Pflanzen und Menschen: Das Projekt 4A_Lab im Kurzportrait
Lesezeit 7 Minuten
Seit 2019 kommen internationale Nachwuchswissenschaftler*innen nach Berlin, um im Kooperationsprojekt 4A_Lab (Kunsthistorisches Institut in Florenz – Max-Planck-Institut und Stiftung Preußischer Kulturbesitz) transregional und interdisziplinär zu forschen.
Text: Antje Paul
Über Grenzen hinweg
Als die Historikerin und Landschaftsarchitektin Jung-Hwa Kim aus Südkorea, seit März 2021 Postdoktorandin im Forschungs- und Stipendienprogramm 4A_Lab, bei einer Recherche zufällig auf das 1891 erschienene Werk Gärtnerisches Planzeichnen von Max Bertram (1849-1914) stieß, war sie überrascht. Das Handbuch war um 1900 durch den japanischen Landschaftsarchitekten Seiroku Honda (1866-1952) nach Japan gelangt. Einige der dort enthaltenen Gartenpläne des deutschen Landschaftsarchitekten dienten ihm als Vorlage für die Planung des Hibiya-Parks in Tokyo (1903). Doch nicht nur diese länderübergreifende und interdisziplinäre Reise von Theorie und Praxis der Gartenkunst/Landschaftsarchitektur faszinierten Jung-Hwa Kim an ihrem Fund. Bemerkenswert fand sie auch, dass es vom Verlag von Paul Parey publiziert wurde. Ist ihr Arbeitsplatz doch in dem als Villa Parey bekannten Gebäude in der Sigismundstraße 4! Sie recherchierte weiter und erfuhr, dass die Villa, die in ihrem Erdgeschoss die Räume des 4A_Lab beherbergt, von 1895-1896 als Wohnhaus des deutschen Verlegers Paul Parey, dem Gründer des Paul Parey Verlags, erbaut wurde. Es stellte sich heraus, dass der Paul Parey Verlag zahlreiche Bücher und Zeitschriften zum Thema »Pflanzen« – dem aktuellen Schwerpunktthema des 4A_Lab – veröffentlichte.
Wer sich für die Hintergründe dieser Geschichte interessiert, kann in einem Beitrag von Jung-Hwa Kim im Blog des Kunsthistorischen Instituts in Florenz (KUNST.LOG) mehr erfahren.
Front-Ansicht der Villa Parey, u.a. Sitz des 4A_Lab, 2021; Foto: Jung-Hwa Kim.
Nachwuchswissenschaftler*innen in Berlin
Jung-Hwa Kim ist eine von derzeit sieben internationalen Nachwuchswissenschaftler*innen, die im Rahmen des seit 2019 existierenden Forschungs- und Stipendienprogramms 4A_Laboratory: Art Histories, Archaeologies, Anthropologies, Aesthetics, kurz 4A_Lab, in Berlin tätig sind. Das 4A_Lab ist ein Programm des Kunsthistorischen Instituts in Florenz – Max-Planck-Institut (KHI) in Kooperation mit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) und seinen Einrichtungen: den Staatlichen Museen zu Berlin, der Staatsbibliothek, dem Iberoamerikanischen Institut, dem Geheimen Staatsarchiv und dem Staatlichen Institut für Musikforschung. Weitere Partner sind die Humboldt-Universität zu Berlin und das Forum Transregionale Studien Berlin. Geleitet wird das Programm von der Kunsthistorikerin Dr. Hannah Baader. Die Koordination übernimmt Antje Paul. Sevda Onur und Lara Scaiola komplettieren das Team als Assistentinnen und unterstützen bei der Organisation. Seitens des Kooperationspartners koordinieren Dr. Jörg Völlnagel und Tanja Wieczorek das Programm und setzen sich gemeinsam mit Vertreter*innen aus den Einrichtungen der SPK – Dr. Katrin Böhme, Dr. Angela Fischel, Prof. Dr. Barbara Göbel, Prof. Dr. Ulrike Höroldt, Dr. Christian Matthieu und Prof. Dr. Conny Restle – für das 4A_Lab ein.
Das Ziel des Labors ist es, als experimentelle Plattform einen Dialog zwischen Institutionen und Disziplinen anzuregen, die oft getrennt voneinander agieren, insbesondere zwischen den Disziplinen der „4 A“ – Kunstgeschichte (engl.: Art History), Archäologie, Anthropologie und Ästhetik – und anderen Forschungsbereichen, die sich mit materiellen Praktiken, Ökologien und Narrativen aus transregionaler Perspektive befassen. Mit ihren umfangreichen Beständen und der Expertise ihrer Mitarbeiter*innen bieten die Einrichtungen der SPK und die Staatlichen Museen zu Berlin den Wissenschaftler*innen in ihrer Pre- und Postdoc-Phase eine reichhaltige Forschungslandschaft mit einzigartigen Sammlungen, Archiven, Bibliotheken und Forschungseinrichtungen. Die Stipendiat*innen werden ermutigt, diese zu erkunden und zu erforschen, und mit Kurator*innen, Museumsforscher*innen und anderen Akteuren in Berlin ins Gespräch zu kommen. Das Programm ist um ein Kern- und ein Schwerpunktthema herum strukturiert, das nicht nur den thematischen Fokus der Projekte der Fellows bildet, sondern auch den übergreifenden Rahmen für eine Reihe von öffentlichen Konferenzen, Workshops und Seminaren. Vergangene sowie aktuelle Veranstaltungen sind auf der 4A_Lab Website unter „Events“ zu finden. Anmeldungen können per Email an 4a_lab@khi.fi.it erfolgen.
Was verbindet die Projekte miteinander? Das übergeordnete Schwerpunktthema lautet 2019-2023 »Pflanzen«. Das 4A_Lab nimmt eine Reihe von Forschungsprojekten auf, die sich mit vielfältigen Interaktionen zwischen Menschen und Pflanzen über Zeit und Raum hinweg befassen. Dabei konzentrieren sie sich auf die ästhetischen Prozesse, die Denkgeschichte und die materielle Kultur rund um Pflanzen und pflanzenbasierte Praktiken. Zugleich schärfen sie den über- und transregionalen Blick.
Nelke und Hyazinthe, Anthologie, 18. Jahrhundert, Staatsbibliothek zu Berlin,
Diez A Oct 78, fol. 2r.
Das vielfältige, breite Themenspektrum umfasst aktuell die Erforschung der Gärten der indischen Palastanlage Qaiserbagh zwischen Mythos, Realität und Illusion (Parul Singh im Museum für Islamische Kunst); die wissenschaftliche, politische und ästhetische Betrachtung der Kreation eines Waldes, dem ersten koreanischen Arboretum 1922-1945 (Jung-Hwa Kim in der Villa Parey); die Rolle des Mikroskops für die visuelle Wissenschaftstheorie und Naturdarstellungen im siebzehnten Jahrhundert (Pamela Mackenzie in der Villa Parey und Staatsbibliothek zu Berlin); die globalen Verbindungen der frühneuzeitlichen islamischen Manuskripte mit Fokus auf Darstellungen von Pflanzen und Tieren (Melis Taner in der Staatsbibliothek zu Berlin); die Rhetorik des Sehens und der Naturwahrnehmung in Fotografie und visuellem Realismus im China der 1920er und 1930er Jahre (Qiuzi Guo in der Villa Parey); sowie historische Darstellungen und Verflechtungen von Mensch und Pilz aus der Sicht dieser Organismen in den Niederlanden des 15.-17. Jahrhunderts (Lucas Vanhevel in der Kunstbibliothek und Gemäldegalerie) – um nur einige der Forschenden zu nennen. Auf der Website des 4A_Labfinden sich unter „Fellows“ ausführliche Beschreibungen zu allen Projekten.
Nehemiah Grew, „Tab. 4,“ The Phytological History of Plants, 1673,
Nr.: 434851, Huntington Library, San Marino, Kalifornien.
Von den Bäumen bis zu den Wurzeln, von den Blumen bis zu den Pollen – Pflanzen sind der Schlüssel für das Überleben und das Wohlergehen des Menschen. Sie sind nicht nur essentielle Nahrungsquellen und lebenswichtige Bestandteile der biogeochemischen Kreisläufe der Erde, sondern liefern auch die Rohstoffe für viele menschliche Produkte und Aktivitäten, wie z. B. Unterkunft, Kleidung und Medikamente. Die Beziehung zwischen Pflanze und Mensch ist von gegenseitiger Wechselwirkung und gegenseitigem Austausch geprägt. Es bedarf transdisziplinärer und globaler Ansätze, die helfen, die Rolle der Pflanzen in den menschlichen Gesellschaften von den Anfängen der Geschichte bis zum Anthropozän zurückzuverfolgen. Dies ermöglicht es, Pflanzen als Akteure in verschiedenen sozialen und kulturellen Bereichen besser zu verstehen und einen differenzierteren Einblick in Wissenssysteme zu gewinnen, die auf der Verflechtung mehrerer Arten basieren.
Waldbodenstillleben mit Pilzen, Schmetterlingen und einer Schlange von Otto Marseus Van Schrieck (1620-1678), ca. 1657, Öl auf Leinwand, 32,6 x 41,2. Verkauft bei Sotheby’s, New York, 27. Januar 2011, Los 241.
Ein solch umfassendes Projekt der Neubewertung der Pflanzenökologie schließt notwendigerweise die Untersuchung der vielfältigen ästhetischen und künstlerischen Praktiken ein, die mit Pflanzen und ihren Bildern verbunden sind. Die Kunst nutzt Pflanzen nicht nur für ihre Werkzeuge und Medien – Holzträger, Pigmente, Farbstoffe, Stoffe, Leinwände usw. –, sondern auch als Rohmaterial und Inspiration, wie im Fall von Herbarien, Stillleben und Landschaftsfotografien. Die rhizomatischen Muster des pflanzlichen Lebens liefern darüber hinaus eine Vorlage für architektonische Ornamente und verschiedene Formen von Dekorationstechniken in den verschiedenen Weltkulturen. In diesem Sinne ist die Pflanzenmorphologie auch für eine Theorie der Schönheit von zentraler Bedeutung. Ob religiöser Eifer, politisches Interesse, romantisierende Ansichten oder zeitgenössischer Öko-Aktivismus – all diese Praktiken verdienen eine weitere Erforschung als Teil größerer sozialer, politischer und wirtschaftlicher Netzwerke, die nicht nur geografische und nationale Grenzen, sondern auch die Kluft zwischen Mensch und Nicht-Mensch überschreiten.
Es ist eine große Chance und bietet einen weiten Möglichkeitsraum, dieses Vorhaben in enger Kooperation mit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und seinen Einrichtungen zu realisieren. Neben der bereits bestehenden, fruchtbaren Zusammenarbeit im Rahmen einzelner Fellow-Projekte haben nun auch Gespräche zur Planung einer gemeinsamen Ausstellung zum Thema »Pflanzen« begonnen.
Am 20. März beginnt der Frühling ganz offiziell. Wir zelebrieren das mit einer Auswahl wunderschöner Pflanzenstudien von Georg Flegel (1566… weiterlesen
Ende des 17. Jahrhunderts wagte Maria Sibylla Merian Ungeheuerliches: Auf eigene Faust reiste sie ins südamerikanische Surinam und erforschte tropische… weiterlesen
Derzeit ist der städtebauliche Ideenwettbewerb für den Neubau am Kulturforum in vollem Gange. Das Ergebnis kann eine historische Chance für… weiterlesen
Unsere Webseite verwendet Cookies. Diese haben zwei Funktionen: Zum einen sind sie erforderlich für die grundlegende Funktionalität unserer Website. Zum anderen können wir mit Hilfe der Cookies unsere Inhalte für Sie immer weiter verbessern. Hierzu werden pseudonymisierte Daten von Website-Besuchern gesammelt und ausgewertet. Das Einverständnis in die Verwendung der Cookies können Sie jederzeit widerrufen. Weitere Informationen zu Cookies auf dieser Website finden Sie in unserer Datenschutzerklärung und zu uns im Impressum.
Funktional Immer aktiv
Die technische Speicherung oder der Zugang ist unbedingt erforderlich für den rechtmäßigen Zweck, die Nutzung eines bestimmten Dienstes zu ermöglichen, der vom Teilnehmer oder Nutzer ausdrücklich gewünscht wird, oder für den alleinigen Zweck, die Übertragung einer Nachricht über ein elektronisches Kommunikationsnetz durchzuführen.
Vorlieben
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist für den rechtmäßigen Zweck der Speicherung von Präferenzen erforderlich, die nicht vom Abonnenten oder Benutzer angefordert wurden.
Statistiken
Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu statistischen Zwecken erfolgt.Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu anonymen statistischen Zwecken verwendet wird. Ohne eine Vorladung, die freiwillige Zustimmung deines Internetdienstanbieters oder zusätzliche Aufzeichnungen von Dritten können die zu diesem Zweck gespeicherten oder abgerufenen Informationen allein in der Regel nicht dazu verwendet werden, dich zu identifizieren.
Marketing
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist erforderlich, um Nutzerprofile zu erstellen, um Werbung zu versenden oder um den Nutzer auf einer Website oder über mehrere Websites hinweg zu ähnlichen Marketingzwecken zu verfolgen.
Kommentare