Joana Schliemann: Heinrich war in Gedanken immer bei Homer

Heinrich Schliemann ließ das alte Troja durch seine Grabungen wieder auferstehen. In seinem 125. Todesjahr würdigt das Neue Museum den großen Forscher und Mäzen in einer Sonderausstellung. Wir sprachen mit Joana Schliemann, Verwandte des Entdeckers und Autorin der Kinderbiographie „Verrückt nach Troja“, über einen Mann mit vielen Facetten.

Zur Eröffnung der Ausstellung „Tod in Neapel“ im Neuen Museum sprachen Sie von Heinrich Schliemann als „Anti-Helden“ mit teils widersprüchlicher Persönlichkeit. Rütteln Sie bewusst am Mythos Schliemann?
Joana Schliemann: Als Namensträgerin möchte ich Heinrich Schliemann nicht kritiklos auf ein Podest stellen. Ich glaube, dass Genies immer auch schwierige Menschen mit Schattenseiten sind. Da war Schliemann keine Ausnahme. Mir ging es in der Ansprache darum, mit der Sympathie, die ich für ihn hege, einen anderen Kontext herzustellen: Nämlich die Widersprüchlichkeiten gegenüber seinen Begabungen zu beleuchten.

Für Ihre Tochter haben Sie das Kinderbuch „Verrückt nach Troja“ verfasst. Dort schicken Sie die junge Heldin Maria und Ihre Tochter auf Zeitreise und lassen sie Heinrich Schliemanns Welt entdecken. Haben Sie durch das Buch Schliemann selbst noch mal anders kennengelernt?
Absolut! Die Recherchen zu meinem Buch haben mich auf eine interessante Reise geführt. Ich habe mit ganz verschiedenen Quellen gearbeitet, die auch einen Blick in die Psyche Schliemanns erlaubten. Es war spannend, die Privatperson hinter der unglaublichen öffentlichen Figur zu sehen. Wie er gekämpft und auch gelitten hat: ob es in seiner Kindheit war oder später, als er nicht die Anerkennung erhielt, die er sich gewünscht hat. Das war mir vorher nicht bewusst.

Joana Schliemann vor einer Statue von Homer. Foto: Martin Walz
Joana Schliemann vor einer Statue von Homer. Foto: Martin Walz

Sie meinen die Bestätigung als Archäologe?
Ja, er hat fast 10 Jahre gebraucht, um vor allem in Deutschland Anerkennung zu finden. Deshalb hat er Deutschland dann auch hinter sich gelassen. Er musste Widerstände überwinden, um dahin zu kommen, wo wir ihn jetzt sehen – nämlich als einen Pionier der Archäologie: Er hat die Bronzezeit in Kleinasien durch seine Funde und seine Katalogisierung zum Leben erweckt. Und er hatte auch einen Blick für Kleinfunde, die andere vielleicht als zu unscheinbar abgetan hätten. Schliemann war auch offen für die damals noch junge Fotografie als ein Mittel, Funde zu dokumentieren – anders als viele Kollegen, die Zeichnungen bevorzugten. In der Ausstellung ist ein Atlas, dick wie ein Telefonbuch, den Schliemann auf eigene Kosten publiziert hat. Der Atlas enthält Fotoprint-Tafeln, die akribisch sortierte Funde, aber auch Grabungsstellen zeigen. Gerade für unser heutiges, digitales Auge sind solche Fotos vielleicht einladender als eine Zeichnung. Dieses Buch hatte ich vorher noch nie gesehen. Das würde ich natürlich gerne einmal selbst durchblättern.

Die Ausstellung zeigt nicht nur den Forscher Schliemann und seine Funde. Sie beleuchtet auch den Medienstar, Mäzen, Lebemann und Homer-Enthusiasten. Welche Facette ist Ihnen die liebste?
Das ist schwierig zu trennen. Ich finde seine Courage beachtlich. Aber er gefällt mir eigentlich doch am besten als der Phantast, der er nun einmal auch war. Als der Träumer, der sich fast wie ein Kind in die homerischen Welten hineindachte. Da ist er einfach am charmantesten. Selbst seine Butler benannte er nach griechischen Göttern. Darin zeigt sich Schliemanns enorme Begeisterungsfähigkeit – denn so etwas macht kein anderer Geschäftsmann oder Archäologe.

In den 1970ern und 80ern brandete Kritik an seiner wissenschaftlichen Arbeit auf. Seit den späten 90ern leiht er mit der Serie „Schliemanns Erben“ einer neuen Generation von Archäologen wieder seinen Namen. Wie erklären Sie sich das Revival?
Ich glaube, nach dem überschwänglichen Enthusiasmus, der Schliemann im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert entgegengebracht wurde, musste eine Phase des Zweifels kommen. Eine Zeit in der man realisierte: „Hey, in Schliemanns Thesen stimmt ja vieles nicht“. Man musste sich erst von dieser Überhöhung entfernen und wurde dabei vielleicht auch ein wenig überkritisch. Später zeigte sich dann, dass sich seine Beiträge doch nicht komplett beiseiteschieben lassen. Wichtig ist, dass er die Bronzezeit in Kleinasien der Wissenschaft überhaupt zugänglich gemacht hat – egal ob das homerische Troja wie Schliemann es sich ausmalte überhaupt existierte. Mit seinen Funden und Analysen hat Schliemann Fakten geschaffen, die uns heute zur Verfügung stehen. Und wichtig ist wohl auch, dass er international sehr aktiv und berühmt war. Egal, ob man heute nach Amerika, Europa oder Russland fährt, man kennt Heinrich Schliemann. Man kann sich letztlich nicht ganz frei machen von dieser Person.

Das heißt, die Geschichte von Schliemanns Wirken ist noch nicht final erzählt?
Bei weitem nicht. Eben weil er auch ein Pionier war – nicht nur wenn es darum ging, neue Mittel wie etwa die Fotografie zu benutzen. In der Öffentlichkeit weniger bekannt ist etwa, dass Schliemann seine Frau Sophia intensiv in die Grabungsarbeiten eingebunden hat. Sophia hat auch dokumentiert und an Veröffentlichungen mitgearbeitet. Sie hat unter anderem selbst sechs byzantinische Gräber freigelegt, während sie in Orchomenos mit geforscht hat. Das war neu in der damaligen Zeit. Auch nach Heinrichs Tod war sie unermüdlich. Sie hat Ausgrabungen finanziert, Teile von Schliemanns Arbeit publiziert, seinen Nachlass verwaltet und mit viel Passion dafür gesorgt, dass er international in aller Munde blieb. Zur Rolle Sophias ließe sich also noch einiges sagen.

Das Kinderbuch
Das Kinderbuch „Verrückt nach Troja“ von Joana Schliemann. Das Buch ist im Buchhandel und im Neuen Museum erhältlich.

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