U can’t touch this – Warum Berührung Kunst zerstört

Das Berühren der Kunstwerke ist eines der größten Tabus im Museum – doch warum eigentlich? Kristina Mösl, leitende Restauratorin der Alten Nationalgalerie, erklärt, weshalb eine Berührung für die Kunstwerke verheerend sein kann.
Interview: Sven Stienen
Das Berühren der Kunstwerke ist im Museum fast immer
verboten. Warum ist es problematisch, wenn Museumsbesucher*innen die
Kunstwerke berühren?
Kristina Mösl: Zunächst einmal handelt es sich bei den
Kunstwerken auf der Museumsinsel um Weltkulturerbe. Sie sind ein
schützenswertes und höchst empfindliches Gut. Gemälde haben oft eine
sehr empfindliche Oberfläche, die unter dem Mikroskop ganz rau und
unregelmäßig aussieht. Hier können sich fremde Stoffe wunderbar
einlagern, zum Beispiel Fette und Öle aus dem natürlichen Schutzfilm der
menschlichen Haut. Wenn das passiert, dann kann es zu chemischen
Reaktionen kommen und Pigmente werden grün oder braun. Außerdem bindet
das eingelagerte Fett wiederum weitere Stoffe, die als Dreck sichtbar
werden. Das kennt man auch von Zuhause, etwa wenn die Tapete rund um den
Lichtschalter mit der Zeit vergilbt. Hinzu kommt, dass die Fette aus
der Haut von den Kunstwerken nur sehr aufwendig wieder entfernt werden
können.
Ab wann können denn durch Berührung sichtbare Schäden an einem Kunstwerk entstehen?
Das geht recht schnell, schon nach zehn oder 20 Berührungen
können wir Restaurator*innen Veränderungen sehen. Wenn in einem Museum
täglich 1000 Besucher*innen sind und nur jede*r Zehnte den Drang hat,
ein Werk zu berühren, dann haben wir nach wenigen Wochen ein Problem.
Auch die Rahmen sind übrigens gefährdet. Sie sind mit Blattgold
vergoldet, das nur 4/1000 Millimeter dick ist – das ist extrem
empfindlich und sehr schnell abgerieben.
Ist eher die alte Kunst gefährdet oder auch zeitgenössische Kunst?
Es betrifft moderne ebenso wie alte Kunst. Teilweise ist
erstere sogar noch empfindlicher, weil Künstler seit dem 19. Jahrhundert
oftmals auf den schützenden Firnis verzichten. So gelangen die
Fremdstoffe dann direkt an die empfindliche Malschicht. Andererseits
gibt es bei moderner und zeitgenössischer Kunst ja auch viele Arbeiten,
die zur Interaktion einladen und die speziell hierfür gemacht wurden.
Bei noch lebenden Künstler*innen haben wir das Glück, dass wir sie nach
ihrer Intention fragen können.
Was passiert, wenn der Schaden erst mal da ist?
Im Idealfall kann man das Kunstwerk reinigen; schlimmstenfalls
sind die Schäden jedoch irreversibel und das Kunstwerk ist nachhaltig
verändert. In jedem Fall ist es ein enormer Aufwand, den wir in der
Restaurierung und Konservierung betreiben. Unser Vorgehen ähnelt dem in
der Medizin: Analyse, Diagnose, Therapie. Wir versuchen festzustellen,
was Originalzustand ist und was Beschädigung. Wenn wir die Beschädigung
oder Veränderung identifiziert haben, machen wir Testreihen, um die
Ursache zu klären. Danach wird entschieden, wie wir weiter vorgehen.
Fette auf der Oberfläche lassen sich zum Beispiel mit verschiedenen
Reinigungsmitteln entfernen, was aber auch wieder eine mechanische
Belastung für das Bild ist.
Haben Sie oft mit Beschädigungen durch Berührung zu tun?
Eher selten. Die Klassiker, vor allem wenn Gemälde aus
Privatbesitz zu uns kommen, sind eher Nikotinschichten, Wasserspritzer
aus Blumenvasen oder Kerzenwachstropfen. Oft haben auch die Rahmen
„Putzkanten“. Dort ist das extrem feine Blattgold durch wiederholtes
Putzen abgerieben. Aber solche Schäden kann man den Vorbesitzern
natürlich nicht anlasten, denn die Kunstwerke werden ja erst im Museum
zu einem Kulturerbe. Ab dann sind wir als öffentliche Sammlung zu ihrem
Erhalt für spätere Generationen verpflichtet und daher gelten ab dann
auch besonders hohe restauratorische und konservatorische Ansprüche.
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