Verloren – oder nicht? Ideale, Erinnerungen und neue Chancen im Bode-Museum
Das Bode-Museum blickt auf eine bewegte Geschichte zurück – ebenso wie viele seiner Exponate. Der Kurator für italienische Kunst vor 1500, Neville Rowley, erprobt neue Möglichkeiten in der Auseinandersetzung mit den Erinnerungen und den Brüchen in der Sammlung.
Das Bode-Museum war schon immer eine bauliche Besonderheit. 1904 wurde es als Kaiser-Friedrich-Museum eröffnet, und die exklusive Lage mit Spreeblick an der Spitze der Museumsinsel erforderte einen einzigartigen dreieckigen Grundriss.
Dass dennoch fast jeder Raum von natürlichem Licht profitiert, liegt an den fünf Innenhöfen. Für die Skulpturensammlung ist das durch die großen Fenster einfallende Streiflicht ein Segen, betont es doch die Oberflächen und plastischen Qualitäten der Werke, die als dreidimensionale Objekte im wandernden Licht ganz besonders sinnliche Effekte entfalten können.
Hinzu kommt, dass man beim Bau des Hauses, das unter Mitwirkung des damaligen Generaldirektors der Königlichen Museen, Wilhelm von Bode, konzipiert wurde, nicht auf die großzügigen Enfiladen verzichten wollte, die fast alle großen Museumsbauten des 19. Jahrhunderts prägen. Im Bode-Museum, das sich in den Ausstellungsräumen fast wie ein gleichseitiger Flügelbau erschließt, wird einem die unregelmäßige Ausrichtung des Baus nur dann klar, wenn man durch schräg liegende Türen geht oder über die Innenhöfe auf ungerade Fassaden blickt. Die Künste aber, die nach Bodes Vorstellung von Stilräumen zusammengeführt wurden, sollte der Besucher über lange, großzügige Blickachsen erschließen können.
In seiner mehr als hundertjährigen Geschichte hat das Museum viel erlebt, den Grundcharakter der Baus hat man auch in der zuletzt 2006 beendeten Renovierung beibehalten. In einem Haus, das mit seinen Marmorfußböden, italienischen Holzdecken und Portalen vielfältige subtile Akzente in den Ausstellungsräumen setzt und heute zudem den Namen seines geistigen Schöpfers trägt, ist die Rotation und Variation eine Herausforderung. Was zum Beispiel macht man mit den Wandflächen zwischen den Fenstern, die nur von indirektem Naturlicht getroffen werden?
Neville Rowley, der Kurator für italienische Kunst vor 1500, ist für das Experiment – und hat mit einer mobilen Stellwand gearbeitet.
Der Gewinn an Ausstellungsfläche ermöglicht es, die Objekte im natürlichen Licht von der Seite zu zeigen, und das kommt den Exponaten gleich aus mehreren Gründen zugute, denn die temporäre Wandfläche bietet nicht einfach nur Platz, um mehr interessante Objekte zu zeigen, die sich sonst im Depot befinden. Sie widmet sich auch einer ganz aktuellen Geschichte, die an die vergangene Ausstellung „Das verschwundene Museum“ (19. März bis 27. September 2015) anschließt. Thematisiert wurden in der Sonderausstellung die Kriegsschäden und -verluste in den Beständen der Skulpturensammlung und Gemäldegalerie sowie die bis heute andauernde Aufarbeitung. Die Provenienzforschung, also die Suche nach der Herkunftsgeschichte von Kunstwerken, und die immer wieder relevanten Herausforderungen an die Restaurierung beschädigter Werke standen dabei im Zentrum.
Zwei besonders eindrückliche Dokumentationen konnten in der Ausstellung die Chancen dieser Auseinandersetzung aufzeigen: Einerseits wurde die Geschichte des Reliefs der Madonna mit Kind von Antonio Rossellino, das heute wieder im Bode-Museum zu sehen ist, anschaulich vor Augen geführt. Dabei konnten die Besucher den Weg von Vorkriegsaufnahmen über die Dokumentation des beschädigten Zustands bis zur Rekonstruktion aus der Gipsformerei nachverfolgen.
Den wichtigsten Etappen der tiefgreifenden Veränderungen in der neueren Objektgeschichte des Reliefs ist daher eine Hälfte der temporären Stellwand gewidmet.
Die Gipsabgüsse der Berliner Museen aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert konnten in der Ausstellung die große Bedeutung dieser umfangreichen Objektdokumentation für die heutige Restaurierungspraxis aufzeigen. Exemplarisch standen sie zugleich für jene Werke, die zwar materiell als verloren oder verschollen gelten, nicht aber in der Erinnerung.
Das bringt uns zum zweiten Aspekt der Stellwand. Denn die hier gezeigten Objekte sind keine Originale, sondern Abgüsse und historische Fotografien, die von einer kuratorischen Erläuterung begleitet werden und die nicht immer ganz losgelöst vom Sammlungszusammenhang gesehen werden können. Die temporäre Inszenierung soll den Besuchern auch diesen Einblick ermöglichen: dass zwischen den Meisterwerken der Florentiner Bildhauerkunst in Bodes Renaissance-Museum auch Platz sein kann, die Geschichte des Hauses weiter zu erzählen.
Im September 2015 fand das Forschungskolloquium „Donatello und das verschwundene Museum“ im Bode-Museum statt. Dort zeigte der Kurator Vasily Rastorguev vom Puschkin Museum in Moskau erstmals Bilder der in Berlin für verloren gehaltenen Werke, die dem Renaissance-Bildhauer Donatello zugeschrieben wurden, nach 1945 aber aus dem Blick der Forschung verschwanden. Dass diese Werke im Puschkin-Museum aufbewahrt werden, wurde der Fachwelt erstmals in Rastorguevs öffentlichen Vortrag mitgeteilt. Eine deutsch-russische Kooperation wird in den kommenden Jahren die gemeinsame Restaurierung und Erforschung der Werke voranbringen, wie das Puschkin-Museum und der Leiter des Bode-Museums, Julien Chapuis in einem Interview angekündigt haben. Diese Aufgabe wird Wissenschaftler in den kommenden Jahren beschäftigen.
In der Zwischenzeit können die Besucher von dem neuen Interesse an den Werken Donatellos und von deren Dokumentation in den Berliner Sammlungen profitieren: die umfangreiche wissenschaftliche Bearbeitung in Form von ausführlichen Katalogeinträgen ist nicht nur für die berühmte Pazzi-Madonna seit diesem Jahr auf SMB Digital erreichbar.
Text und Fotos (soweit nicht anders vermerkt): Christine Seidel
Kommentare