Immer wieder gehen Ausstellungen der Staatlichen Museen zu Berlin auf Reisen in die Provinz – im Rahmen des Föderalen Pogramms werden sie an kleinere Museen verliehen. Unser Redakteur Sven Stienen hat in Papenburg die Schau „Kampf um Sichtbarkeit“ der Nationalgalerie besucht.
Wer Marco Malorny zum ersten Mal begegnet, merkt sofort: Hier ist ein Macher, der die Dinge im Griff hat. Der hochgewachsene Mann empfängt Besucher:innen des Kulturhauses Gut Altenkamp in Papenburg, Emsland, als sei es sein eigenes Anwesen – und ein bisschen ist es das auch. Seit 1994 arbeitet Malorny bei der Stadt Papenburg und als Fachbereichsleiter für Museen und Soziokultur hat er eine besondere Beziehung zum Gut Altenkamp entwickelt. „Wir haben hier in Papenburg auch noch ein Schifffahrtsfreilichtmuseum sowie ein Siedlungsmuseum, die beide sehr beliebt sind“, erklärt Herr Malorny mir, während wir den Schotterweg zum Haus entlanglaufen, „aber das Gutshaus ist einfach etwas Besonderes.“ Das Gebäude aus dem 18. Jahrhundert liegt im vorderen Bereich einer barocken Parkanlage, die 14.000 Quadratmeter umfasst, und versprüht mit seiner schlichten barocken Backsteinfassade einen unaufgeregten Charme. Seit den frühen 1990er Jahren ist es ein Ort der Kultur, an dem auch Ausstellungen aus dem Föderalen Programm der Stiftung Preußischer Kulturbesitz gezeigt werden – genau deswegen bin ich an diesem milden Augusttag hier.
„Legen Sie ganz in Ruhe ab“, sagt Herr Malorny, während wir eine kleine Treppe hinab in den Kassen- und Eingangsbereich des Gutshauses steigen. „Gleich gibt es erst einmal etwas zu essen in unserem Café. Alles selbstgemacht!“ Im Café, in dem außer uns niemand ist, wurde bereits ein Tisch für uns gedeckt. Es gibt Gulaschsuppe und Brot und einen Schwung Prospekte über das Haus und sein Kulturprogramm. Bis Ende August läuft hier noch die Ausstellung „Kampf um Sichtbarkeit. Künstlerinnen der Nationalgalerie vor 1919“. Das Gastspiel der Alten Nationalgalerie findet im Rahmen des Föderalen Programms statt: Da die SPK von Bund und Ländern gemeinsam getragen wird, sieht sie es als ihre Aufgabe, ihre kulturellen Schätze auch in den Bundesländern zugänglich zu machen. Seit 1999 werden daher kuratierte Ausstellungen aller Sammlungsbereiche aus Berlin an Kultureinrichtungen in den deutschen Bundesländern verliehen.
Den Ausstellungsbetrieb in Berlin kenne ich als Mitarbeiter der SPK inzwischen seit Jahren, doch mich interessiert, wie es in der „Provinz“, auf der anderen Seite der Kooperationen aussieht. Während wir die Gulaschsuppe schlürfen, frage ich Herrn Malorny, was die Zusammenarbeit für das Gut Altenkamp bedeutet. „Das Haus ist 1993 eröffnet worden“, erzählt er, „seitdem haben wir hier bereits 33 Ausstellungen aus Berlin gezeigt.“ Schon während der langen Sanierungsphase vor der Eröffnung gab es den Kontakt nach Berlin. „Es gab damals schon konkrete Überlegungen, hier Ausstellungen der Stiftung und der Staatlichen Museen zu Berlin zu zeigen, deswegen haben wir bestimmte Vorgaben der SPK berücksichtigt.“ Nach der Eröffnung wurden Ausstellungen der Staatlichen Museen zu Berlin zunächst im Rahmen einer bilateralen Zusammenarbeit gezeigt, ab 1999 dann mit dem Föderalen Programm. „Wir sind natürlich dankbar, die besonders attraktiven und hochkarätigen Ausstellungen der Berliner Museen hier zeigen zu können“, sagt Herr Malorny. „Das sind ja Kunstwerke, an denen in Berlin jedes Jahr Hunderttausende vorbeigehen – die kommen nur durch Glück zu uns und das wissen wir zu schätzen.“
Wohnhaus statt Museum
Mit einem Einzugsgebiet von 250 Kilometern hat das Gut Altenkamp selbst ein festes Standing in der Region, wie Herr Malorny versichert: „Wir hatten schon Ausstellungen mit 15.000 Besuchern! Zu uns kommen darüber hinaus viele Touristen aus den Niederlanden, die Grenze ist nur sieben Kilometer entfernt.“ Aber auch die Papenburger nehmen rege am kulturellen Leben im Haus teil und haben einen Förderverein gegründet, erfahre ich weiter. Doch in diesem Jahr ist wegen Corona alles schwierig. Die Ausstellung „Kampf um Sichtbarkeit“ sollte bereits im März 2021 beginnen, wegen der Corona-Lage in Papenburg musste sie verschoben werden und verzeichnete nach Eröffnung deutlich weniger Besucher:innen als üblich.
Nachdem die Gulaschsuppe restlos vertilgt ist, will Herr Malorny mir das Haus zeigen. Überall in dem schönen alten Gebäude knarzen die Holzdielen und natürliches Tageslicht flutet die vielen Zimmer, durch die wir laufen. Uns begegnet ein junges Pärchen, das sich mehr für die Räume als für die Kunst zu interessieren scheint. „Die schauen sich das Haus für ihre bevorstehende Hochzeit an“, erklärt Herr Malorny, „das haben wir hier auch häufig, wir vermieten bestimmte Bereiche des Hauses dann für solche Events.“
Wir gehen weiter und laufen nun durch die Ausstellung. Über viele kleinere Räume verteilt, begegnen uns die Werke von Paula Modersohn-Becker, Käthe Kollwitz und anderen, die ich schon aus der Berliner Version der Schau kenne. „Ich zeigen ich Ihnen mal eines unserer Kabinette“, sagt Herr Malorny und führt mich ins Obergeschoss, „hier können wir ganz toll vor allem auch kleinere Werke präsentieren, da ist der Besucher allein mit dem Bild im Raum.“ Die besondere Ausstellungssituation und Raumwirkung des Hauses ist auch dem Umstand geschuldet, dass Gut Altenkamp keine Fabrikantenvilla oder umfunktionierter Industriebau ist, sondern ein Wohnhaus. „Alle Räume sind hell, es herrschen ganz andere Lichtverhältnisse als in den Berliner Museen – dadurch wirken die Bilder hier anders, intensiver“, sagt Herr Malorny und ergänzt: „Die Berliner Kuratorinnen und Kuratoren sind oft ganz gerührt, wenn sie hierherkommen und die Bilder zum ersten Mal in dieser Situation sehen.“ Auch auf mich wirken die Werke hier anders – es ist tatsächlich eine intimere Begegnung, weil es kleinere Räume sind und die Wände nicht so hoch und weit sind wie etwa in der Alten Nationalgalerie. Gleichzeitig ist hier alles viel kleiner und verwinkelter, so dass gar nicht das Gefühl aufkommt, in einem Museum zu sein.
Ein ganz anderes Publikum
Nach unserem Rundgang, der uns bis auf den Dachboden führt, wo noch Handwerker-Inschriften aus dem 19. Jahrhundert die Wände zieren, geht es wieder zurück ins Café. Wie von Zauberhand wurde unser Tisch neu gedeckt: Nun gibt es Apfelkuchen und Kaffee. „Selbstgebacken!“, wie Herr Malorny betont. Während wir den köstlichen Apfelkuchen essen, will ich mehr darüber erfahren, welche Bedeutung eine Einrichtung wie das Föderale Programm hier in Papenburg hat. Werden Ausstellungen wie „Kampf um Sichtbarkeit“ hier genauso wahrgenommen und diskutiert wie in Berlin?
„Das Thema ist bombastisch und gerade in diesen Tagen, während die Ausstellung noch bei uns läuft, sehen wir die unglaublichen Umwälzungen in Afghanistan und werden daran erinnert, dass auch bei uns vor 100 Jahren Frauen sich in einer sehr unglücklichen Situation befanden“, sagt Herr Malorny. Aber die Diskussionen hier seien andere, ergänzt er: „Das ist natürlich nicht so wie in Berlin, wir haben hier ja ein ganz anderes Publikum.“ Ob er denn persönliche Ambitionen in Bezug auf die Ausstellungen des Hauses habe, frage ich ihn. „Es ist Unterschiedlich“, sagt Herr Malorny nach kurzem Überlegen, „wir haben hier in den Spitzenzeiten zwei Berliner Ausstellungen pro Jahr gehabt und sind damit wohl einer der häufigsten Kooperationspartner im Föderalen Programm.“ In den letzten Jahren seien diese Ausstellungen aber weniger geworden, höchstens noch eine pro Jahr. Das Team des Hauses arbeite nun vermehrt direkt mit Künstler:innen und Sammler:innen zusammen, um ein eigenes Ausstellungsprogramm zusammenzustellen. „Da sind wir in der Gestaltung freier“, sagt Herr Malorny. „Wenn wir Ausstellungen aus dem Föderalen Programm übernehmen, geben die Berliner Fachleute die Richtung vor und treffen inhaltliche Entscheidungen. Deren Blick ist oftmals enger als unserer – wir haben hier nicht so ein kritisches Sachpublikum wie in Berlin.“
Während wir plaudern, erinnert sich Herr Malorny an die vielen Ausstellungen, die bereits im Rahmen des Föderalen Programms hier in Papenburg gastierten. „Die größte Herausforderung war für mich 2010 eine Rembrandt-Ausstellung aus dem Kupferstichkabinett. Da hatten wir so wertvolle Kunstwerke hier, dass ich in den drei Monaten wenig geschlafen habe.“ Eine weitere berührende Ausstellung sei zuletzt die Schau „Mosaik Syrien – Kunst und Leben“ aus dem Museum für Islamische Kunst gewesen. „Da kamen historische Objekte aus dem Museum mit zeitgenössischer Kunst von syrischen Künstlern zusammen. Viele von ihnen hatten den Krieg erlebt und es war beeindruckend, ihre Arbeiten zu sehen“, erinnert sich Herr Malorny. Daraus, so erklärt er weiter, sei auch ein Atelier für Migrationskunst entstanden.
So unterhalten wir uns noch eine ganze Weile, während wir den Apfelkuchen verspeisen. Ich wäre gern noch länger geblieben und hätte noch mehr Fragen gestellt, doch irgendwann erinnert mich Herr Malorny: „Unsere Zeit ist um, Ihr Zug fährt bald.“
„Eine Ausstellung eins zu eins zu verpflanzen, würde nicht funktionieren“
Zurück in Berlin interessiert mich, wie die Kolleg:innen in der Alten Nationalgalerie auf das föderale Programm blicken. Ich treffe Ralph Gleis, den Leiter des Hauses, und Yvette Deseyve, die zuständige Kuratorin der Ausstellung „Kampf um Sichtbarkeit“ zum Gespräch. „Es war uns ein Anliegen, dieses für uns zentrale Thema d er Ausstellung nicht nur in Berlin sichtbar zu machen, sondern auch in die Länder zu bringen“, sagt Ralph Gleis. In der Alten Nationalgalerie, so erfahre ich weiter, werden teilweise Ausstellungen speziell für das Föderale Programm konzipiert, während andere als weitere Ausstellungstationen nach der Präsentation in Berlin angeboten werden. „Es ist aber jedes Mal ein großer Aufwand, auch wenn wir eine bereits in Berlin gezeigte Ausstellung anpassen“, erklärt Yvette Deseyve. So wurde „Kampf um Sichtbarkeit“ für das Föderale Programm komplett umgebaut. „Eine Ausstellung eins zu eins aus unserem Museum in ein anderes Haus zu verpflanzen, würde nicht funktionieren“, sagt die Kuratorin. Ich erinnere mich zurück an das Gut Altenkamp mit seinen vielen kleinen und mittelgroßen Zimmern – die Sichtachsen und Gliederungen aus der Alten Nationalgalerie hätten sich hier nicht umsetzen lassen. „Was wir in der Alten Nationalgalerie in vier großen Räumen gezeigt haben, musste in Papenburg auf zwölf Zimmer verteilt werden“, sagt Yvette Deseyve. Doch die Arbeit hat sich gelohnt, wie die Kuratorin versichert: „In Gut Altenkamp waren neue Gegenüberstellungen möglich und die Bilder wirkten ganz anders als bei uns im Haus.“ So wurde die ursprünglich chronologische Gliederung der Schau in Papenburg zugunsten eines konzentrierten Blicks auf den europäischen Kontext der Künstlerinnen um 1900 aufgegeben. Die Ausstellung wird, so erfahre ich weiter, auch noch in Neu-Ulm gezeigt werden.
Das Gespräch mit den Berliner Kolleg:innen rundet meinen Blick auf das Föderale Programm ab: Auch wenn es oft zusätzliche Arbeit bedeutet, profitieren am Ende doch alle. Denn die Ausstellungen werden einem größeren Publikum zugänglich gemacht und bieten neue Blicke auf ihre Inhalte – für Besucher:innen in den Bundesländern ebenso wie für die Museumsmacher:innen in Berlin.
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