werken gelegt. Nur die festgehaltene Zahl der Beschlagnahmen musste stimmen.
„Jeder, der da heute ehrlich mitkämpft, wird in die Geschichte eingehen“
Als Kurth in den Tagen danach eine Liste der beschlagnahmten Werke für die Reichskammer der bildenden Künste zusammenstellen musste, war auch noch Gelegenheit für Täuschungsmanöver. Im Inventar finden sich bei zahlreichen Graphiken der Moderne Einträge wie: „verschollen“ oder „als Dublette ausgeschieden“ – die Werke sind jedoch vorhanden! Die der Beschlagnahme entzogenen Werke fanden Mitarbeiter des Kabinetts-Ost Jahrzehnte später versteckt in Mappen zur alten Kunst und zur Reproduktionsgraphik.
So blieben dem Kupferstichkabinett mehrere Hundert Graphiken der Moderne erhalten. Eine konkrete Zahl ist schwierig zu nennen, weil das Vorgehen der Beschlagnahmekommissionen recht willkürlich war und darum schwer einzuschätzen ist. Das betrifft besonders die drei Künstler L. Corinth, E. Munch und K. Kollwitz, von denen bereits damals fast das gesamte graphische Werk mit jeweils über 200 Blättern im Kabinett vorhanden war und nur wenig der Aktion zum Opfer fiel. Weitere Schwerpunkte der Rettung waren: E.L. Kirchner (über 80 Werke), M. Beckmann (88), E. Nolde (49), E. Heckel (43), W. Lehmbruck (22), E. Barlach (170 – vorwiegend aus Mappen), O. Kokoschka (40), P. Picasso (14 Einzelwerke und 30 Illustrationsradierungen).
Nur einen Monat nach diesen für Kurth gefahrvollen Ereignissen besuchte er zusammen mit dem Sammler Carl Hagemann Ernst Ludwig Kirchner in dessen Domizil in den Schweizer Bergen – was ebenfalls als Zeichen großen Mutes gewertet werden muss. Kirchner schrieb in Vorfreude auf diesen Besuch an den Kunsthändler Curt Valentin in New York:
„Jetzt kommen, morgen, Dr. Hagemann und Prof. Kurth zu uns. Ich freue mich sehr darauf. Das sind auch so alte Freunde, die sich nicht irre machen lassen. Glauben Sie mir, es geht weiter. Ernste Dinge im geistigen Leben kann man nicht mit Gewalt kaputt machen. Jeder, der da heute ehrlich mitkämpft, wird in die Geschichte eingehen dieser Zeit.“
Weder Kirchner noch Kurth haben diese Genugtuung noch zu Lebzeiten erfahren: Kirchner schied wenige Monate später, im Juni 1938, durch Suizid aus dem Leben. Willy Kurth starb 1963 in Potsdam, DDR, ohne dass seine mutige Tat bekannt geworden wäre, denn die von ihm gerettete Moderne wurde in den Anfangsjahren der DDR erneut diffamiert, nunmehr als formalistisch und bürgerlich dekadent. So hinterließ Kurth seinen Studenten an der Humboldt-Universität, wo er von 1946 bis ins Todesjahr 1963 lehrte, lediglich den vieldeutigen Ausspruch: „Auf mein Grab schreibt einmal nicht, was ich getan, sondern was ich verhindert habe.“
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