„Ein Museum ist kein Mausoleum.“ Zum 10. Todestag von Heinz Berggruen
Als ehemaliger Leiter des Museums Berggruen hat Dr. Hans Jürgen Papies den Sammler Heinz Berggruen persönlich kennen gelernt. Bemerkenswert war für ihn Berggruens besonderes Verhältnis zum Werk von Henri Matisse, das exemplarisch für seinen Zugang zum Sammeln und zur Kunst stand.
Henri Matisse suchte man vergebens, als die Sammlung Berggruen im September 1996 erstmals im Stülerbau in Charlottenburg der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Unter den 113 Werken der damals noch privaten Kunstsammlung des gebürtigen Berliners Heinz Berggruen fehlte der wohl bedeutendste französische Maler des 20. Jahrhunderts.
Zwar ergaben schon die Werke der hier vertretenen Künstler ein charakteristisches Bild von einer Sammlungs-Konzeption, die sich erst allmählich herausgebildet hatte aus den anfangs eher zufällig für sich selbst einbehaltenen Werken zur Ausschmückung der Wohnräume in Paris, Gstaad, London und New York. Doch als charakteristische Eigenart dieser privaten Sammlung konnte man schon da die Eingrenzung vornehmlich auf Unikate weniger Vertreter der klassischen Moderne und ihrer Vorläufer erkennen – sowie die Beschränkung auf eher intime, also kleinere und mittlere Bildformate und die permanente, wenn auch behutsame Ergänzung der Sammlung.
Der Umstand, dass Matisse in dieser Erstpräsention der Sammlung Berggruen fehlte, musste dem Informierten erstaunlich erscheinen. Denn es war bekannt, dass Berggruen neben Picasso und Klee auch Matisse ganz besonders schätzte. Und es gehört ja auch zu seinen kunstgeschichtlichen Verdiensten als Kunsthändler (die Bezeichnung „Galerist“ hasste er) im Paris der Nachkriegszeit, im Jahre 1953 als einer der Ersten die collagierten Papierschnitte („gouaches découpée“) von Matisse in seiner Galerie in der rue de l’Université 70 ausgestellt zu haben – und zwar mit großem Erfolg, während andere Kunsthändler wie sein eigener Sohn Pierre und Kunstkritiker wie Christian Zervos das damals als „senilen Alterskram“ abtaten.
Vorläufer der Moderne als Sammlungsgebiet
Auch waren doch zeitweise etwa 13 Arbeiten von Matisse in der privaten Sammlung Berggruen vorhanden. Und so wurden ja auch bei der ersten Gesamtausstellung der Sammlung 1988 in Genf acht vornehmlich kleinere und mittlere Gemälde, aber auch das großformatige Tafelbild „Die Laute“ von 1943, sowie zwei Zeichnungen, eine Plastik und eine Farbpalette von Matisse ausgestellt.
Hatte denn Berggruen diese Arbeiten für Berlin bloß zurückbehalten? Nein, sie waren tatsächlich nicht mehr in seiner Sammlung vorhanden. Und das kam so: Berggruen schätzte – als Kunstsammler – neben einer Hand voll von Vertretern der Klassischen Moderne auch einige ihrer Vorläufer. Dazu gehörten vor allem Paul Cézanne und Vincent van Gogh, daneben aber auch George Seurat, während er Paul Gauguin weniger akzeptierte.
Die große Wertschätzung Berggruens für Seurat – manchem vielleicht erstaunlich – zeigt sich auch daran, dass dieser in der Ausstellung 1988 in Genf mit acht sehr eindrucksvollen Kreidezeichnungen und drei kleineren und zwei größeren Gemälden vertreten war, darunter die bedeutende zweite Version von „Le Poseuses“ (1888). Auch Cézanne war in der Sammlung gut vertreten; bereits 1962 hatte Berggruen ein „Porträt der Madame Cézanne“ (um 1885) erworben – für den scheinbar zu hohen Preis von 40.000 Schweizer Franken. Im Weiteren folgten mehr als eine Hand voll Gemälde Cézannes, darunter „Mont Sainte-Victoire“ (um 1888/90) sowie Aquarelle und Zeichnungen.
Van Gogh oder Matisse?
Was Berggruen dann offenbar immer nachdrücklicher zur Ergänzung seiner Sammlung verfolgte – gerade nach der Gesamtpräsentation 1988 in Genf –, war der Wunsch, eine repräsentative Arbeit auch von van Gogh zu erwerben. Nun war allerdings zu dieser Zeit ein Gemälde von van Gogh (von dem zu dessen Lebzeiten fast keines veräußert werden konnte) nicht gerade beim Kunsthändler „um die Ecke“ zu erwerben, auch nicht in Paris. Denn in diese Zeit fiel im Mai 1990 die spektakuläre Versteigerung des Gemäldes „Porträt des Dr. Gachet“ für 82,5 Mio Dollar bei Christie’s. Diese wurde zu einem Maßstab für weitere Verkäufe.
Der renommierte New Yorker Kunsthändler William Acquavella, mit Berggruen befreundet, bot ihm eines Tages das großformatige Gemälde „Herbstgarten“ von 1888 an, also aus van Goghs fruchtbarster Schaffenszeit in der Provence. Das Gemälde war schon vor dem ersten Weltkrieg in die Berliner Kunsthandlung von Paul Cassirer gekommen und gelangte von da am gleichen Ort in die Kunstsammlung des Paul von Mendelssohn-Bartholdy.
Und auch Ludwig Justi, damaliger Direktor der Nationalgalerie, bezog das Gemälde 1921 in seine Ausstellung „Van Gogh-Matisse“ im Kronprinzenpalais ein. Nach verschiedenen internationalen Stationen war es schließlich zu Acquavella gelangt. Der bot 1988 Berggruen das Gemälde an, allerdings unter der Bedingung, dass Berggruen ihm statt eines Geldbetrages alle seine verfügbaren Arbeiten von Matisse übereignet. Und so geschah es. Berggruen ging dabei von der Überlegung aus, es werde wohl einfacher sein, „mal wieder einen Matisse als einen van Gogh zu erwerben“.
„Ein Museum ist kein Mausoleum“
Und tatsächlich: Schon ein Jahr nach Eröffnung des Hauses hat Berggruen die großformatige Zeichnung von Matisse „Die erfüllte Stille der Häuser“ (1947) sowie den collagierten Papierschnitt „Vegetabile Elemente“ (1947) erworben. Dem folgte innerhalb weniger Jahre ein ganzer Werkblock an Arbeiten von Matisse, darunter fünf Gemälde, sieben der auf dem Kunstmarkt seltenen Papierschnitte („Gouaches découpée“), fünf Bleistift- und Tuschezeichnungen und zwei frühe Plastiken.
Innerhalb kurzer Zeit also fast 20 verschiedene Arbeiten von Matisse in der Ständigen Ausstellung präsent gemacht zu haben (einige Arbeiten blieben dabei im Besitz der Familie Berggruen), das grenzt schon fast an ein Wunder, besonders wenn man bedenkt, dass die Direktoren der Nationalgalerie es weder vor noch nach 1945 vermocht haben, auch nur eine einzige Arbeit von Matisse zu erwerben.
Seitdem die Sammlung Berggruen ihre ständige Heimstatt im Stülerbau in Charlottenburg gefunden hat, hat Berggruen generell – nun die Gesamtheit der ausgestellten Werke ständig vor Augen – gezielte Neuerwerbungen insbesondere von Picasso und Klee und eben auch von Matisse getätigt, um damit bestimmte Aspekte zu verstärken und Sammlungslücken zu schließen. Darüber hinaus war ihm aber auch daran gelegen, die Sammlung durch Neuerwerbungen „lebendig“ zu halten, mit seinen Worten gesagt: „Ein Museum ist kein Mausoleum. Es soll wach und lebendig bleiben. Es darf nicht in ermüdende Statik verfallen. Zugleich mit der Konservierung des Bestehenden soll es neue Impulse schaffen.“
„Maßgeschneiderte“ Angemessenheit des Hauses
Die Kunstsammlung Berggruen war, bevor sie 1996 nach Berlin kam, fünf Jahre lang als Leihgabe in der National Gallery in London ausgestellt gewesen. Dank der Bemühungen von Wolf-Dieter Dube, dem damaligen Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, konnte frühzeitig sichergestellt werden, dass die Sammlung Berggruen anschließend nach Berlin verbracht wurde, zunächst als Leihgabe für einen Zeitraum von zehn Jahren.
Doch schon im Laufe des Jahres 2000 kam Heinz Berggruen zu dem Entschluss, die Sammlung für immer in seiner Heimatstadt Berlin belassen zu wollen. Dazu bewegt hatte ihn zum einen der anhaltend begeisterte Zuspruch der Berliner Öffentlichkeit zu diesem Museum; zum anderen aber auch, die – wie er es nannte – „maßgeschneiderte“ Angemessenheit des Hauses für seine Sammlung, in der er nun sein „Lebenswerk“ verwirklicht sah. So kam es am 21. Dezember 2000 zur vertraglichen Übereignung der Sammlung Berggruen an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz.
Einen Wermutstropfen enthielt allerdings auch dieser goldene Freudenbecher: Aus juristischen Gründen musste für den Vertrag ein Kompromiss gefunden werden, der darin bestand, dass das Gemälde von van Gogh und einige Werke von Cézanne von der Übereignung ausgeklammert blieben. Heinz Berggruen hat diesen „Verlust“ jedoch bis zu seinem Tod im Februar 2007 durch viele Neuerwerbungen für das „Museum Berggruen“ ausgeglichen, darunter auch Picassos „Großen liegenden Akt“ von 1942. So konnte sich der anfängliche Bestand des Hauses schließlich mehr als verdoppeln.
Text: Dr. Hans Jürgen Papies
Kommentare
nur die wichtigste Korrekturen: Heinz Berggruen hat seine Sammlung dem Staat nicht „belassen“ sondern verkauft. Es gab keine „juristischen Gründe“ für die Ausgliederung der Werke von van Gogh und Cézanne. Berggruen konnte damit anderweitig mehr Geld verdienen, das ist alles. Die sogenannten „Neuerwerbungen für das Museum“ waren mit wenigen Ausnahmen Leihgaben, die auf Staatskosten importiert, gehängt, versichert, konserviert, katalogisiert, gerahmt, ausgestellt – und wo sich Gelegenheit bot, wieder verkauft wurden. Zu Lebzeiten des Namensgebers fungierte das Museum Berggruen als die größte und teuerste, staatlich finanzierte Kunsthandlung der Welt, und steuerfrei obendrein. Alles andere ist Legende. Der Fall Berggruen: eine frühe Fallstudie in Postwahrheit. Und die staatlchen Museen spielen mit. Ach ja, wenn wir gerade dabei sind: was macht die 2014 versprochene, nachzuholende Provenienzforschung? Es geht immerhin um 135 von 165 Werke! Kein Wunder, dass Berggruen sie an Deutschland verkaufen wollte. Kein anderes staatliches Museum hätte sie derart ungeprüft übernommen.
Bis jetzt wurde meine faktische Berichtigung von gestern nicht veröffentlicht. Es lebe die Post-Wahrheit! An dieser Stelle ist vielleicht nichts zu machen. Aber wenn die SMB sich weiterhin weigert, die 135 fraglichen Werke auf lostart.de zu stellen, und wenn die vor Jahren angekündigte Provenienzforschung nicht bald zu konkreten Ergebnissen führt, droht ein öffentlicher und internationaler Skandal. In Sachen „Sammlung Berggruen“ sind Haltung und Vorgehen der SMB nicht nur verlogen sondern anti-semitisch.
Sehr geehrte Frau Stein,
die Erwerbung der Sammlung Berggruen für die Nationalgalerie der Staatlichen Museen zu Berlin im Jahr 2000 war sowohl für die Museen als auch die Stadt Berlin und letztlich für die Bundesrepublik Deutschland ein Glücksfall und eine enorme Geste zugleich. Es handelt sich um ein herausragendes Ensemble von Werken der Klassischen Moderne, mit großen Werkkomplexen von Pablo Picasso, Paul Klee und Henri Matisse. Heinz Berggruen verkaufte sie den Museen für eine weit unter dem Marktpreis liegende Summe. Die Präsentation dieser 165 Werke im Museum ergänzte er bis zu seinem Tod im Jahr 2000 um etliche Leihgaben, die er teilweise auch auswechselte, denn zeitlebens blieb Heinz Berggruen auch Sammler. Daneben schenkte er den Staatlichen Museen zu Berlin einige Werke, etwa im Jahr 2006 die überlebensgroße „Große Stehende Frau III“ von Alberto Giacometti – eine Leihgabe seit 2002 –, die heute in der Rotunde des Stülerbaus die Besucher empfängt.
Informationen zu den Provenienzen der Werke finden sich im Bestandskatalog des Museum Berggruen, der 2013 anlässlich der Wiedereröffnung des Museums (nach Umbau und Erweiterung) als erweiterte und überarbeitete Auflage erschien. Er listet die zum damaligen Zeitpunkt bekannten Provenienzen aller Werke auf und wurde ergänzt um das Verzeichnis der Leihgaben der Familie Berggruen. Seit 2015 untersuchen die Staatlichen Museen zu Berlin zudem in einem vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste geförderten Projekt die Herkunft von 135 Kunstwerken aus der Sammlung, die vor 1945 entstanden sind; die vollständigen Ergebnisse werden voraussichtlich Ende 2017 vorliegen. Zwischenergebnisse wurden bereits veröffentlicht.
Im ersten Projektjahr konnte zum Beispiel in Bezug auf vier Werke festgestellt werden, dass sie bei den jüdischen Sammlern Alphonse Kann bzw. Paul Rosenberg in Frankreich NS-verfolgungsbedingt beschlagnahmt wurden. Alle vier Werke wurden direkt nach dem Krieg an die rechtmäßigen Eigentümer restituiert und gelangten erst später in die Sammlung von Heinz Berggruen – ein Beispiel, das zeigt, wie übereilt es wäre, alle Werke ungeprüft auf Lostart.de einzustellen. Nach Abschluss des Projekts werden solche Werke, bei denen sich konkrete Hinweise auf einen NS-verfolgungsbedingten Verlust ergeben, in die Lost Art-Datenbank eingestellt und auf der Webseite des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste Magdeburg veröffentlicht. Alle Provenienzangaben werden in zukünftigen Publikationen, vor allem Neuauflagen des Bestandskataloges, veröffentlicht werden.