„Museum muss vom Publikum her gedacht werden“: Zukunftsperspektiven im Hamburger Bahnhof
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Im Januar 2022 traten Sam Bardaouil und Till Fellrath als neues Direktorenduo des Hamburger Bahnhofs an – im Gepäck hatten sie viele Ideen und frischen Wind. Wie ist die Lage anderthalb Jahre später? Im Gespräch mit Till Fellrath über Perspektiven, Pläne und Potentiale des Hauses.
Interview: Sven Stienen
Bei Ihrem Antritt als Direktorenduo des Hambuger Bahnhofs im Januar 2022 waren Sie und Sam Bardaouil sehr inspiriert von dem Thema des Bahnhofs als Ort. Wie hat sich diese Idee weiterentwickelt und spielt sie heute, nach anderthalb Jahren, noch eine Rolle?
Till Fellrath: Diese Perspektive haben wir damals nicht zufällig gewählt. Wir versuchen immer, dynamisch mit den Dingen zu arbeiten, die wir vorfinden, und fanden diese Metapher sehr passend. Der Bahnhof ist der Ort, wo man sich begegnet und austauscht, was dazu führen kann, dass man gemeinsam etwas verändert. Gleichzeitig verweist ein Bahnhof auch in die Zukunft. Von dort aus überwindet man große Distanzen, man schreitet voran. Unser Haus mit seiner wechselvollen Geschichte steht beispielhaft dafür – es hat sich immer weiter verändert, vom Bahnhof zum Verkehrsmuseum und schließlich zum Standort der Nationalgalerie. Die Bahnhofsmetapher ist gleichzeitig eine Beschreibung, wie wir arbeiten: Ein Museum muss vom Publikum her gedacht werden. Wir müssen mit den Menschen, die zu uns kommen, in einen Dialog treten, der nicht an den Mauern des Museums endet. Der Austausch kann in Publikationen, Onlineangeboten oder einfach als Teil eines lokalen Stadtgesprächs stattfinden.
Forum Hamburger Bahnhof: Blick in das 1906 eröffnete Verkehrs- und Baumuseum im
ehemaligen Hamburger Bahnhof. Courtesy Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin,
Historisches Archiv / Foto: Carl Fernstädt
Forum Hamburger Bahnhof: Verpackte Objekte aus ehemaligem Verkehrs- und Baumuseum
im Hamburger Bahnhof, Februar 1984
TF: Der Denkmalstatus ehrt uns sehr, aber es soll dadurch nicht der Eindruck entstehen, als könne man einen bestimmten Zustand dauerhaft erhalten. Die deutsche Geschichte der letzten 100 Jahre hat gezeigt, dass sich alles ständig verändert. Der Hamburger Bahnhof war immer im Zentrum dieser bewegten Geschichte, im Herzen Berlins. Deswegen sehen wir das Haus heute sehr dynamisch, wir wollen die bestehenden Zustände immer wieder hinterfragen und diesen Ort für alle Menschen und Perspektiven öffnen. Das ist unser Leitbild.
Ein weiteres Ziel bei Ihrem Antritt war es, die Berliner Kunstszene ans Haus zu holen – wie ist das bisher gelungen?
TF: Wir haben bereits damit angefangen, indem wir letztes Jahr u.a. die Berlin Biennale ans Haus geholt haben, und dieses Jahr geht es weiter. Es gibt drei Bereiche, in denen wir arbeiten. Als erstes präsentieren wir die Sammlung des Hamburger Bahnhofs ab Juni neu. In der neuen Präsentation wird die Berliner Kunstszene von der Maueröffnung bis heute gewürdigt. Anhand von 70 Künstler*innen, die in Berlin leben oder gelebt haben, lässt sich darin die Geschichte seit dem großen Umbruch des Mauerfalls nachverfolgen und erfahren, wie die Kunstschaffenden von der Stadt inspiriert wurden und mit ihr im Dialog standen.
Außerdem werden wir auch sehr viele Ausstellungen machen, durch die wir zeitgenössischen Künstler*innen mit Berlinbezug die Möglichkeit geben, neue Arbeiten zu produzieren und unsere Sammlung zu bereichern. Es ist unsere Aufgabe im Hamburger Bahnhof, die Kunst des 21. Jahrhunderts mitzubegleiten und die Sammlung kontinuierlich fortzuschreiben. Das ist ein großer Unterschied zu den anderen Museen: Wir müssen weitersammeln, weil die Objekte, mit denen wir uns beschäftigen, zum Teil noch gar nicht existieren und erst heute oder in den nächsten Jahren geschaffen werden. Dadurch sind wir automatisch immer Teil des Diskurses und vielleicht in mancher Hinsicht einem Theater oder Kino näher als einem Museum. Wir müssen ständig ein neues Programm bieten und darin wird Berlin immer eine ganz zentrale Rolle spielen. Es muss immer einen Grund geben, warum wir eine Ausstellung im Hamburger Bahnhof zeigen – was hat das mit uns und diesem Ort zu tun? Das heißt nicht, dass es immer lokale Geschichten sein müssen, denn in Berlin spiegelt sich die ganze Welt.
Und der dritte Bereich sind Veranstaltungen. Wir werden im Juni ein großes Open House Wochenende veranstalten, an dem wir drei Tage lang unsere Türen für die Berliner*innen öffnen und ganz viel Programm anbieten.
Was genau erwartet die Besucher*innen bei dem Open House?
TF: Wir freuen uns sehr auf dieses Event, das wir mit dem ganzen Team gemeinsam vorbereiten. Das Programm beginnt am 16.6., wenn auch die neuen Sammlungspräsentationen erstmalig zu sehen sind, und geht drei Tage bei freiem Eintritt und mit viel Programm. Parallel öffnet auch das “Forum Hamburger Bahnhof”, wo wir die Geschichte des Hauses und des Ortes thematisieren und das Potenzial unserer Nachbarschaft aufzeigen. Das Forum ist Dank der Förderung durch das Kuratorium Preußischer Kulturbesitz kostenlos zugänglich und wird sich zwischen dem Buchladen und der Sammlungspräsentation im Westflügel erstrecken. Wir präsentieren hier Objekte und Archivalien, die die Geschichte des Hamburger Bahnhofs von 1848 bis heute aufarbeiten und kapitelweise neu erzählen. Das Forum soll vor allem ein Ort der Versammlung, der Auseinandersetzung und der Transformation sein, der seine Besucher*innen auffordert, neue Konzepte für das Museum mitzudenken. Ebenso wie die das Forum wird auch die “Unendliche Ausstellung” am 16.6. eröffnet, die die Kunstwerke der Sammlung am und im Haus künftig dauerhaft in einem Rundgang verbindet. Es wird während des Open House Wochenendes also Führungen durch alle Ausstellungen sowie zur Architektur des Hauses geben und Interessierte können auch verborgene Orte des Hauses entdecken, die normalerweise nicht zugänglich sind, zum Beispiel die Direktionsetage oder die Kellerräume. Wir wollen, dass das ganze Haus buchstäblich für alle offensteht. Darüber hinaus gibt es aber auch viele Vermittlungsprogramme, es wird eine Riesenskulptur in der Haupthalle entstehen, Wände können bemalt werden und es gibt natürlich auch Musik, u.a. mit dem Start einer neuen Konzertreihe in Zusammenarbeit mit den Kulturprojekten Berlin, die dann künftig jeden Donnerstag umsonst und draußen fortgesetzt wird.
Das klingt nach einem richtigen Boost für das Haus …
TF: Ja, wir wollen wirklich alle einladen, zu uns zu kommen und den Hamburger Bahnhof ganz neu kennen zu lernen. Es soll auch ein Signal sein, dass wir unsere unmittelbare Nachbarschaft mehr einbinden wollen. Wir befinden uns in der Mitte dreier großer Wohnviertel von Moabit, Mitte und der Europa City, zusammen mit Bürovierteln, in denen viele tausend Menschen arbeiten. Das ganze Gebiet liegt zudem in einem historisch bedeutsamen Bereich, denn genau hier verlief einst der Todesstreifen der Berliner Mauer. All das ist noch nicht wieder zusammengewachsen und wir möchten mit unserem Haus eine zentrale Rolle in diesem Prozess einnehmen und uns zu dem Standort bekennen. Eine ganz wichtige Voraussetzung dafür war der Ankauf des Gebäudes und der Eintrag als Denkmal.
Es sollen also auch mehr Berliner Künstler*innen prominent präsentiert werden – gibt es schon konkrete Ausstellungspläne? Auf welche Künstler*innen dürfen wir uns freuen?
TF: Wir zeigen u.a. im September 2023 eine Ausstellung von Nadia Kaabi-Linke. Sie lebt in Berlin und ist Kind ukrainischer und tunesischer Eltern. Wir werden eine Ausstellung von ihr zeigen, die für das Nationalmuseum in Kiew geplant war und dort wegen des russischen Angriffskrieges nicht stattfinden kann. Bei diesem Projekt ist auch eine ukrainische Kuratorin involviert, die mit Unterstützung der Ernst von Siemens Kunststiftung für ein Jahr bei uns anstellen konnten. Gemeinsam mit ihr und der Künstlerin werden wir also diese Ausstellung für den Hamburger Bahnhof adaptieren und ein begleitendes Rahmenprogramm auf die Beine stellen. Es wird in der Ausstellung auch um die Auswirkungen des Krieg und seine historische Bedeutung für die Kunstszene gehen, aber eben aus einer ungewöhnlichen Perspektive. Das ist ein typisches Beispiel dafür, dass wir uns verstärkt mit solchen Positionen und Themen auseinandersetzen wollen und selbstverständlich ist es auch eines unserer Ziele, einen Teil dieser Ausstellung am Ende in unsere Sammlung zu übernehmen.
Außerdem eröffnen wir im Dezember die Kleihueshalle neu und werden dort ein für Berlin sehr bedeutendes Konvulut an Beuys-Werken präsentieren, die Teil einer großzügigen Schenkung der Familie Marx sind. Diese Werke sind ganz zentral für die Sammlung der Nationalgalerie und in unserer Präsentation werden wir sie im Dialog mit Arbeiten der New Yorker Künstlerin Naama Tsabar stehen. Auch hier geht es wieder darum, neue Perspektiven auf die Sammlung zu erkunden und weitere, zukunftsweisende Positionen zu integrieren.
Darüber hinaus wollen wir auch Kunstwerke, die es in der Sammlung gibt, zum Anlass einer neuen Betrachtung nehmen. Das tun wir zum Beispiel mit einer großen Retrospektive des koreanisch-japanischen Künstlers Lee Ufan Ende Oktober 2023, in der auch ein ganz zentrales Werk seines Schaffens aus unserer Sammlung gezeigt wird. Lee Ufans Arbeiten stehen zudem wunderbar im Zusammenspiel mit anderen mininalistischen Arbeiten aus unserer Sammlung, und zeigen ganz eindrücklich die vielfältigen Ursprünge in unterschiedlichen Teilen der Welt. So schaffen wir den Bezug zu Berlin und zu unserer Sammlung und können gleichzeitig diesen sehr einflussreichen Künstler zeigen, der weltweit große Ausstellungen gemacht hat, aber bislang noch keine umfassende Retrospektive hier in Deutschland.
Das Open House Wochenende war ein echtes happening. Menschen aller Altersklassen strömten zum Hamburger Bahnhof auf Entdeckungstour, Musik, Tangotanz in der grossen Halle, beats of Berlin, ausgelassene Stimmung im Außenbereich, Aha Erlebnis die Zenib Sedira Performance „Dreams have no titles“: das pralle, bunte Leben und zugleich überall Einladung zur Reflexion über Kunst und Politik, kurz das Leben. „Dreams have no titles“ but some dreams come true: ein lebendiger Hamburger Bahnhof! Danke
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Das Open House Wochenende war ein echtes happening. Menschen aller Altersklassen strömten zum Hamburger Bahnhof auf Entdeckungstour, Musik, Tangotanz in der grossen Halle, beats of Berlin, ausgelassene Stimmung im Außenbereich, Aha Erlebnis die Zenib Sedira Performance „Dreams have no titles“: das pralle, bunte Leben und zugleich überall Einladung zur Reflexion über Kunst
und Politik, kurz das Leben. „Dreams have no titles“ but some dreams come true: ein lebendiger Hamburger Bahnhof! Danke