Humboldt Forum:

Von der Seidenstraße ins Stadtschloss: Die Geschichte der „Höhle der ringtragenden Tauben“

Die Kuppel der Höhle im Aufzug des Humboldt Forums © Staatliche Museen zu Berlin / David von Becker
Die Kuppel der Höhle im Aufzug des Humboldt Forums © Staatliche Museen zu Berlin / David von Becker © © Foto: David von Becker

Nach den Südseebooten aus dem Ethnologischen Museum reist nun die Kuppel der „Höhle der ringtragenden Tauben“ ins Humboldt Forum. Sie ist eines der berühmtesten Exponate aus dem Museum für Asiatische Kunst und wird für die künftigen Besucher des Humboldt Forums begehbar sein.

Text: Karolin Korthase

Wir schreiben das Jahr 1902. Das erste motorisierte Flugzeug wurde zwar schon erfunden, es ist aber noch weit entfernt davon, ein Fortbewegungsmittel für die Massen zu sein. Wer längere Distanzen zurücklegen will, nutzt Schiffe, Bahnen, Eselkarren oder, in manchen Weltregionen, auch Kamele. Als das Forschertrio Albert Grünwedel, Theodor Bartus und Albert von Le Coq von Mäzenen genug Geld gesammelt hat, bricht es zu jener Zeit von Berlin aus auf in Richtung Seidenstraße. Nach rund 7000, teils extrem beschwerlichen Kilometern, haben sie ihr Ziel erreicht: die Turfan-Region am Rand der Taklamakanwüste im Gebiet des heutigen China. Zerklüftete Felslandschaften bestimmen hier das Landschaftsbild. Im Sommer herrschen Temperaturen über 40 Grad, im Winter wird es eisig, dazu weht fast ständig ein scharfer Wind. Auch Erdbeben kommen hier vor. Es ist eine unwirtliche und dennoch bizarr schöne Gegend, in die sich ein einzigartiges System aus hunderten von Kulthöhlen erstreckt, die zum Teil mit aufwändigen buddhistischen Malereien verziert sind. Im Gegensatz zu den drei Forschern aus Berlin haben die damalige Bezirksregierung von Turfan und die vorwiegend muslimische Bevölkerung wenig Interesse an dem buddhistischen Kulturerbe vor ihrer Haustür. Grünwedel, ein Indologe und Mitarbeiter des Museums für Völkerkunde in Berlin, Bartus, ein Techniker und Konservator und der Turkologe v. Le Coq erforschen und dokumentieren viele dieser vergessenen Orte. Das Archiv des Museums besitzt wichtige Karten, Zeichnungen, maßstabsgetreue Umzeichnungen der Malereien, die in den Höhlen angefertigt wurden, und Hunderte von sehr hochauflösenden Fotografien, die sehr wichtig für die Forschung sind.

„… auf Eseln, Kamelen und Schiffen …“

Als sich die Expeditionsteilnehmer entschließen Objekte, Wandmalereien und Skulpturen nach Deutschland zu schicken, dokumentieren und verpacken sie Hunderte von meist nicht mehr als 60 cm großen Teilen und bringen sie bis kurz vor Ausbruch des 1. Weltkriegs auf Eseln, Kamelen und Schiffen zunächst nach St. Petersburg und dann nach Berlin. Für sie ist es eine Rettungsaktion. Die Funde, darunter vor allem einige sehr alte Handschriften und illustrierte Buchfragmente in indischen, mitteliranischen und indoeuropäischen Sprachen, waren vor mehr als hundert Jahren eine Sensation.

Albert Grünwedel bei der Dokumentation der Wandmalereien in einer Kizil-Höhle, 1906  © Staatlichen Museen zu Berlin, Museum für Asiatische Kunst
Albert Grünwedel bei der Dokumentation der Wandmalereien in einer Kizil-Höhle, 1906 © Staatlichen Museen zu Berlin, Museum für Asiatische Kunst

Eine besondere Überraschung war die Darstellung von Figuren, die in den Höhlen von Kizil als Stifter erscheinen und an europäische Ritter erinnern. Sie wurden bei genauerer Untersuchung in Deutschland als Tocharer identifiziert und sollen die Urheber einer geheimnisvollen, nach ihnen benannten indoeuropäischen Sprache sein. Von den Höhlen, die Grünwedel, Bartus und v. Le Coq 1902 erforschten, erlangten vor allem die sogenannte „Höhle der sechzehn Schwertträger“ (Kizil Höhle 8) und die „Höhle der ringtragenden Tauben“ (Kizil Höhle 123) aus dem 5./6. Jahrhundert wissenschaftlichen Weltrang. Zurück in Deutschland, ziehen die Gemäldeteile, die die Forscher aus den Höhlen entnahmen, zunächst ins Museum für Völkerkunde in die Stresemannstraße und werden dort wie ein Puzzle neu zusammengesetzt.

Schwimmhäute zwischen den Fingern

Heute befindet sich die „Höhle der ringtragenden Tauben“ in der Sammlung des Museums für Asiatische Kunst, die derzeit gemeinsam mit der Sammlung des Ethnologischen Museums ins Humboldt Forum umzieht. Die Höhle fasziniert noch immer durch zahlreiche, vielfältige Buddha-Darstellungen: An den Seitenwänden sind zwei überlebensgroße Buddha-Figuren mit vielen kleinen Buddhas in ihrem Körpernimbus dargestellt, das deutet auf ein Vervielfältigungswunder. Zu sehen sind neben den sieben Schätzen eines Weltherrschers (also eines Buddhas) u.a. ein Pferd, ein Elefant und eine Frau. Auch viele für Buddha-Abbildungen typischen Merkmale sind deutlich zu erkennen, wie zum Beispiel die Schwimmhäute zwischen den Fingern. Starke Beschädigungen zeigen sich u.a. im Bereich der Gesichter. Lilla Russell-Smith, Kuratorin für zentralasiatische Kunst im Museum für Asiatische Kunst, erklärt: „In der Kucha Region waren die Menschen ab dem 11. Jahrhundert zunehmend Muslime und interessierten sich nicht mehr für buddhistische Pilgerorte. In Folge dessen kam es zu Verfall und Zerstörung.“ So wurden Gesichter zerkratzt und Blattgold-Applikationen entfernt. Besonders gut erhalten ist die Kuppel der Höhle. „Sie besteht zu fast 100 Prozent aus Originalteilen“, erzählt Russell-Smith. Hier sind sogar noch viele Gesichtszüge der Figuren deutlich zu erkennen. Gut erhalten sind auch die „ringtragenden Tauben“, die der Höhle ihren Namen gaben. Albert Grünwedel fühlte sich beim Anblick der Vögel an antike, kranztragende Tauben erinnert. Dabei handelt es sich wohl eher um Gänse oder Enten. Lilla Russell-Smith ist sich sicher, dass die Malereien in der „Höhle der ringtragenden Tauben“ einst prächtig gewesen sein müssen. Auch wenn das Blattgold abgetragen ist – Reste von matt-schimmerndem Lapislazuli, Malachit und weiteren Mineralfarben bezeugen die einstige Farbenpracht.

Kuratorin Lilla Russell-Smith vor einem Teil der abgebauten Höhle ©Staatliche Museen zu Berlin / Korthase
Kuratorin Lilla Russell-Smith vor einem Teil der abgebauten Höhle © Staatliche Museen zu Berlin / Karolin Korthase

Dass die Höhle trotz zweier Weltkriege und mehrerer Umzüge innerhalb von Berlin überhaupt noch begehbar und sogar ausstellungsfähig ist, ist umfassenden restauratorischen Maßnahmen von Fachleuten im Museum wie Holger Manzke zu verdanken. Lilla Russell-Smith sagt: „Durch die Rekonstruktionen im Museum entsteht das Gefühl, wirklich in einer Höhle zu stehen. Das ist wunderschön und das gibt es weltweit in keinem anderen Museum“. Die Kuratorin unternahm 2017 zusammen mit dem Restaurator und weiteren Wissenschaftlern eine Forschungsreise nach Xinjiang (China) zum weitläufigen Höhlensystem von Kizil. Damals konnten wertvolle Erkenntnisse zu den Malereien gesammelt werden, die Manzke für die Restaurierung nutzen konnte. Dass die Besucher beim Betreten der Höhle ein authentisches Raumgefühl bekommen können ist den geschickten Ergänzungen fehlender Abschnitte, ein Lehmgemisch in verschiedenen Sandtönen, zu verdanken. Die dafür eingesetzten Materialien wie Lehm und Stroh waren auch ursprünglich verwendet worden.

„Bis auf eineinhalb Zentimeter…“

In den letzten Monaten beschäftigte sich Holger Manzke allerdings vor allem mit dem anstehenden Umzug der Kuppel ins Humboldt Forum. Die Kuppel muss aufgrund der Maße (2.30 x 2.40 Meter) vor allen anderen Exponaten des Museums für Asiatische Kunst umziehen. Hört man den Restaurator über das zwei Tonnen schwere Höhlenteil sprechen, klingt das manchmal so, als erzähle er von einem zerbrechlichen, rohen Ei. Manzke entwickelte ein ausgeklügeltes System, um die Kuppel bestmöglich zu schützen. Ausschließen lässt sich aber trotzdem nicht, dass beim Transport etwas abbricht. Manzke ist darauf vorbereitet: „Da wir die Erschütterungen nicht vorhersagen können, habe ich eine Polsterung ersonnen, die von innen gegen die Malereien drückt und verhindert, dass, wenn sich etwas löst, es wirklich abfällt. Es bleibt am Ort. Ich kann, wenn die Kuppel im Humboldt Forum steht, Stück für Stück das Polster lösen und falls sich etwas gelöst haben sollte, es sofort wieder festigen.“

Die Kuppel der Höhle im Aufzug des Humboldt Forums © Staatliche Museen zu Berlin / David von Becker
Die Kuppel der Höhle im Aufzug des Humboldt Forums © Staatliche Museen zu Berlin / David von Becker

Im Gegensatz zu den Südseebooten aus dem Ethnologischen Museum muss die Kuppel nicht durch eine Fassadenöffnung ins Humboldt Forum eingebracht werden. Holger Manzke sagt: „Bis auf eineinhalb Zentimeter passt die Kuppel in den schon vorhandenen Fahrstuhl. Um Platz zu sparen, muss aber zunächst die Holzkonstruktion, die die Kuppel aus Schutzgründen umschließt, entfernt werden. Sonst würde sie nicht in den Fahrstuhl passen.“ Im Humboldt Forum angekommen, wird sie in den Kubusraum hochgezogen und dort final positioniert.  Nach und nach können dann voraussichtlich ab Herbst alle weiteren Exponate in die Räumlichkeiten einziehen. Von außen werden große Vitrinen der begehbaren Studiensammlung die Höhle umgeben. Darin werden etwa 250 Objekte ausgestellt, die ein vielfältiges Bild von der bewegten Kulturgeschichte der Seidenstraße zeichnen.

 „Dennoch gibt es nach wie vor viele Fragezeichen“

Auch in China ist das Interesse an der Höhlenstätte Kizil, zu der rund 400 Höhlen zählen, von denen ca. ein Drittel dekoriert sind, inzwischen erwacht. Seit den Achtziger Jahren wird das Gebiet geschützt. Eine Forschungsakademie beschäftigt sich mit der Geschichte und der Bedeutung der Höhlen.  Deren stellvertretende Leiterin Zhao Li besuchte Dahlem für 18 Monate und trug zusammen mit den Wissenschaftlern des Museums für Asiatische Kunst wertvolle Forschungsergebnisse zusammen. „Dennoch gibt es nach wie vor viele Fragezeichen“, erzählt Lilla Russell-Smith. Unklar ist zum Beispiel, für welchen Zweck die Höhle einst genutzt wurde. Gegen eine Nutzung als Meditationshöhle spräche die Art der Bemalung, so Russell-Smith. Das Kultbild – eine sitzende Buddha Statue – fehlt heute. Da in einigen Höhlen Buddha-Statuen aus Holz in den Nischen standen, die dann in religiösen Prozessionen auch aus den Höhlen herausgetragen werden konnten, wird ein vergoldeter Körpernimbus von solch einem Buddha in der neuen Rekonstruktion im Humboldt Forum stehen. Diese Lösung bringt auch das Glänzen wieder in die Höhle.

Die
Die „Höhle der ringtragenden Tauben“ im Museum für Asiatische Kunst © Staatlichen Museen zu Berlin, Museum für Asiatische Kunst / Jürgen Liepe

Trotz einiger ungelöster Rätsel: Auch über 1500 Jahre nach ihrer Entstehung ist die Faszination, die die „Höhle der ringtragenden Tauben“ auszuüben vermag, ungebrochen. Und das größte Rätsel oder auch Wunder ist wohl, dass sie in ihrer Schönheit überhaupt noch existiert – allen klimatischen Bedingungen, den Bilderstürmen, dem Zersägen in Einzelteile, dem Abtransport nach Europa und den Umzügen innerhalb Berlins zum Trotz.

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