Regie der Gegenstände – Fotografien von Hansi Müller-Schorp
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Im Dezember 2021 erwarb die Kunstbibliothek das Werk der Stuttgarter Fotografin Hansi Müller-Schorp (*1927-2022) und erweiterte damit ihre fotografische Sammlung. An die 2.000 Abzüge sowie zahlreiche Archivschachteln mit Negativen, Dias und Kontaktabzügen vermitteln ihr facettenreiches Schaffen. Einen kleinen Einblick in ihr Werk zeigen wir hier.
Text: Katja Böhlau
Porzellan, Glas, Silberbesteck, Maschinenteile, Möbel oder Vorhänge stehen –streng komponiert – im Rampenlicht, und die Fotografin Hansi Müller-Schorp (*1927) führt ebenso streng wie verspielt Regie. Bisweilen bildet sie die Gegenstände nicht nur ab, sondern verwandelt Tassen und Teller mit Licht in grafische Strukturen oder lässt Industriefilter in bildlicher Poesie aufschimmern. Seit den 1950er Jahren war die Stuttgarterin als Sachfotografin tätig. Neben den Auftragsarbeiten entstand ein umfangreicher Korpus freier Werke, in denen Hansi Müller-Schorp mit den fotografischen Mitteln experimentiert.
Gelernt hat Hansi Müller-Schorp ab 1945 im Atelier von Arthur Ohler und Willi Moegle in Stuttgart. Vor allem die Sachfotografie Moegles weckte ihr Interesse. So wurde sie 1950 Mitarbeiterin in seinem neu eingerichteten Studio in Leinfelden-Echterdingen, dessen Leitung sie 1970 übernahm und das sie bis 1990 innehatte. Gemeinsam prägten Moegle und Müller-Schorp die Produktfotografie von Firmen wie Arzberg, Schönwald oder Pott.
Während Moegle für seinen reduziert-sachlichen Stil bekannt war, der das Design der Objekte in den Vordergrund stellte, ging Hansi Müller-Schorp weiter und abstrahierte in ihren freien Aufnahmen Industrieprodukte, wie Vasen, Tassen oder Teller zu grafischen Gebilden.
Das Studio Moegle bot auch Farbfotografie an. Diese Aufgabe übernahm vor allem Hansi Müller-Schorp. Mit kühnen Mustern und knalligen Farben wartete die Firma Stuttgarter Gardinen auf. Müller-Schorp inszenierte für die Aufnahmen die Stoffe zusammen mit Möbeln und anderen Einrichtungsgegenständen und setzte formale Kontrapunkte. Das entsprach auch einem frühen Berufswunsch, „etwas mit Dekoration“ zu machen.
Die Fotografin arbeitete vor allem mit der Großbildkamera und nutzte häufig Dia-Filme. Eine Archivschachtel mit der Aufschrift „Teppiche und Gardinen“ enthält neben Dias für Auftragsarbeiten sogenannte „Versuche“. So zeigen Lichtspiele auf geometrisch gemustertem Stoff ihre Fähigkeit, Realität und formale Abstraktion zu verbinden und mit Experimentierlust zu gestalten.
Das freie Arbeiten war für Müller-Schorp eine Erholung von Auftragsverpflichtungen. So entstand auch eine Reihe (foto)grafischer Kompositionen mit Obst und Vorhangstoffen „abends nach der Brötchenarbeit“: Der Stoff wurde auf ein Brett gespannt, davor ein Apfel oder eine Orange mit der Stricknadel befestigt und schließlich das Ganze mit einem Fisheye-Objektiv fotografiert, berichtet sie in der Zeitschrift Photoblätter 1971. Die September/Oktober-Ausgabe zeigte eine Aufnahme aus dieser Serie auf dem Titel.
Unterschiedliche Oberflächen fotografisch exakt wiederzugeben, kann eine echte Herausforderung sein. Als Sachfotografin hat sich Hansi Müller-Schorp intensiv mit der Wiedergabe verschiedenster Materialien wie Porzellan, Holz, Textilien oder Metall beschäftigt. Die Präzision des Arrangements und ihr Geschick in der Ausleuchtung von Gegenständen zeigt sich auch in ihren Arbeiten für den internationalen Wettbewerb „Silber im Foto“, in dem sie 1967 und 1977 jeweils mit dem ersten Preis ausgezeichnet wurde.
Augen faszinieren. In den Werken von Fotograf*innen der 1920er und 30er Jahre findet man sie wiederholt als Motiv. Sinnbildlich verweisen sie auf die Bedeutung des Sehens für das Medium Fotografie, die mehr ist als nur ein technisches Verfahren. In einer ganzen Serie hat sich Hansi Müller-Schorp auf ihre eigene Weise mit dem Thema auseinandergesetzt und Puppenaugen inszeniert. Die Schwarzweiß-Bilder erinnern in ihrer grafischen Gestaltung an die konstruktivistischen Kompositionen von László Moholy-Nagy.
In ihren Farbfotografien hingegen kombinierte sie die gläsernen Puppenaugen zudem mit unterschiedlichen Materialien und experimentierte mit dem Licht. Dabei entstanden Bilder, die in fantastische, teilweise surreale Welten führen.
Zwischen 1979 und 1983 wurde in Leinfelden-Echterdingen die Filderhalle, ein Kongress- und Tagungszentrum, umgebaut und erweitert. Eigentlich wollte Hansi Müller-Schorp die Modernisierung des Gebäudes fotografisch begleiten und festhalten.
Doch vor Ort erweckten Formen und Strukturen ihre Aufmerksamkeit: Die Bildausschnitte fokussieren Details, so dass die konkrete Gestalt der Architektur und der Baustellensituation unwichtig erscheint. Vielmehr sind abstrakte Bildgestaltungen entstanden.
Wie ein Model in einem Arrangement mit Kaffeekanne und Blumenvase sitzt Hansi Müller-Schorp in der von ihr sorgfältig austarierten Szene. Mit neutralem, beinahe ernstem Blick schaut sie uns direkt an. Ihre hell-dunkel-gestreifte Bluse bildet eine kontrastreiche Folie für das helle Porzellan. Doch etwas an der Szene lässt aufmerken: Im Hintergrund steht eine Kamera, eine Großformatkamera auf einem massiven Stativ. Weichgezeichnet drängt sie sich den Blick nicht auf und verweist doch darauf, dass wir es hier mit einem Selbstporträt zu tun haben. Es ist ein Bildnis, dass ihre fotografische Arbeit und ihre Perfektion gleichermaßen reflektiert. So sehen wir die Fotografin mit Dingen, die sonst im Mittelpunkt ihrer Bilder stehen. Hier jedoch liegt die Schärfe ganz auf ihr!
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