Alles, was Du brauchst, ist ein gutes Bild. Ein Ohrensessel
dazu wäre behaglich. Und hilfreich vielleicht die Lupe? Was gibt es da
nicht alles zu entdecken …
Text: Christine Kühn
1. Flugzeuge können umweltfreundlich sein
Dies zeigt die Aufnahme
einer kleinen Gesellschaft, die 1913 von Freiburg aus eine Reise ins
ferne Amerika angetreten hatte. Ein kurzer Halt in Rotterdam ließ Zeit,
um Billets für die Schiffsüberfahrt zu kaufen. Neun ganze Tage sollte
sie dauern. Aber warum nicht ein wenig träumen? So begab man sich in ein
Fotostudio und lächelte erwartungsfroh in die Kamera. Das Studio
fertigte Postkarten, und diese gingen an die Daheimgeblieben. Der
Mathematiker Oskar Bolza aber legte ein eigenes Album an mit
Tagebuchnotizen, Reisefotografien, Knipsbildern und Postkarten sowie mit
dieser kleinen Erinnerung an eine herrliche Flugfantasie.
2. Am Strand von Fantasien ist allerhand los
In
den 1860er Jahren kamen sogenannte Mosaikbilder in Mode. Sie
präsentierten ganze Versammlungen oder Ausflugsgesellschaften und waren
doch nur Fiktion. In Wirklichkeit hatten die Abgebildeten sich nie
gesehen. Doch die Montage hunderter Einzelaufnahmen machte Erinnerung
für Firmen, Gesangsvereine oder Familien möglich. Ebenso förderte sie
werbeträchtige Collagen sowie Scherzbilder zutage. Wer die Schar
frühkindlicher Segelsportler in Auftrag gab, ist nicht überliefert.
Womöglich diente das Sommerbild am See für das unbekannte Fotostudio
einfach als Annonce für vielfältige Kinderporträts.
3. Muskeln kann man ertüchtigen – natürlich virtuell. Vielleicht zu Fuß?
Ein
Paar feste Schuhe wären hierzu angebracht. Gefunden haben wir sie bei
Otto Ehrhardt, der als Zeichenlehrer in Coswig bei Dresden lebte. Seine
Streifzüge ins Elbtal und in die umliegende Hügellandschaft hielt er als
begeisterter Amateurfotograf vor allem in Landschaftsaufnahmen fest.
Das Heimatmuseum Coswig verwahrt eine ganze Sammlung seiner Urkunden,
Plaketten und Auszeichnungen. Sie belegen, dass man Ehrhardts Bilder
Anfang des 20. Jahrhunderts als Kunstfotografien schätzte: Bis ins ferne
Wien, Kiew oder St. Louis reisten sie und wurden dort ausgestellt. Ende
der 1920er Jahre entdeckte Ehrhardt unter dem Einfluss der Neuen
Sachlichkeit auch Stillleben für sich und lichtete sie in klaren
Kompositionen mit begrenztem Bildausschnitt und strenger Linienführung
ab. Die Abzüge machte er selbst – in der Küche daheim, die zur
Dunkelkammer wurde.
4. „Ach, ist der Rasen schön grün…“
Harmonische
Farben, malerische Kompositionen, Stimmung, Seele und Gefühl –
Fotografie kann mehr als abbilden und dokumentieren. Davon waren
Lichtbildner wie Hugo Henneberg um 1890 überzeugt. Mit ihren Arbeiten
drängten sie in die Museen und kämpften um die Anerkennung der
Fotografie als Kunst. Vielfach gut betuchte Amateure, taten sie sich in
Vereinen zusammen und brachten eigene Zeitschriften heraus. Hugo
Henneberg zum Beispiel gründete mit zwei Gleichgesinnten das Wiener
Kleeblatt. Wie andere Vertreter dieser Bewegung bezeichneten sie sich
programmatisch als „Kunstfotografen“. Die eigenen, aufwendig
hergestellten Edeldrucke sollten mit den Bildchen vermeintlich unbedarft
fotografierender „Knipser“ nicht zu vergleichen sein, ganz zu schweigen
von den Aufnahmen kommerziell agierender Berufsfotografen. Was also
konnte überzeugender wirken als eine leuchtend grüne Sommerwiese, die
‚wie gemalt‘ erschien?
5. Reisen weitet den Horizont
Wie
ist der Herr mit der schweren Kamera in solch schwindelerregende Höhe
gelangt? Warum gibt es ihn zweimal? Wer hat ihn fotografiert, und wie
kam der hinauf? Was sieht der eine und was der andere? Eine Antwort
auf die erste Frage weiß man nicht. Aber die nächsten sind zu
enträtseln: Zwar ist der Mann zweimal zu sehen, doch gibt es
Unterschiede. Man achte auf den blitzenden Lederschuh! Rechts baumelt er
vor dem weißen Gebäude im Hintergrund und lässt Buchstaben erkennen:
Lord & Taylor. Das war Amerikas ältestes Kaufhaus, in New York.
Links dagegen verdeckt das Bein des Fotografen die Schrift. Das heißt,
der andere Fotograf dort oben machte je eine Aufnahme aus verschiedenen
Blickwinkeln. Er tat das gleichzeitig, mit Hilfe einer Stereokamera, die
zwei Objektive hatte. Auch die Augen eines jeden Menschen schauen aus
zwei Blickwinkeln. Man merkt es nicht, weil das Gehirn die beiden
Seheindrücke automatisch zu einem Bild zusammensetzt. Dieses ist dann
räumlich. Schiebt man schließlich das Doppelbild des Fotografen in
ein Stereoskop – ein brillenähnliches Gestell mit zwei Linsen – passiert
etwas Ähnliches: Dann zeigt es nur noch einen Fotografen. Er wirkt nun
plastisch und lebensnah, und die hinter ihm liegende Straße, die Fifth
Avenue, dehnt sich extrem in die Tiefe. Dieser 3-D-Effekt machte um 1900
enormen Eindruck. Und so warb das Bild geschickt für die Firma
Underwood & Underwood und ihre Fotografien. Sie produzierte damals
rund 25.000 Stereo-Karten am Tag! Für diese Masse beschäftigte sie
zahlreiche Fotografen, die viel reisten und deren Namen man heute oft
nicht mehr kennt. Aber ihnen verdankten die Menschen ein
Freizeitvergnügen, das um 1900 sehr beliebt war. Die kleinen Karten
wurden in alle Welt geschickt. Sogar in den Schulen wurden sie zur
Anschauung eingesetzt. Dann ‚reisten‘ ganze Klassen in die Ferne.
6. Reisen bringt tierisch gute Laune
Denn
wen trifft man unterwegs nicht alles! Eine frohe Konversation zu dritt,
ein wenig Tratsch, ein paar gelehrte Worte kommen dann mit Leichtigkeit
auf …, und alles ganz ohne (heilsame) Distanz! Natürlich ist diese
Szene vor langer Zeit, am Ende des 19. Jahrhunderts fotografiert worden.
Naturstudien nannte man derartige Bilddokumente. Sie dienten Künstlern
und Kunsthandwerkern als Vorlagen für eigene Kreationen. Entsprechend anschaulich sind die Tiere gruppiert, gerade wie in einem
Freiluftatelier. Haltung, Formen und Gefieder erscheinen nahezu
modellhaft. Sie lassen ahnen: Zwanglos beisammen gestanden haben hier
Graugänse (anser anser), immerhin die zweitgrößte Gänseart Europas. Oder
sind es Feldgänse (Anser)?
7. Venedig sehen und aufleben!
Um 1880 begann eine wachsende
Zahl von Privatpersonen zu fotografieren. Die einen arbeiteten
wissenschaftlich, andere machten Kunst. Wieder andere betrieben ihr
Hobby für den Hausgebrauch und „knipsten“. Ihre Bilder dienten der
Erinnerung und Bewahrung persönlich bedeutsamer Lebensgeschichte(n) –
etwa einer Reise nach Venedig inklusive Taubenfüttern auf dem
Markusplatz. Doch ob wissenschaftliches, künstlerisches oder
„sportliches“ Interesse – es waren zunächst Wohlhabende aus Adel und
Bürgertum, die sich das Vergnügen des Reisens und Fotografierens leisten
konnten. Wie schön, dass das Bildermachen noch immer und nun fast für
jedermann möglich ist.
8. Frühling in der Stadt
Ein Ausflug ins Freie war schon vor fast
hundert Jahren beliebt. Ob Arbeit im Kleingarten oder Frischluftkur im
Park – alles machte bei Sonnenschein gleich mehr Spaß. Mancher schlug
vor der Laube vielleicht gemütlich die Zeitung auf, brachten doch gerade
die Wochenendausgaben unterhaltsame Bildstrecken. Einen schönen
Frühlingstag konnte man auch am Hafen erleben, wenn das Halma-Spiel, die
Puppen und der Ball herausgeholt wurden. Man konnte Hopse spielen,
schwatzen oder von Boot zu Boot springen. Der Hund legte sich gesellig
dazu. Derartige Bildserien machten gute Laune, und so verkauften sich
die Zeitungen besser. Die Firma Photothek von Willy Römer hatte deshalb
ein ganzes Sortiment an Freizeit- und Jahreszeiten-Serien parat. Heute
werden sie im Museum für Fotografie bewahrt. Wer will, kann sie sich
bald wieder – wie in einer Bibliothek – zur Ansicht bestellen.
9. Nette Gesellschaft gratis
„Fragen
Sie mich nicht über die Zwanziger Jahre. Ich war in den Zwanziger
Jahren überhaupt nichts“, behauptete Marlene Dietrich im hohen Alter von
82 Jahren. Widerlegt hat sie Martin Badekow, der damals ein Fotoatelier
am Berliner Kurfürstendamm unterhielt. Filmgrößen und
Schauspielprominenz gingen dort ein und aus, ja selbst die junge
Dietrich war bereits in nahezu zwanzig Stummfilmen aufgetreten. Der
„Blaue Engel“ hatte sie zwar noch nicht berühmt gemacht, doch Fotograf
wie Modell wussten beide, worauf es ankam, wenn es um wirkungsvolle
Reklame für das eigene Geschäft ging. So ist die moderne Frau mit dem
Bubikopf als Sternchen inszeniert, das auf Minikleid, lange Beine im
Seidenglanz und einen tiefen Blick in die Kamera setzt. Die Schultern
adrett hochgezogen, hält sie Illustrierte und Koffer. In diesem Punkt
waren die Akteure der Aufnahme visionär: Jahrzehnte später sollte ein
solcher tatsächlich zum Markenzeichen der Schauspielerin werden, als sie
den Schlager „Ich hab noch einen Koffer in Berlin“ intonierte. Man
kennt ihn noch heute (419.259 Aufrufe bei Youtube!).
10. Zur Stärkung schließlich ein Gläschen Wein sowie natürlich Vitamine
Eine selbstgebaute Lochkamera und
Dunkelkammer-Experimente statt Pausenbrot – Hans Watzek wusste sich zu
helfen, wenn es um die Kunst der Fotografie ging. Anders als andere
Amateure um 1900 zählte er nicht zu den Wohlhabenden. Vielmehr musste er
sich seinen Lebensunterhalt als Lehrer verdienen und die Zeit fürs
Hobby abknapsen. Nicht immer war er glücklich, wenn die Schulglocke an
der Wiener Staats-Oberrealschule des 6. Bezirks das Ende einer Pause
einläutete, und er zum Unterricht eilen musste. Manch ein in der
Dunkelkammer begonnener Abzug war dann verloren. Doch gelang ihm
immerhin der erste Dreifarben-Gummidruck überhaupt. Was nach Grafik
klingt und wie ein gediegenes Gemälde aussieht, ist tatsächlich eine
Fotografie. Die malerische Unschärfe entstand durch allerlei Tricks, wie
mitunter ein zum Objektiv umfunktioniertes Brillenglas. Damit wurde
schon ein Negativ unscharf. Für den Abzug aber strich Watzek grob
strukturiertes Aquarellpapier mit einem Gemisch aus Farbe, Gummiarabikum
und Chromsalzen ein und belichtete es in direktem Kontakt mit dem
Negativ. Da, wo viel Licht auftraf, härtete der Farbauftrag gut durch.
Ein Bild – hier das die seltsame Geschmackskombination Wein/Apfel
anregende Stillleben – zeichnete sich ab. In klarem Wasser wurde es
fixiert. Die Partien aber, die wenig Licht abbekommen hatten, schwammen
quasi davon und lösten sich ab. Mit dem Pinsel ließ sich noch
nachhelfen, und es entstanden malerische Formen. Genau das war die
Absicht jener Fotografen, die diese Technik des Gummidrucks verwendeten.
Buntfarbige Ergebnisse erzielten sie, wenn sie die Prozedur mit immer
neuen Farbgemischen wiederholten. Fotografie sollte wie Malerei oder
Druckgrafik aussehen, um als Kunst einen Platz in den Museen zu finden.
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