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Das Geheimnis der Dame mit Kind: Entdeckung in der Alten Nationalgalerie

Wie spannend die Museumsarbeit sein kann, erfuhr Claudia Kudinova als Praktikantin in der Alten Nationalgalerie. Denn sie stieß dort auf Fritz Rheins Gemälde „Dame mit Kind“, unter dem die Restauratorin Kerstin Krainer gleich zwei versteckte weitere Arbeiten Rheins entdeckt hatte.

Text: Kerstin Krainer & Claudia Kudinova

In ein weißes, luftiges Kleid gehüllt sitzt die Frau ganz gelassen auf einem Sofa. Ihre Haare hat sie aufwendig hochgesteckt, in ihrer Linken ruht ein Fächer. Unverhohlen, beinahe lasziv fixiert sie die Betrachtenden mit ihren dunkel leuchtenden Augen. Doch 100 Jahre lang erwiderte niemand ihren Blick – denn die „Dame auf dem Sofa“ war verborgen hinter einer anderen Figur.

Das Portrait „Dame mit Kind“ wurde 1910 von Fritz Rhein geschaffen. Rhein wurde 1873 in Stettin geboren und gehörte als Landschafts- und Portraitmaler sowohl der Berliner als auch der Münchner Secession an, bis er sich 1914 der Freien Secession mit Max Liebermann als Ehrenpräsidenten anschloss. Auf dem Bild „Dame mit Kind“ porträtierte er seine Ehefrau Hildegard, geborene Caspari, mit dem etwa zweijährigen Sohn Peter und verbindet so eine intime Familienszene mit einem repräsentativen Gesellschaftsportrait. In dem bräunlich pastosen Kolorit des Gemäldes spiegelt sich Rheins Bewunderung für holländische Künstler wie den Barockmaler Frans Hals (ca. 1582–1666) wider, dessen Werk Rhein auf einer Hollandreise 1906 eingängig studiert hatte. Zugleich zogen Rheins Zeitgenossen auch stets eine Parallele zwischen ihm und den französischen Impressionisten. Felix Kuetgens, der ehemalige Direktor der Städtischen Museen in Aachen, bezeichnete Rhein in einer zeitgenössischen Kunstzeitung gar als deutschen Eduoard Manet.

Fritz Rhein: Dame mit Kind, 1910 © Staatliche Museen zu Berlin, Alte Nationalgalerie / Andres Kilger
Fritz Rhein: Dame mit Kind, 1910 © Staatliche Museen zu Berlin, Alte Nationalgalerie / Andres Kilger

Bereits 1917 gelangte Rheins „Dame mit Kind“ durch einen Ankauf aus der Großen Berliner Kunstausstellung, die in diesem Jahr kriegsbedingt in Düsseldorf stattfand, in die Sammlung der Nationalgalerie. Doch erst rund 100 Jahre später, nachdem das Porträt bereits 2006 konservatorisch behandelt worden war, konnte dessen außergewöhnliches Geheimnis zu Tage gebracht werden: Hinter der „Dame mit Kind“ verbarg sich eine weitere Leinwand. Drei Jahre später gelang es der Gemälderestauratorin der Alten Nationalgalerie Kerstin Krainer die beiden Leinwände voneinander zu separieren und das querformatige Portrait der „Dame auf dem Sofa“ ans Tageslicht zu bringen. Ein Gespräch mit den Nachfahren des 1948 verstorbenen Malers lässt vermuten, dass es sich auch bei der Dame auf dem Sofa um ein Portrait Hildegards handelt, das die junge Frau bereits 1905, ein Jahr vor der Vermählung mit Rhein, zeigt.

Eine versteckte Frauenfigur

Die „Dame auf dem Sofa“ weist einige milchig-weiße Schleier auf der Bildoberfläche auf, die unter anderem auf einen ursprünglich versetzt angelegten linken Arm hindeuten. Diese als „Pentimenti“ bezeichneten Veränderungen entstehen durch Korrekturen, die der Künstler während des Malens an der Darstellung vornimmt. Sie begegnen aufmerksamen betrachter*innen in zahlreichen Gemälden und sind Teil des kreativen Malprozess.

Auf Fritz Rheins Bild gibt es aber noch ganz andere Spuren einer Überarbeitung: Auf der Rückseite des wiederentdeckten Gemäldes finden sich Farben, die weder mit der „Dame auf dem Sofa“ noch mit der „Dame mit Kind“ korrespondieren. Dreht man das Querformat um 90 Grad, erkennt man eine auf einem Stuhl sitzende Frau in einem roten Kleid vor grünem Hintergrund. Offensichtlich versteckt die „Dame auf dem Sofa“ also ihrerseits noch eine weitere Komposition mit weiblicher Sitzfigur, die allerdings übermalt wurde. Ein solches Vorgehen eines Künstlers hat in der Regel eher pragmatische – meist wirtschaftliche – Gründe, da hier eine verworfene Komposition vollständig überdeckt und der Bildträger noch einmal für ein neues Bild genutzt wird. Damit die erste Komposition die folgende Malerei nicht stört, wird meist eine weitere Grundierung, zumindest aber eine abdeckende Farbschicht aufgetragen. Übermalungen dieser Art kommen gelegentlich, wenn auch nicht sehr häufig vor.

Ganz ungewöhnlich hingegen ist das spätere Überspannen eines bereits vollendeten Gemäldes mit einer weiteren bemalten Leinwand. Hierfür gibt es aus maltechnischer Sicht keinen nachvollziehbaren Grund. Die doppelten Leinwände dienen bei Rheins Gemälden auch nicht etwa der Verstärkung des Bildträgers im Sinne einer Doublierung, bei der aus konservatorischen Gründen zwei Gewebe miteinander verklebt werden. Beide Bilder waren ohne Verklebung übereinander gespannt und ließen sich auch 100 Jahre später noch problemlos voneinander trennen.

Fritz Rhein: Dame auf dem Sofa, ca. 1905 © Staatliche Museen zu Berlin, Alte Nationalgalerie / Andres Kilger
Fritz Rhein: Dame auf dem Sofa, ca. 1905 © Staatliche Museen zu Berlin, Alte Nationalgalerie / Andres Kilger

Viele Fragen bleiben offen

Fritz Rhein hatte die „Dame auf dem Sofa“ bereits signiert und mit 1905 datiert; ein Anzeichen dafür, dass der Künstler das Gemälde für abgeschlossen und vollwertig hielt. Auffällig ist zudem, dass das Bildformat der „Dame mit Kind“ ursprünglich wesentlich größer angelegt war. Darauf deuten die bemalten Umschläge auf der Bildrückseite hin. So muss Rhein die „Dame mit Kind“ auf einem größeren Keilrahmen begonnen und erst im Anschluss über den kleineren Keilrahmen der „Dame auf dem Sofa“ gespannt haben, auch wenn dies eine Formatverkleinerung bedeutete.

Die Entdeckung der „Dame auf dem Sofa“ wirft Fragen auf: Wollte Fritz Rhein für die „Dame mit Kind“ eventuell nur den Keilrahmen und den dazu passenden Zierrahmen der „Dame auf dem Sofa“ nutzen und passte deshalb das Format dem früheren Gemälde an? Oder sollte das Portrait tatsächlich dauerhaft vor der Nachwelt verborgen bleiben? Falls ja, weshalb? Und falls der Künstler das Gemälde als misslungen empfand, wieso zerstörte er es nicht oder verwendete die Leinwand für ein neues Gemälde? Ist es am Ende einfach die intime Darstellung seiner damaligen Verlobten, die er vor den Augen der Öffentlichkeit schützen wollte und daher hinter einem repräsentativen Gesellschaftsportrait verbarg? So sehr der ungewöhnliche Fund die Fantasie auch befördern mag – Fritz Rheins Beweggründe, die sowohl pragmatischer, künstlerischer als auch persönlicher Natur sein könnten, lassen sich heute nicht mehr nachvollziehen.

Dennoch bringt die Entdeckung des Gemäldes Bereicherungen mit sich: So wurde durch den Fund der „Dame auf dem Sofa“ nicht nur die Sammlung der Nationalgalerie um ein weiteres beeindruckendes Gemälde des frühen 20. Jahrhunderts erweitert, sondern auch das Oeuvre von Fritz Rhein um ein bis zuletzt unbekanntes, vollendetes Gemälde ergänzt.
Der Öffentlichkeit konnte die „Dame auf dem Sofa“ bislang noch nicht präsentiert werden, zuerst müssen alle Untersuchungen und Restaurierungsarbeiten abgeschlossen werden. Im Anschluss daran könnte die „Dame auf dem Sofa“ aber ausgestellt werden – damit würde sie endlich ein Publikum finden, das ihren unverhohlenen Blick erwidern kann.

Kommentare

    Kommentare

  • Guten Tag,
    heute kamen wir nach dem Besuch des Bode-Museums an der Alten Nationalgalerie vorbei – wir, das sind mein Mann Karl Backhaus und ich, Maria Backhaus.
    Vor dem Gebäude saß mit einer Kopie eines Gemäldes die Restauratorin Kerstin Krainer ( habe ich gerade erst durch meine Recherche herausbekommen!), eine andere junge Frau fragte, ob wir 10 Minuten Zeit hätten… ich sah auf einem Tisch zwei Sanduhren stehen und war neugierig…
    Frau Krainer wollte unsere Fragen zur Restauration von Gemälden beantworten … hatten wir welche?? Im ersten Moment nicht, denn wie selbstverständlich nimmt man bei einem Museumsbesuch erst einmal hin, dass die Gemälde tip top gepflegt sind – aber dann ergab die erste Frage viele weitere – und wir waren sehr beeindruckt von der kompetenten und zugewandten Art der Restauratorin, die auch wenig sachkundige Fragen super geschickt mit interessanten Aspekten versehen beantwortete.
    Ich bin immer noch so begeistert, dass ich die Gelegenheit zu schreiben nutze und herzlich bitte, diesen Kommentar an Frau Krainer weiterzuleiten.
    Ein herzliches Dankeschön!
    Maria Backhaus-Görges

    • Liebe Frau Backhaus-Görges,

      haben Sie vielen Dank für Ihren Kommentar! Wir freuen uns, dass Sie ein schönes Erlebnis hatten und werden Ihren Kommentar auf jeden Fall an Frau Krainer weiterleiten.

      Beste Grüße aus der Redaktion!

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