Tschudi für alle! Eine Geschichte aus der Nationalgalerie
Lesezeit 5 Minuten
Hugo von Tschudi war nicht nur einer der herausragenden
Direktoren der Nationalgalerie, sondern ist seit neuestem auch
Protagonist und Titelgeber eines Romans von Mariam Kühsel-Hussaini.
Text: Ralph Gleis, Leiter der Alten Nationalgalerie
Das
Buch “Tschudi“ erzählt von den Sorgen und Nöten eines Museumsleiters
vor 125 Jahren, der die zeitgenössische Kunst fördern will. Das klingt
zunächst nicht wie der Stoff, aus dem große Geschichte gemacht ist. Aber
die Autorin Mariam Kühsel-Hussaini hat sich tatsächlich mit der
gravierenden Umbruchzeit um die Jahrhundertwende einen der spannendsten
Momente in der Kunstentwicklung zum Ausgangspunkt ihrer Erzählung
gewählt.
Die Geschichte setzt mit der ersten Ausstellung von
Werken von Impressionisten in der Nationalgalerie im Dezember 1896 ein.
Im Februar dieses Jahres wurde Hugo von Tschudi (1851–1911) zum Direktor
der Nationalgalerie ernannt. Der langjährige Assistent von Wilhelm Bode
an der Gemäldegalerie folgte nun Max Jordans im Amt nach. Bereits kurz
nach seiner Ernennung reiste Tschudi gemeinsam mit dem Maler Max
Liebermann nach Paris, wo er gleich einen spektakulären Ankauf für die
Nationalgalerie tätigte: In der Kunsthandlung Durand-Ruel erwarb er
Édouard Manets „Im Wintergarten“.
Selbst
in Frankreich gab es zu diesem Zeitpunkt nur ein Werk Manets in einem
Museum zu bestaunen – seine skandalumwitterte „Olympia“ war allerdings
eine Schenkung von Impressionisten wie Monet und Caillebotte an den
Staat. Mit dem kühnen Akt von Tschudi wird nun erstmals ein Museum
aktiv, um dem Impressionismus zu musealen Weihen zu verhelfen und
endgültig zu etablieren. Die Durchsetzung des Impressionismus als
museale Kunst erfolgte in den letzten Jahren vor der Jahrhundertwende
fast zeitgleich in Paris und Berlin . Während der französische Staat
aber noch über die Annahme des Nachlasses von Gustave Caillebotte mit
der bedeutendsten Sammlung von Impressionisten beriet, war es in Berlin
ein Museumsdirektor, der die Zeichen der Zeit erkannt hatte und den
Grundstock für eine Sammlung zeitgenössischer französischer Kunst –
darunter Werke von Claude Monet und Edgar Degas – anlegte. Auch den
weltweit ersten Cezanne kaufte Tschudi 1898 an, zu einem Zeitpunkt als
der Künstler noch fast gänzlich unbekannt war. Der Kunstvisionär räumte
den neuen Erwerbungen im Mittelgeschoß der Nationalgalerie einen
prominenten Platz ein (wo sie heute noch in der Alten Nationalgalerie
auf der Museumsinsel bewundert werden können). Diese Neuhängung unter
Aufnahme impressionistischer Tendenzen zu Lasten der akademischen Kunst
wurde in der Öffentlichkeit kontrovers besprochen und von konservativen
Kreisen als Provokation aufgefasst.
Tschudi und der Kaiser
Dieser
Hintergrund der Auseinandersetzung wird im Roman jedoch nicht vertieft,
vielmehr zeichnet Hussaini ein detailreiches Bild Berlins um die
Jahrhundertwende. Alles rankt sich um Tschudi und dessen Kontrahenten,
den Akademiedirektor Anton von Werner und Kaiser Wilhelm II. Dialoge im
Dialekt und zahlreiche Ortsbezeichnungen und Straßennamen verleihen der
Erzählung Lokalkolorit. So entsteht ein atmosphärisches Stimmungsbild
des Kaiserreichs in dem das who‘s who der Berliner Gesellschaft von
Reichskanzler Bülow bis zum Pathologen Virchow nicht fehlen darf.
Ein
Hauptaugenmerk liegt dem Thema entsprechend aber auch auf den Künstlern
und ihren Werken. Wir treffen auf die französischen Impressionisten von
Manet und Degas über Monet bis Renoir aber ebenso auf die deutschen
Künstler von Max Liebermann bis Max Klinger und Anton von Werner. Auch
das Ende des 19. Jahrhunderts etablierte, neue Kunstsystem aus
Künstlern, Museen und Mäzenen wird in vielen Zusammentreffen Tschudis
mit seinen Unterstützern, wie etwa der Bankiersfamilie Mendelssohn, dem
Unternehmer Eduard Arnhold oder Graf Guido Henckel von Donnersmarck
deutlich. Bei der Darstellung der Mitstreiter für die moderne Kunst
vermisst man nur die Rolle von Kunsthändlern wie Paul und Bruno
Cassirer, die aber wohl einen eigenen Roman wert wäre.
Da
sich der Roman ganz Tschudis Kampf für die Etablierung des
Impressionismus widmet, wird dessen heute nicht minder geschätzter
Verdienst um Künstler der Romantik oder Realisten wie Adolph Menzel
weniger beleuchtet. Hussaini greift allerdings die
Jahrhundertausstellung als wesentlichen Meilenstein in Tschudis Kariere
auf und damit indirekt auch diesen Aspekt seines Schaffens. 1906
veranstaltete er gemeinsam mit dem Direktor der Hamburger Kunsthalle
Alfred Lichtwark und dem Publizisten Julius Meyer-Graefe die „Deutsche
Jahrhundertausstellung“ in der Nationalgalerie und eröffnete neue Blicke
auf die deutsche Malerei zwischen 1775 und 1875 unter anderem in der
Wiederentdeckung Caspar David Friedrichs. Zwar wurde hierin die aktuelle
Debatte um die zeitgenössischen Tendenzen bewusst ausgespart, der
Konflikt mit den konservativen Kräften um den Kaiser, die Tschudis
antiakademische Neuausrichtung nicht goutierten, schwelte aber weiter.
Ankäufe bedurften nun der kaiserlichen Genehmigung und der Streit um die
Moderne kam 1908 in der sogenannten „Tschudi-Affäre“ zum Ausbruch. Beim
Ankauf von Werken der Schule von Barbizon hatte Tschudi zunächst die
Genehmigung des Kaisers erhalten, woran dieser sich aber nicht mehr
erinnern wollte. Tschudi wurde daraufhin zunächst für ein Jahr von
seinem Amt beurlaubt, bevor er 1909 als Direktor der Staatlichen
Galerien nach München berufen wurde, wo er bis zu seinem Tode im Sinn
der Moderne wirkte.
Tragödien, Intrigen, Graustufen
Nachvollziehbarerweise
überspitzt die Autorin die Auseinandersetzung zwischen Traditionalisten
und Modernisten, zwischen Akademie und Sezession, zwischen Tschudi und
von Werner zu einem Kampf zwischen Gut und Böse mit dem Fokus auf
menschliche Tragödien und Intrigen im Sinne des Romans. Aber dieser
bleibt doch erstaunlich nah am Überlieferten und zeigt durchaus
Schattierungen und Graustufen, etwa wenn Tschudi die Wandmalereien von
Werners im Cafe Bauer bewundert. Die wortschöpferische, bildreiche
Sprache passt zum Stoff, womit es Mariam Kühsel-Hussaini gelingt, ein
spannendes Stück Kunstgeschichte einmal aus einer ganz anderen
Perspektive zu erzählen. So bietet das Buch viele Anregungen, sich am
Beispiel Tschudis intensiver mit der wechselvollen Geschichte der Kunst
um 1900 auseinanderzusetzten. Dass wir die erwähnten Kunstwerke heute
fast alle in der Alten Nationalgalerie besichtigen können, verbindet uns
direkt mit der Zeit ihrer Entstehung und lässt uns tief in die Handlung
eintauchen.
Wer den Roman liebt, wird die Alte Nationalgalerie
lieben. Oder falls er diese noch nicht kennt, lieben lernen. Denn das
Buch liest sich für Kenner fast wie ein Museumsführer und ruft die
zahlreichen Highlights der großartigen Sammlung vor dem inneren Auge
auf. Wer mit diesen nicht so vertraut ist, sollte unbedingt mit dem
Roman unter dem Arm die Originale auf der Museumsinsel besuchen kommen.
Mit unermüdlichem Einsatz erwarb Wilhelm von Bode um die Jahrhundertwende zahlreiche Kunstschätze, gründete neue Sammlungsbereiche und entwickelte neue Formen der… weiterlesen
Unsere Webseite verwendet Cookies. Diese haben zwei Funktionen: Zum einen sind sie erforderlich für die grundlegende Funktionalität unserer Website. Zum anderen können wir mit Hilfe der Cookies unsere Inhalte für Sie immer weiter verbessern. Hierzu werden pseudonymisierte Daten von Website-Besuchern gesammelt und ausgewertet. Das Einverständnis in die Verwendung der Cookies können Sie jederzeit widerrufen. Weitere Informationen zu Cookies auf dieser Website finden Sie in unserer Datenschutzerklärung und zu uns im Impressum.
Funktional Immer aktiv
Die technische Speicherung oder der Zugang ist unbedingt erforderlich für den rechtmäßigen Zweck, die Nutzung eines bestimmten Dienstes zu ermöglichen, der vom Teilnehmer oder Nutzer ausdrücklich gewünscht wird, oder für den alleinigen Zweck, die Übertragung einer Nachricht über ein elektronisches Kommunikationsnetz durchzuführen.
Vorlieben
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist für den rechtmäßigen Zweck der Speicherung von Präferenzen erforderlich, die nicht vom Abonnenten oder Benutzer angefordert wurden.
Statistiken
Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu statistischen Zwecken erfolgt.Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu anonymen statistischen Zwecken verwendet wird. Ohne eine Vorladung, die freiwillige Zustimmung deines Internetdienstanbieters oder zusätzliche Aufzeichnungen von Dritten können die zu diesem Zweck gespeicherten oder abgerufenen Informationen allein in der Regel nicht dazu verwendet werden, dich zu identifizieren.
Marketing
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist erforderlich, um Nutzerprofile zu erstellen, um Werbung zu versenden oder um den Nutzer auf einer Website oder über mehrere Websites hinweg zu ähnlichen Marketingzwecken zu verfolgen.
Kommentare